Sören Pellmann hat sich das so schön ausgedacht. Er hat eine Open-Air-Pressekonferenz von der Berliner Volksbühne einberufen, sich neben ein rot lackiertes Lastenfahrrad mit dem Logo der Linkspartei gestellt, er hat sogar Fan-Utensilien wie die selbstgemachte Pellmann-Seife mitgebracht - und dann geht trotzdem alles schief. Exakt in dem Moment, in dem Pellmann seine zentrale Botschaft in die Mikrofone sagt, hält auf der anderen Straßenseite ein Müllauto mit der Aufschrift "Trennen muss nicht wehtun". In diesem Fall tut dem Redner die Altglas-Trennung aber ziemlich weh. Sein Satz: "Ich erkläre hiermit meine Kandidatur zum Parteivorsitzenden" geht vollkommen unter im Scherbenklirren bei der Leerung des Glascontainers.
So gesehen hat Martin Schirdewan einen etwas erfolgreicheren Weg gewählt, um seine Bewerbung für den Parteivorsitz der Linken auszurufen. Bei ihn lief es zwar auch nicht ganz so wie geplant, er wollte ursprünglich erst am Mittwoch damit an die Öffentlichkeit gehen. Aber nachdem diese Überraschungskandidatur zwei Tage zuvor durchgesickert war, erklärte Schirdewan schon am Dienstagvormittag, dafür immerhin ohne Störgeräusche in der ARD: "Es ist eine große Ehre, wenn der Parteitag mich zum Parteivorsitzenden wählt."

Exklusiv Linke:Die Linke und die 18 Prozent
Bei den jüngsten drei Landtagswahlen kam die Partei nicht einmal in die Nähe der Fünf-Prozent-Hürde. Das ist existenzbedrohend. Doch nun attestiert ihr eine Studie: Da ist mehr drin, viel mehr.
Irgendwas geht derzeit ja immer schief bei den Linken. Und der Umstand, dass es nun zu einem Machtkampf zwischen dem sächsischen Bundestagsabgeordneten Pellmann und dem thüringischen Europaparlamentarier Schirdewan kommt, spricht nicht zwingend dafür, dass die Partei in den kommenden Woche endlich mal wieder mit den sogenannten Sachthemen Schlagzeilen macht.
Auf ihrem Parteitag Ende Juni in Erfurt will die Linke ihren kompletten Bundesvorstand neu wählen. Seit dem Rücktritt der Co-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow im April ist Janine Wissler übergangsweise alleinige Parteichefin. Ab dem Erfurter Parteitag soll es aber wieder eine Doppelspitze geben. Wissler hat am vergangenen Wochenende verkündet, dafür erneut anzutreten. Obwohl sie nach einer Serie von Wahlniederlagen und einer Sexismus-Debatte schwer angeschlagen ist, zeichnet sich bislang keine ernstzunehmende Gegenkandidatur für den weiblich quotierten Platz in der Doppelspitze ab.
Pellmann wird von Sahra Wagenknecht unterstützt
Um den zweiten Chefposten, für den sich laut Parteisatzung sowohl Männer als auch Frauen bewerben dürfen, wird es aber eine Kampfkandidatur geben, in der es um mehr geht als um die Frage: Pellmann oder Schirdewan? Denn hinter beiden stehen wichtige innerparteiliche Strömungen, die um Einfluss ringen.
Pellmanns Kandidatur wird von Sahra Wagenknecht unterstützt und ist schon allein deshalb in großen Teilen der Partei umstritten. Für Pellmann, 45, spricht, dass er bei der Bundestagswahl 2021 in Leipzig eines der drei Direktmandate der Linken gewann und seiner Partei damit den Wiedereinzug ins Parlament sicherte. Medienberichte, wonach er sein erstaunlich hohes Wahlkampfbudget auch mit dubiosen Geldgebern und seiner Nähe zu Russland zu tun gehabt habe, wies er am Dienstag vehement zurück. Da sei "nach dem Parteiengesetz alles sauber gelaufen" und seine Russland-Nähe überhaupt "eine Mär."

Schirdewan, 46, ist Co-Fraktionsvorsitzender der Linken im EU-Parlament. Bis 2017 leitete er das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Brüssel. Im Gegensatz zu Pellmann ist Schirdewan bereits Mitglied im Bundesparteivorstand der Linken.
Hinter Schirdewan steht das Reformer-Lager des Ostens
Hinter Schirdewans Kandidatur steht das Reformer-Lager des Ostens und vor allem der thüringische Landesverband. In Erfurt regiert mit Bodo Ramelow der einzige Ministerpräsident der Partei, zumindest dort ist die linke Welt noch halbwegs in Ordnung. Daraus leiten die Thüringer aber auch den Anspruch ab, in der Berliner Parteizentrale mitzumischen. Nach dem Rückzug der Thüringerin Hennig-Wellsow aus der Parteispitze, soll das nun Schirdewan übernehmen. Als Abgeordneter des Europaparlaments betreibt er ein Wahlkreisbüro im thüringischen Jena. Seine Kandidatur wird maßgeblich von Benjamin-Immanuel Hoff unterstützt, dem Chef der Erfurter Staatskanzlei. Hoff wurde zunächst selbst als möglicher Bewerber für den Parteivorsitz gehandelt. Er will sich nun aber in der zweiten Reihe hinter Schirdewan um die Bundespartei kümmern.
Sowohl Pellmann als auch Schirdewan haben am Dienstag erklärt, die zerstrittene Partei wieder zusammenführen zu wollen. Als Pellmann dann aber vor der Volksbühne gefragt wird, was er besser könne als sein Gegenkandidat, nennt er insbesondere seine "Verbundenheit" vor Ort. "Europa ist weit weg", sagt Pellmann. Die nächste Schlammschlacht dürfte damit eröffnet sein.