Süddeutsche Zeitung

Linke:Lieber ganz woanders

Zwei Linke-Abgeordnete laden zum Expertengespräch zur Ostukraine. Und fast alle sind sich einig, wer schuld daran ist, dass der Konflikt weiterschwelt. Nur einer der eingeladenen Teilnehmer widerspricht.

Von Ruth Eisenreich und Cathrin Kahlweit, Berlin

Wer ist schuld daran, dass im Minsk-Prozess und damit in der Ostukraine nichts weitergeht? Im Clara-Zetkin-Saal des Reichstags war man sich auf einer Konferenz, die Abgeordnete der Partei Die Linke in Berlin organisiert hatten, ziemlich einig: Schuld sei die ukrainische Regierung. Eine Mitschuld trügen wohl die USA sowie die EU und Deutschland.

Die beiden Parlamentarier Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko, bekannt für ihre russlandfreundliche Haltung, hatten im Namen der Fraktion "internationale Experten" zu einem Fachgespräch geladen, Thema: "Minsk II: Ausweg aus der ukrainischen Krise?" Gehrcke und Hunko waren im Februar 2015 mit Hilfsgütern zu den Separatisten in den Donbass gereist; diese hatten den Besuch von "zwei EU-Repräsentanten" propagandistisch ausgeschlachtet. Kiew beschwerte sich in Berlin, Hunko erhielt ein Einreiseverbot in die Ukraine.

Bei der Veranstaltung in Berlin saßen nun auf dem Podium neben den beiden Linke-Politikern auch zwei Abgesandte aus der Konfliktzone: der prorussische ukrainische Politikwissenschaftler und Journalist Dmitrij Dschangirow und der russische Politologe Oleg Bondarenko, der für völkische und nationalistische Äußerungen bekannt ist. Via Webcam zugeschaltet wurde der als Meinungsforscher arbeitende und aus der Ukraine auf die Krim übersiedelte Jewgen Kopatko. Bondarenko forderte in Berlin Sanktionen gegen die ukrainische Regierung, deren Agenden von "Rechtsradikalen" diktiert würden. Dschangirow sagte, er glaube nicht, dass Deutschland, das derzeit den OSZE-Vorsitz innehat, noch etwas voranbringen werde. Das Beste, was Deutschland tun könne, sei, sich dafür zu entschuldigen. "Wir fordern nicht, dass man Buße tut vor den Ukrainern, wie man das vor den Juden getan hat", fügte er hinzu. Als Überraschungsgast am Podium saß außerdem Ray McGovern, ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter, der den Maidan-Aufstand als "Putsch" bezeichnet und in Berlin große Zweifel an den Ermittlungsergebnissen zum Absturz von Flug MH17 über der Ostukraine kundtat.

Mit dabei auf dem Podium auch: Gernot Erler, der Russland-Beauftragte der Bundesregierung. Er war, auch wenn der Ton friedlich blieb, hier klar in der Rolle des Gegners geladen, bei seinen Wortmeldungen klatschte niemand. Erler zeigte kaum eine Regung, während die anderen sprachen, schaute meist auf einen Block, machte sich Notizen. Nur als McGovern ihm in der Pause noch einmal in einem Privatissimum seine Theorien darlegte, war ihm anzusehen, dass er gerade lieber ganz woanders wäre.

"Ich habe mit einigem, was hier gesagt wurde, Probleme", sagte Erler in seinem Schluss-Statement, "ich bin nicht einverstanden mit dem Resümee, die Ukrainer seien schuld." Das Problem der ausbleibenden Fortschritte im Friedensprozess seien nicht etwa die fehlenden bilateralen Gespräche zwischen ukrainischer Regierung und Separatisten - ein Standpunkt vieler Anwesender, der sonst vor allem in Moskau oft geäußert wird. "Hinter dieser Forderung", sagte Erler denn auch, stehe "die offizielle russische Position, dass dies ein inner-ukrainischer Konflikt - und Russland nicht Teil davon ist. Da muss ich widersprechen. Die Lösung ist nicht, Russland aus der Verantwortung zu entlassen."

Warum sich Erler auf ein Podium setzt, das der ukrainischen Position wenig Gerechtigkeit widerfahren lässt? "Ich wurde von einer Bundestagspartei eingeladen", so der Regierungsbeauftragte. "Hätte ich das verweigert, wäre es ein Politikum gewesen. Wenn Auskünfte der Bundesregierung gewünscht sind, muss ich mich dem stellen."

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SZ vom 10.06.2016
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