Linke:Gysis kleine Bewerbungsrede

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In der zweiten Reihe unzufrieden: Ex-Fraktionschef Gregor Gysi, hier bei einer Pressekonferenz des Aachener Karnevalsvereins - bald neuer Vorsitz der "Europäischen Linken"? (Foto: Ina Fassbender/dpa)

Deutschlands bekanntester Sozialist liebäugelt mit dem Vorsitz der "Europäischen Linken".

Von Constanze von Bullion, Berlin

Der Gregor, sagen sie in der Linken, der Gregor bleibt natürlich ganz wichtig für die Partei. Nur, dass er eben, nun ja, nicht ausgerechnet dorthin wollen soll, wo andere jetzt glänzen möchten.

Freitag in der Berliner Energieagentur, einer gläsernen Riesenhalle mit Kühltruhencharme. Die Linkspartei hat zur Europakonferenz geladen, und auf dem Podium führt ein kleiner Herr vor, wie das geht: gegen Europa zu wettern, aber doch dafür zu sein. "Die Europäische Union ist unsozial, undemokratisch, intransparent, bürokratisch und in einer tiefen Krise", ruft Gregor Gysi in den Saal. Der Ex-Fraktionschef der deutschen Linken führt seine Zuhörer vom Neandertal in die Gegenwart, vorbei an Flüchtlingen, Rechtspopulisten und hin zur Europaskepsis seiner Genossen.

Ein vereinigtes Europa, sagt Gysi fast beschwörend, das sei nach dem Ersten Weltkrieg mal eine linke Idee gewesen. Nun gelte es anzupacken und diese rundum unzulängliche EU zu verbessern. "Diese Europäische Union muss deutlich sozialer werden", donnert Gysi, ökologisch nachhaltiger, demokratischer. "Und die Verträge müssen erneuert werden!"

So europa-kritische Worte hört man selten von Europafreund Gysi, und wenn man so will, ist das, was er hier vorführt, eine kleine Bewerbungsrede. Deutschlands bekanntester Sozialist will Vorsitzender der Partei "Europäische Linke - European Left" (EL) werden. Jedenfalls gehen seine Parteifreunde davon aus, dass Gysi es will, sehr sogar. Gysi selbst will sich erst in den nächste Tagen erklären, ist aus seinem Umfeld zu hören. Er sei "stinksauer", erzählen andere, wegen der unschönen Töne, die seine Kandidatur begleiten.

Seit Gysi 2015 unter Tränen angekündigt hat, sich in die zweite Reihe zurückzuziehen, ist es stiller um den Popstar geworden. Gysis Nachfolger Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch haben deutlich gemacht, dass sie sich nicht die Show stehlen lassen. Als Gysi im April drohte, er trete nicht mehr an, wenn er nicht öfter reden dürfe im Parlament und "in großen Zügen" für die Europapolitik zuständig werde, zeigten seine Nachfolger ihm dezent einen Vogel. "Es wäre gut, wenn Gregor Gysi damit klarkäme, dass er nicht mehr in der ersten Reihe sitzt", beschied Wagenknecht ihm kühl. Beim letzten Parteitag, dem mit der Torte, kam Gysi gar nicht erst. Angeblich, weil man ihn nicht reden ließ.

Inzwischen gibt es eine Einigung über Gysis Redezeiten, er tritt auch wieder für den Bundestag an. Ruhe aber ist nicht eingekehrt. Zwar sind viele erleichtert, dass der 68-Jährige in schwerer Zeit ein wichtiges Direktmandat holen will. Klar ist auch, dass Gysi im Bundestagswahlkampf zieht wie keiner sonst. In Partei und Fraktion aber ist auch zu hören, wenn Gysi nicht bald eine neue Rolle bekomme, schieße er dauernd quer und lasse den Jungen zu wenig Raum. "Er weiß halt nicht, was er machen soll, privat ist da Null. Er tut mir auch leid", sagt eine Abgeordnete, die nicht zu Gysis Anhängern gehört. Gysi habe sich kürzlich in der Fraktion beschwert, dass man ihn vergessen habe: "Wie ein beleidigtes Kind, ich fand das deplatziert."

Die Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger suchen nun einen Ausweg und haben Gysi als Kandidaten für den Vorsitz der Europäischen Linken (EL) vorgeschlagen. Das Sammelsurium aus 25 linken und kommunistischen Parteien wird derzeit vom Franzosen Pierre Laurent angeführt. Gysi könnte ihn ablösen, theoretisch. Er habe das Potenzial, die nötige Öffentlichkeit für die EL herzustellen, heißt es lobend an der Berliner Parteispitze. Gysi wurde neulich im Parteivorstand zum Kandidaten für die EL nominiert. Bei der Sitzung aber, so berichten Teilnehmer, gab es so scharfe Kritik an Gregor Gysi, dass er habe gehen wollen und wütend auf Parteichefin Katja Kipping gewesen sei, weil sie die Sitzung schlecht vorbereitet habe. Nun will Gysi noch einmal überlegen und bei europäischen Genossen seine Chancen ausloten.

Tobias Pflüger, der vom linken Parteiflügel kommt und Gysis Europakurs kritisch sieht, ist hörbar unbegeistert von der Kandidatur. "Es ist klar, dass für Gregor Gysi eine Aufgabe her muss", sagt er. Er frage sich aber, ob der Job an der Spitze der Europäischen Linken der richtige sei. "Gysi hat sich mit der EL sehr wenig befasst, da muss man sehr austarieren zwischen verschiedene Parteien", sagt Pflüger. Gremienarbeit sei nicht Gysis Stärke. Er könne auch keine Fremdsprachen, womöglich wolle man ihn nur nach Europa abschieben, murren andere. Vielen ist Gysi schlicht zu europafreundlich.

Als Hauptgegner der Kandidatur aber gilt der Abgeordnete Diether Dehm, Schatzmeister der EL. Dehm, der gern mal mit schrägen Sprüchen auffällt, hat einen Flüchtling im Kofferraum nach Deutschland geschmuggelt. Nun will die Staatsanwaltschaft seine Immunität aufheben, sagte er der taz. Dem Vernehmen nach will Dehm auch wieder EL-Schatzmeister werden. Seine Chancen aber gehen gegen Null, wenn Gysi EL-Vorsitzender wird: Zwei Deutsche dürften nicht an die EL-Spitze gewählt werden. Dehm wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Der Bundesausschuss der Linken jedenfalls hat die knifflige Nominierung der Vorstandskandidaten vertagt, auf November.

© SZ vom 27.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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