Süddeutsche Zeitung

Linke streitet über Antisemitismus:Enttäuschte Erwartungen

Nach der Toiletten-Affäre um Gregor Gysi brodelt es mächtig in der Linken-Fraktion. In der Fraktionssitzung könnte der Antisemitismus-Streit eskalieren. Oder kommt der Fraktionsvorsitzende mit seiner Abwiegelungstaktik durch?

Von Thorsten Denkler, Berlin

Wenn Inge Höger, Annette Groth und Heike Hänsel sich kommende Woche auf den Weg zur Fraktionssitzung der Linken im Deutschen Bundestag machen, ist ihnen Ärger gewiss. Womöglich sogar gewaltiger Ärger.

Ihre Namen sind verbunden mit der sogenannten Toiletten-Affäre um ihren Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi. Höger und Groth hatten ausgerechnet zum 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, zu einer israelkritischen Veranstaltung in die Volksbühne eingeladen. Und diese als offizielle Veranstaltung der Linksfraktion ausgegeben.

Als Gysi das mitbekam, ließ er die Veranstaltung platzen. Am nächsten Tag luden Höger und Groth die beiden Hauptreferenten in den Bundestag ein. Es waren die beiden Journalisten Max Blumenthal und David Sheen. Sie sind bekannt dafür, dass sie es mit ihrer Kritik an Israel maßlos überziehen. Gerne setzen sie die israelische Politik mit der Willkürherrschaft der Nazis oder dem Islamischen Staat gleich.

Auch wegen der Einladung in den Bundestag intervenierte Gysi. Sheen und Blumenthal wollten Gysi daraufhin zur Rede stellen, verfolgten ihn durch die Flure des Bundestages bis auf die Toilette. Das wurde gefilmt und ins Netz gestellt. Würdelose Szenen.

Höger und Groth wiederum luden - als Ersatz für die beiden geplatzten Veranstaltungen - zu einem Fachgespräch mit den jüdischen Publizisten. An dem nahmen auch die Abgeordnete Heike Hänsel und das Parteivorstandsmitglied Claudia Haydt teil. Haydt ist auch Mitarbeiterin im Abgeordnetenbüro von Inge Höger. Die Boykottaufrufe der Publizisten gegen Israel in diesem "Fachgespräch" sollen die vier Linken-Politikerinnen widerspruchslos hingenommen haben.

Fraktionsbeschluss ignoriert

Ein Affront. 2010 und 2011 gab es schon einmal eine heftige Debatte in der Linken um Antisemitismus und überzogenen Antizionismus in den eigenen Reihen. Damals beschloss die Fraktion: "Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahostkonflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte" beteiligen. Alle Abgeordneten und auch deren Mitarbeiter wurden explizit aufgefordert, sich an den Beschluss zu halten.

Auch beim Streit damals gehörten Höger und Groth zu den Protagonistinnen. 2010 begleiteten sie einen angeblichen Hilfskonvoi radikaler türkischer Islamisten, die mit ihren Schiffen eine israelische Seeblockade vor der Küste des Gazastreifens durchbrechen wollten. Diese sogenannte "Free-Gaza-Flottille" wurde von der israelischen Armee mit Gewalt gestoppt. Mehrere Menschen starben.

Den Fraktionsbeschluss von 2011 haben Groth und Höger spätestens mit der Einladung von Blumental und Sheen sowie Hänsel mit ihrer Teilnahme an dem Fachgespäch ignoriert.

In anderen Fraktionen hätte so ein Verhalten längst zum Ausschluss geführt. Aber die Linke ist anders. Die drei Abgeordneten Höger, Groth und Hänsel haben sich bei Gysi für die Hetzjagd entschuldigt. Der hat die Entschuldigung angenommen. Damit sollte dann die Angelegenheit beendet werden. Gysi hat offenbar wenig Lust, die Debatte von 2011 noch einmal zu führen. Und noch weniger Lust hatte er wohl, den offenen Konflikt mit den Beton-Linken in seiner Fraktion zu suchen.

Das machen andere für ihn. In ihrem Internetaufruf "Ihr sprecht nicht für uns" haben verschiedene Abgeordnete, Funktionäre und Mitglieder der Linken sowie inzwischen mehr als 1000 Unterstützer die drei Abgeordneten aufgefordert, Konsequenzen zu ziehen.

Das haben diese aber bisher nicht getan. Sie haben ihr Mandat nicht zurückgegeben, sie haben die Fraktion nicht verlassen. Sie haben nicht einmal ihre Sprecherposten zurückgegeben. Und wurden von der Fraktionsspitze auch zu keinem dieser Schritte aufgefordert.

Höger ist etwa "abrüstungspolitische Sprecherin". Solche Funktionen haben fast alle Abgeordneten der Linken. Die ebenfalls umstrittene Sevim Dağdelen etwa darf sich "Sprecherin für internationale Beziehungen" nennen. Was sie aber auf russischen Propaganda-Sendern wie "Russia Today" über den Ukraine-Konflikt erzählt, hat mit der Haltung der Fraktion oft nur wenig zu tun.

Die Initiatoren des Internetaufrufes jedenfalls sind "enttäuscht", wie sie in einer Reaktion auf die Nichtreaktion der drei Abgeordneten und der Fraktionsspitze schreiben. Enttäuscht darüber, "dass die Fraktion und das Führungsgremium unserer Partei nicht die Kraft oder den Willen aufgebracht hat, die Einhaltung der wiederholten Beschlüsse, Erklärungen und Beteuerungen auch praktisch einzufordern". Und enttäuscht darüber, "dass eine inakzeptable und instinktlose politische Angelegenheit auf die Verletzung der Privatsphäre" reduziert werde und mit "einer sehr knappen Entschuldigung für erledigt erklärt werden kann".

Aufgeben wollen sie nicht: "Wir sind viele und wir lassen diese Diskussion nicht für beendet erklären."

"Ihr sprecht nicht für uns"

In der Fraktionssitzung an diesem Montag sollte es eigentlich die nächste Gelegenheit zur Debatte geben. Kurzfristig wurde die Sitzung jedoch auf kommende Woche verschoben.

Zuvor hatte es durchaus Überlegungen gegeben, in der Sitzung Anträge zu stellen, die drei wenigstens ihrer Sprecherposten zu entheben. "Wer im Namen der Fraktion auftritt, der muss sich fragen, ob das, was er sagt, den Grundsätzen unseres Parteiprogramms entspricht", sagte etwa Stefan Liebich im Interview mit Süddeutsche.de. Liebich ist Bundestagsabgeordneter und gehört zu den Erstunterzeichnern des Internetaufrufs "Ihr sprecht nicht für uns".

Die Mehrheiten dafür wären alles andere als sicher. Zu groß ist der Einfluss hartlinker Gruppen auf die Bundestagsfraktion. Die mächtige Fraktions-Vizechefin Sahra Wagenknecht etwa, einst Gallionsfigur der Kommunistischen Plattform, gehörte zu den Ersten, die die drei Abgeordneten in Schutz nahmen.

Es dürfte kommen wie so oft. Eine heiße Debatte - und danach machen Höger, Groth und Hänsel einfach weiter wie bisher.

Wie das geht, zeigte Höger bereits Mitte vergangener Woche. Mitten im Sturm der Kritik schoss sie auf ihre Genossen in Thüringen, die gerade den Koalitionsvertag mit SPD und Grünen ausgehandelt haben. Bodo Ramelow könnte der erste Ministerpräsident mit einem Parteibuch der Linken werden.

Ein Erfolg? Nicht für Höger. Sie könne sich "nicht vorstellen", dass, wenn "Bodo Ramelow den Weg so geht, wie es sich bisher abzeichnet", dort "noch wirklich linke Inhalte umgesetzt werden können". Wer solche Parteifreunde hat, der braucht keine Feinde mehr.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version des Textes war davon die Rede, dass die Debatte zum Thema Antisemitismus in der Linken-Fraktion am Montag, 24.11., stattfindet. Nachdem die Debatte kurzfristig verschoben wurde, wurde der Text entsprechend angepasst.

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