Linkspartei:Wissler soll Linke zunächst alleine führen

Linkspartei: Janine Wissler. vorerst alleinige Vorsitzende der Linken.

Janine Wissler. vorerst alleinige Vorsitzende der Linken.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Nach dem überraschenden Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow gibt es am Abend eine Krisensitzung der Parteispitze. Eine Nachfolge gibt es nicht, die Co-Chefin Wissler soll vorerst allein an der Spitze der Partei stehen.

Von Philipp Saul

Susanne Hennig-Wellsow ist mit sofortiger Wirkung als Vorsitzende der Linkspartei zurückgetreten. Das teilte sie in einer persönlichen Erklärung mit. Die 44-Jährige führte die Linke gemeinsam mit Janine Wissler seit Ende Februar 2021.

Für den Abend beruft die offenbar überraschte Partei eilig eine Krisensitzung ein. Stundenlang debattieren die Spitzen der Partei, dann verkündet ein Sprecher das Ergebnis: Wissler soll die Partei vorerst alleine weiterführen. Sie habe einen entsprechenden Vorschlag des Parteivorstandes angenommen. Wie lange dieses "vorerst" dauern wird, das weiß an diesem Abend bei der Linken vermutlich niemand.

Nach einem schwachen Abschneiden bei der Bundestagswahl wird die Linkspartei derzeit von einem Sexismus-Skandal erschüttert. Im hessischen Landesverband soll es jahrelang zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. "Die vergangenen Monate waren eine der schwierigsten Phasen in der Geschichte unserer Partei", schreibt Hennig-Wellsow in ihrer Rücktrittserklärung, "Erneuerung ist umso mehr nötig, und diese Erneuerung braucht neue Gesichter, um glaubwürdig zu sein."

Der Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen habe "eklatante Defizite" in der Partei offengelegt. Sie entschuldige sich bei den Betroffenen und unterstütze alle Anstrengungen, die jetzt nötig seien, um aus der Linken "eine Partei zu machen, in der Sexismus keinen Platz hat". Die Sexismus-Vorwürfe sollen an diesem Mittwochabend auch Thema bei einer Krisensitzung des Linkenvorstands sein. In Parteikreisen wurde vorab jedoch nicht mit personellen Konsequenzen in der Bundespartei gerechnet; weder bei Hennig-Wellsow noch bei Wissler, die die hessische Landtagsfraktion jahrelang anführte. Der Rücktritt kommt deshalb überraschend.

Hennig-Wellsow: "Wir haben Vertrauen enttäuscht"

In ihrer Erklärung führt Hennig-Wellsow auch das enttäuschende Ergebnis bei der Bundestagswahl an. Damals war die Linke gerade so wieder in den Bundestag eingezogen und hat sich seitdem nicht wieder von den schlechten Beliebtheitswerten erholt. "Wir haben zu wenig von dem geliefert, was wir versprochen haben. Ein wirklicher Neuanfang ist ausgeblieben. Eine Entschuldigung ist fällig, eine Entschuldigung bei unseren Wählerinnen und Wählern, deren Hoffnungen und Erwartungen wir enttäuscht haben."

Seit Jahren wisse sie, dass "eine programmatische, strategische und kulturelle Erneuerung" der Partei nötig sei". Auf diesem Weg sei man aber bisher "nicht so weit gekommen, wie es meiner Ansicht nach nötig wäre", schreibt Hennig-Wellsow. "Wir haben Vertrauen enttäuscht."

Hennig-Wellsow und Wissler folgten Anfang 2021 auf Katja Kipping und Bernd Riexinger, die nach neun Jahren auf eine weitere Amtszeit als Parteivorsitzende verzichtet hatten. Bevor sie im vergangenen Jahr in den Bundestag gewählt wurde, war Hennig-Wellsow 17 Jahre lang Abgeordnete im Thüringer Landtag, seit 2014 auch als Fraktionsvorsitzende. In diesem Amt erlangte Hennig-Wellsow bundesweite Bekanntheit, als sie im Februar 2020 dem damals mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählten FDP-Politiker Thomas Kemmerich einen Blumenstrauß vor die Füße warf.

Linkspartei: Susanne Hennig-Wellsow wirft Thomas Kemmerich Blumen vor die Füße und wendet sich ab.

Susanne Hennig-Wellsow wirft Thomas Kemmerich Blumen vor die Füße und wendet sich ab.

(Foto: Martin Schutt/picture alliance/dpa/dpa-Zentral)

In ihrer Rücktrittserklärung schreibt sie nun, ihre private Lebenssituation mit einem acht Jahre alten Sohne erlaube es nicht, "mit der Kraft und der Zeit für meine Partei da zu sein, wie es in der gegenwärtigen Lage nötig ist". In ihrem Statement kündigt sie an, in der Linkspartei, ihrem thüringischen Landesverband und im Bundestag weiterarbeiten zu wollen. Sie werde die künftige Parteispitze unterstützen.

Die könnte, so sagte Jörg Schindler, der Bundesgeschäftsführer der Partei, im Juni feststehen. Dann stehe ein bereits lange geplanter Parteitag an. Er werde vorschlagen, dass dieser zur Neuwahl des Parteivorstandes genutzt werde. Den Rücktritt Hennig-Wellsows bedauert er. Die Linke befinde sich "in schwieriger Situation".

Ansonsten gibt es auffallend wenig Reaktionen auf den plötzlichen Rücktritt der Parteivorsitzenden. Auf dem Twitter-Account der Linken heißt es: "Wir bedauern diese Entscheidung sehr. Der Parteivorstand wird heute Abend und am Wochenende über die weiteren Schritte beraten." Von Wissler, der Co-Vorsitzenden, gibt es bis zum Nachmittag keinen Kommentar. Von den prominenteren Köpfen in der Partei meldete sich nur Gregor Gysi zu Wort. Hennig-Wellsow sei, "in ihrer Funktion nicht glücklich" gewesen, sagt Gysi dem Redaktionsnetzwerk Deutschland und fügt dann noch einen Satz an: Hennig-Wellsow sei jedoch "auch nicht glücklich gemacht worden".

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