Linke in Nordrhein-Westfalen:"Diese Quartalsirren"

Auf dem Weg ins politische Absurdistan? Die Linkspartei in NRW will Energiekonzerne verstaatlichen und ein Recht auf Rausch festschreiben. Das sorgt für parteiübergreifendes Entsetzen.

Dirk Graalmann

Der Wink kam aus den eigenen Reihen. Auf dem Bundesparteitag der Linken im Juni hatte ein Delegierter auf das Namensschild der nordrhein-westfälischen Vertreter einen Warnhinweis gekritzelt: "Hort des Wahnsinns!"

Linke in Nordrhein-Westfalen: Die Linken in NRW wollen unter anderem Energiekonzerne verstaatlichen - das sorgt für Entsetzen.

Die Linken in NRW wollen unter anderem Energiekonzerne verstaatlichen - das sorgt für Entsetzen.

(Foto: Foto: Reuters)

Die NRW-Delegation sah das offenbar als Ritterschlag, in der Berliner Parteiführung aber findet das kaum einer witzig, was der größte westdeutsche Landesverband mit seinen etwa 9000 Mitgliedern so treibt. Schließlich wird am 9. Mai 2010 in Nordrhein-Westfalen gewählt - und eine rot-rot-grüne Landesregierung würde nicht nur die schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit schleifen, sondern auch als Modell für Berlin wirken.

Rechnerisch könnte die Blockbildung womöglich funktionieren: Bei der Bundestagswahl lagen Rot-Rot-Grün in NRW zusammen mit 47 Prozent nur einen Prozentpunkt hinter Schwarz-Gelb.

Derlei Blütenträume aber verdorren schnell in der harten Wirklichkeit. Während für das rot-rote Verhältnis eigentlich Tauwetter angekündigt war, lässt der Programmentwurf der NRW-Linken zur Landtagswahl die SPD frösteln.

Seit die Linke vergangene Woche ihre Thesen vorgestellt hat, die auf dem Parteitag im November zur Abstimmung stehen, herrscht parteiübergreifend Entsetzen. 54 Seiten umfasst der Entwurf, wie üblich aber konzentriert sich die Debatte auf ein paar Punkte: So sollen die Energiekonzerne RWE und Eon "vergesellschaftet", der Religionsunterricht abgeschafft und in der Drogenpolitik ein "Recht auf Rausch" verwirklicht werden.

Auch für die Zukunft der Justiz hat die NRW-Linke einen originellen Ansatz: "In einer sozialen und solidarischen Gesellschaft sollten Gerichte und Staatsanwaltschaften entbehrlich sein."

Aufgeschreckt durch das Negativ-Echo bemühte sich der Linken-Vorstandssprecher Wolfgang Zimmermann flugs, die Empörung einzudämmen. Es werde "sicher noch Änderungen geben", sagte Zimmermann, die NRW-Linke sei "ein diskussionsfreudiger, lebendiger Landesverband." Was die einen lebendig nennen, nennen andere chaotisch. "Wer ein solches Programm beschließt, steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes", polterte der NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU).

Auch bei den Sozialdemokraten, die ein rot-rot-grünes Bündnis nicht mehr ausschließen, ist man erschrocken über "diese Quartalsirren", wie ein SPD-Stratege entnervt anmerkt. Für die SPD-Landeschefin Hannelore Kraft ist die Linke "derzeit inhaltlich wie personell nicht regierungsfähig".

In der grünen Landtagsfraktion gibt es ohnehin erhebliche Vorbehalte gegen ein solches Bündnis. Zwar taugt die anstehende Jamaika-Koalition im Saarland nicht als Modell, weil sich Grüne und FDP in NRW personell wie inhaltlich spinnefeind sind - in der grünen Fraktionsführung aber gibt es zarte schwarz-grüne Gedankenspiele.

Der Linken-Entwurf sorgt jetzt bei den Grünen, deren frühe Programme in den achtziger Jahren ebenfalls recht utopisch klangen, für Entsetzen: "Damit katapultiert sich die Linkspartei endgültig ins politische Absurdistan", sagt die Fraktionschefin Sylvia Löhrmann. "Wer dieses zusammenhanglose Sammelsurium wirklich beschließt, will keine Verantwortung übernehmen."

Dominanz der Anti-Kapitalisten

In der Tat ist unsicher, ob die NRW-Linke - wie von Berliner Strategen vorgesehen - die Partei durch eine Regierungsbeteiligung endgültig im Westen verankern will. "Unsere Glaubwürdigkeit würde als Regierungspartei, die dann nur kosmetische Veränderungen erreicht, schnell verloren gehen", sagte Zimmermann der Süddeutschen Zeitung.

Der Landesverband, ein Konglomerat aus Kommunisten, Marxisten bis hin zu ehemals sozialdemokratischen Gewerkschaftern, ist ein fragiles Gebilde. Etwa siebzig Eintritte pro Woche verzeichnet die Partei nach eigenen Angaben, entsprechend volatil sind die Mehrheitsverhältnisse der Strömungen. "Bei uns ist alles im Fluss", sagt Zimmermann, der - wie ein Großteil der Führungskräfte - zum dezidiert linken Flügel gezählt wird.

Die Dominanz der Anti-Kapitalisten sorgte auch dafür, dass bei der Bundestagswahl exponierte Vertreter der extremen Linken wie Sahra Wagenknecht auf den vorderen Listenplätzen abgesichert wurden.

Die NRW-Linke, gestärkt durch ihre 8,4 Prozent bei der Bundestagswahl, genießt offenkundig ihre Rolle als Enfant terrible der Partei und verbittet sich im Zweifel Einmischung aus Berlin. Während andernorts, wie in Thüringen, eine starke Linke (vergeblich) Zugeständnisse an die SPD macht, um auf die Regierungsbank zu kommen, beginnt die NRW-Linke - obgleich derzeit nur dank eines grünen Überläufers im Düsseldorfer Landtag vertreten - längst, eigene Bedingungen für ein rot-rotes Bündnis zu formulieren.

Eine Zusammenarbeit, sagt Linken-Chef Zimmermann, sei nur vorstellbar, "wenn sich die SPD vom Grundgedanken der Agenda 2010 verabschiedet, nicht mit einzelnen Korrekturen". Ohne grundlegende Korrekturen an ihrem Programm wird auch die NRW-Linke weiter in der Fundamental-Opposition bleiben, für viele womöglich in ihrer Paraderolle: als Hort des Wahnsinns.

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