Süddeutsche Zeitung

G-20-Gipfel:Man darf linke Gewalt nicht verharmlosen

Viele seriöse G-20-Gegner sind zu wenig auf Abstand zum linken Mob gegangen. Dessen Taten haben nichts mit gerechtem Zorn zu tun.

Kommentar von Matthias Drobinski

Zu den weniger klugen Sätzen nach den Hamburger Krawallnächten gehört auch der: "Das hat mit links nichts zu tun!" Dietmar Bartsch hat das gesagt, der Fraktionschef der Linken im Bundestag, der SPD-Politiker Ralf Stegner hat's beinahe wortgleich getwittert. Sie wollen sagen, wie abscheulich sie es finden, dass der schwarze Mob plündernd und brandschatzend durch die Stadt gezogen ist. Sie haben wahrscheinlich auch deshalb recht, weil es bei manchem Polit-Hooligan wohl nur Zufall ist, dass er benzingefüllte Flaschen nicht im Namen der Rassereinheit wirft, sondern im Kampf gegen das "Schweinesystem". Trotzdem stimmt der Satz nicht. Sehr wohl hat diese Gewalt mit links zu tun, mit den Abgründen linker Ideologie. "Das ist nicht links" ist Verdrängung: Auf unserer Seite kann nur das Gute sein.

Denn es gibt ja sehr wohl eine linke Traditionslinie des revolutionären und gewaltsamen Umsturzes, des militanten Kampfes. Dass Europas Linke heute zu ihrem ganz überwiegenden Teil sehr friedlich bis entschieden pazifistisch denkt und lebt, ist eine glückliche Entwicklung des Nachkriegseuropas. Bei Linksradikalen jedoch ist die Militanz ein Teil des Denkens geblieben. Sie lebt von den Mythen des Spanischen Bürgerkriegs, der Partisanen und Widerständler gegen den Faschismus, von Che Guevara und den lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen, von Hausbesetzer-Romantik, im "Macht kaputt, was euch kaputt macht"-Punk, der, als entschärftes Zitat, in ziemlich vielen Bürgerhäusern läuft.

Vor den Demonstrationen fehlten die Distanzierungen von der Gewalt

Die Rhetorik der verschiedenen Protagonisten der linksautonomen Szene bediente sich vor dem G-20-Gipfel genau dieser Denkfiguren: Man sieht sich im Kampf gegen einen repressiven, gewalttätigen, faschistoiden Staat, gegen den lebensbedrohlichen Kapitalismus und mörderischen Imperialismus - dagegen ist Gewalt legitim, zumindest verständlich. Auch die Suffragetten hätten einst Anschläge verübt, sagte vor dem Gipfel die Sprecherin der Interventionistischen Linken - heute hingegen sei man stolz auf die mutigen Frauen, die vor 100 Jahren das Frauenwahlrecht erkämpften. Recht ist, was dem Menschheitsfortschritt dient; auf dessen Seite man natürlich steht. Vor den Demonstrationen fehlten die Distanzierungen von der Gewalt ganz, nachher kamen sie verquast oder zynisch: Schlimm sei nur, dass die Jungs im falschen Stadtteil randaliert haben.

Warum haben da Sozialdemokraten, Linke, Grüne - all die Gruppen, die doch ihre friedlichen Demonstrationen hätten in Gefahr sehen müssen - nicht sehr viel lauter dem schwarzen Block entgegengeschrien: Haut ab! Die Antwort, dass auch die Polizei nicht mit diesem Ausbruch an Gewalt gerechnet habe, reicht da nicht. Es war auch die Unfähigkeit zu erkennen, dass sich zwar der Zorn der friedlichen Demonstranten und die Zerstörungswut der Militanten gegen die selben Missstände richten - dass es aber trotzdem keine gemeinsame Basis geben kann mit der Menschenverachtung der Gewalttäter. Man hat die gewalttätigen Autonomen behandelt wie pubertierende Jugendliche, die vielleicht ein bisschen wild sind, im Grunde aber nicht verkehrt: Na gut, kommt mit, aber macht nicht wieder alles kaputt. Im Radio singt die Rap-Gruppe K.I.Z.: "Verbrannte McDonald's zeugen von unseren Heldentaten". Und dann staunt man, wenn es brennt.

Tote durch linke Gewalt gibt es offiziell nicht

In Deutschland gibt es 8500 gewaltbereite Linksextremisten, schätzt der Verfassungsschutz (und 12 000 gewaltbereite Rechte). Seit 1990 sind in Deutschland mindestens 78 Menschen durch rechte Gewalt umgebracht worden, Tote durch linke Gewalt gibt es offiziell nicht - wobei das nicht mehr ist als Glück. Die Republik droht nicht unterzugehen durch die linke Gewalt. Man darf diese Gewalt aber nicht weiter als Überreaktion eines im Grunde gerechten Zorns verharmlosen.

In der roten Fauna und Flora muss dieser Kampf gegen den Extremismus im eigenen Denk- und Deutungskreis weiter gehen als nur bis zur Frage, ob es nun eine eigene Gefährderdatei braucht oder ob es wirklich so sinnvoll ist, nun Zentren wie die Rote Flora zu räumen - mit neuer Gewalt. Die Linke muss die Auseinandersetzung mit der eigenen Ideologie wagen: Wie reden wir vom Staat und seinen Institutionen? Wie von seinem Gewaltmonopol? Mancher Zustand im Land schreit zum Himmel, aber: Hier herrscht weder offener noch struktureller Faschismus, dies ist die freieste Staats- und Gesellschaftsform, die es je in Deutschland gab. Dieser Staat ist es wert, dass man sich um seinetwillen empört, und der Menschen wegen, die in ihm leben. Wer aber für seine Zerstörung aufsteht, sollte außerhalb des linken Konsenses stehen - und das auch zu spüren bekommen.

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SZ vom 11.07.2017/fie
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