Saarland:Oskar Lafontaine tritt aus der Linkspartei aus

Saarland: Der Austritt Lafontaines aus der Partei ist das absehbare Ende eines langen Streits.

Der Austritt Lafontaines aus der Partei ist das absehbare Ende eines langen Streits.

(Foto: imago stock&people/imago stock&people)

Der 78-Jährige war Mitbegründer und lange auch Vorsitzender der Partei. Doch er hat sich mit anderen Linken im Saarland völlig überworfen - nun verlässt er zum zweiten Mal in seinem Leben eine Partei im Streit.

Von Oliver Klasen

Zwei Parteien haben das Leben des Oskar Lafontaine geprägt - und aus beiden Parteien ist er im Streit ausgetreten. 2005, nach 39 Jahren aus der SPD, der er als Vorsitzender und Kanzlerkandidat diente, für die er als Finanzminister in der rot-grünen Regierung saß. Und nun, an diesem Donnerstag im März 2022, nach 15 Jahren aus der Linkspartei, die er mitgegründet und lange Zeit als eine ihrer wichtigsten Figuren repräsentiert hat.

Die Ankündigung, die Linkspartei zu verlassen, wird nur eine Stunde publik, nachdem der ukrainische Präsident Selenskij im Bundestag gesprochen hat, sie droht fast unterzugehen in Debatten um Krieg und Frieden. Vielleicht ist das Zufall. Vielleicht ist es auch genauso gewollt von Lafontaine, dass der förmliche Parteiaustritt, der ja nicht überraschend kommt, sondern wie das Ende eines langen Entfremdungsprozesses erscheint, kein großes Ereignis mehr ist.

In dieser Hinsicht gibt es Parallelen zwischen den beiden Parteiaustritten. Als Lafontaine am 11. März 1999 alle politischen Ämter hinwarf, da war das für Teile der SPD, jedenfalls für jene Teile, die eher Lafontaine als Schröder nahestanden, ein Schock. Es war klar, dass das Bündnis, zwischen dem "Kanzler der Bosse", wie Schröder wegen seiner guten Wirtschaftskontakte und seiner unternehmerfreundlichen Politik zuweilen genannt wurde, und dem Parteilinken Lafontaine endgültig zerbrochen war. Der Austritt aus der SPD im Jahr 2005 und die Mitwirkung in der WASG, die zwei Jahre später mit der PDS zur Partei Die Linke fusionierte, kam dann nicht mehr überraschend, denn Lafontaine hatte sich bereits in den Jahren zuvor als scharfer Kritiker der von Schröder vorangetriebenen Agenda 2010 hervorgetan.

Ähnlich ist es auch jetzt bei der Linkspartei. Der Austritt ist das absehbare Ende eines langen Streits. Im saarländischen Landesverband der Linken tobt seit Langem ein von außen kaum verstehbarer Kampf zwischen Fraktionschef Lafontaine und seinen Anhängern auf der einen Seite und den Anhängern des Landesparteichefs Thomas Lutze auf der anderen. Mit Lafontaines Austritt erledigt sich auch ein gegen ihn laufendes Parteiausschlussverfahren. Mehrere Parteimitglieder hatten es angestrengt, weil Lafontaine vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr explizit dazu aufgerufen hatte, im Saarland nicht die Linke zu wählen. Lafontaine wiederum wirft Lutze, der Bundestagsabgeordneter ist, Manipulation von Mitgliederlisten vor, um seine Machtposition zu sichern.

44 Zeilen lang ist die Erklärung, die der 78-Jährige nun zum Parteiaustritt verbreiten lässt. "Ich wollte, dass es im politischen Spektrum eine linke Alternative zur Politik sozialer Unsicherheit und Ungleichheit gibt, deshalb habe ich die Partei Die Linke mitgegründet. Die heutige Linke hat diesen Anspruch aufgegeben", schreibt Lafontaine. Die Linke habe schleichend ihr politisches Profil geändert. Sie sei zu einer Partei geworden, "in der die Interessen der Arbeitnehmer und Rentner und eine auf Völkerrecht und Frieden orientierte Außenpolitik nicht mehr im Mittelpunkt stehen".

Eine lange Anti-Kriegs-Rede zum Abschied

Lafontaine spielt damit vermutlich auf den Streit an, der die Linke auf Bundesebene seit Jahren beschäftigt, einen Streit, in dem auch seine Ehefrau Sahra Wagenknecht eine tragende Rolle spielt. Wagenknecht und Lafontaine sehen die Linke in einer anderen Rolle als die jetzige Partei- und Fraktionsführung. Sie fordern eine Orientierung an den Interessen der sozial benachteiligten Menschen in Deutschland, Hartz-IV-Beziehende zum Beispiel, sie vertreten in ihren Augen gewissermaßen klassisch linke Politik und sie konstruieren einen Gegensatz zu einer Politik, die - wie Lafontaine und Wagenknecht das sehen - zu einseitig auf Geflüchtete und andere marginalisierte Gruppen ausgerichtet ist.

Lafontaine beklagt auch einen Niedergang der Linkspartei. In den ersten Jahren habe es Wahlerfolge gegeben, aber inzwischen hätten sich viele Arbeitnehmer und Rentner abgewandt, seien zurück zur SPD gegangen, Nichtwähler geworden oder hätten für die AfD gestimmt, schreibt Lafontaine. Nach dem schwachen Abschneiden bei der Bundestagswahl im Herbst 2021 sei nicht mehr zu übersehen: "Normal- und Geringverdiener oder auch Rentner fühlen sich von der Partei nicht mehr vertreten."

Am Mittwoch, einen Tag, bevor der Austritt öffentlich wird, hat Lafontaine noch einmal einen großen Auftritt im saarländischen Landtag. Es ist das letzte Mal, dass er als Berufspolitiker spricht, zur Landtagswahl Ende März tritt er nicht mehr an. "Ich will keine Oppositionsrede halten, sondern meine Gedanken zum Krieg vortragen. Sie werden mir das nachsehen", sagt Lafontaine zu Beginn.

Es folgt eine lange Anti-Kriegs-Rede. Lafontaine spricht über seinen Vater, der im April 1945 kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges ums Leben kam, über den Vietnamkrieg, der seine Einstellung zum Krieg geprägt habe, darüber, dass "kein sibirischer Bauer mit einem Bauern in der Ukraine Krieg führen" wolle, darüber, dass "eine Wirtschaftsordnung, in der eine Minderheit große Vermögen anhäufe, zu Kriegen führe", über Willy Brandt und Michail Gorbatschow, die ihn geprägt hätten, darüber, dass man "nicht alle Russen zu Feinden erklären" dürfe und Russland Putin überleben werde.

Es ist eine Rede, in der Lafontaine noch einmal zeigt, warum er als einer der begabtesten Politiker der Republik gilt, als Menschenfänger, der Marktplätze, Bierzelte und Parteitage für sich einnehmen kann. Aber jeder im Saal weiß auch, dass Lafontaine ein Gescheiterter ist, dessen politische Karriere nun im Streit zu Ende geht. Langer Applaus kommt am Ende der Rede vom ganzen Parlament, auch von der Opposition. Lafontaine schließt mit den Worten "Glück auf", dem Gruß der Bergleute.

Wenige Stunden nach der Meldung von Lafontaines Austritt verschicken Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow, die beiden Parteichefinnen sowie die Fraktionschefs Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch eine Pressemitteilung, in der sie Lafontaines "bleibende Verdienste" würdigen. Sein Austritt sei falsch und die Spitze der Partei bedauere ihn. Auch Gregor Gysi, mit dem Lafontaine lange gemeinsam an der Spitze der Partei stand, meldet sich auf Twitter: "Meine Erinnerung an ihn und unsere Zusammenarbeit ist und bleibt überwiegend positiv." und Bernd Riexinger, der bis vergangenes Jahr Co-Parteichef war, schickt Lafontaine neben Lobes für seine Verdienste bei der Parteigründung noch diesen Satz hinterher: "So viele Menschen, die mal Vorsitzender von zwei Parteien waren und dann ausgetreten sind, gibt es nicht. Vermutlich liegt das nicht nur an den Parteien."

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