Süddeutsche Zeitung

Linksfraktion im Bundestag:Minus 30

Das schlechte Wahlergebnis lässt auch die Fraktion der Linken schrumpfen: 39 statt 69 Abgeordnete versammeln sich dort jetzt. Einige Fachexperten haben es nicht mehr geschafft, die beiden Parteivorsitzenden hingegen schon.

Von Christoph Koopmann, München

Eine für die Linke überaus bittere Erkenntnis aus der Bundestagswahl ist, dass man die neue Fraktion am besten zu beschreiben beginnt mit jenen, die nicht mehr dabei sein werden. Lorenz Gösta Beutin zum Beispiel. Beutin, 43, war 2017 in den Bundestag eingezogen und hat sich dort den Ruf erarbeitet, ein besonders engagierter Klima- und Umweltpolitiker zu sein. Diesmal trat er in Schleswig-Holstein auf Landeslistenplatz zwei an und konnte hoffen, recht sicher erneut ins Parlament zu gelangen. Er hat es nicht geschafft.

Vor vier Jahren war die Linke bundesweit noch auf 9,2 Prozent der Zweitstimmen gekommen und hatte zudem fünf Direktmandate geholt. 69 Abgeordnete zählte die Fraktion. Am Sonntag rauschte die Partei auf 4,9 Prozentpunkte ab und darf nur dank dreier direkt gewonnener Wahlkreise wieder eine Fraktion bilden. Die alten, miesen Zeiten von beispielsweise 2002 hatte man eigentlich längst für überwunden geglaubt - damals hatten es wegen eines noch schlechteren Zweitstimmen-Ergebnisses nur zwei Direktkandidatinnen in den Bundestag geschafft.

Ganz so schlimm ist es jetzt nicht. Dankbar wird in Reihen der Linken trotzdem niemand darüber sein, dass die neue Fraktion in den kommenden vier Jahren aus nur noch 39 Abgeordnete besteht. Minus 30 - und Lorenz Gösta Beutin ist einer von denen, die fehlen. Bei Twitter schrieb er am Morgen danach, er müsse sich jetzt erst einmal sortieren.

Wichtige Fachleute haben nicht kandidiert

Das gilt auch für die Fraktion. Denn ohnehin hatten schon vor der Wahl wichtige Fachleute angekündigt, dass sie nicht mehr kandidieren würden: Der Finanzpolitiker und Wirecard-Aufklärer Fabio de Masi zum Beispiel oder der Jurist Niema Movassat. Die Linke im Bundestag hat also einen doppelten Aderlass zu verkraften.

Allerdings gibt es auf der anderen Seite durchaus prominente Neuzugänge: Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler, die Ende Februar den Parteivorsitz übernommen haben, sitzen von nun an auch im Bundestag. Hennig-Wellsow war bislang nur Abgeordnete im Thüringer Landtag, Wissler im hessischen. Man darf davon ausgehen, dass sie sich nicht mit einem Hinterbänklerinnendasein zufriedengeben werden. Weniger bekannt ist der stellvertretende Parteivorsitzender ist Ali Al-Dailami. Er wurde in Jemen geboren und ist heute aktiv vor allem in der Migrations- und Integrationspolitik. Zu diesen Themen dürfte sich Al-Dailami nun auch im Bundestag einbringen, in den er am Sonntag gewählt wurde.

Wenn sich am Dienstag die neu zusammengesetzte respektive zusammengeschrumpfte Fraktion zum ersten Mal trifft, wird es dennoch nicht viele neue Gesichter geben. Altbekannte dafür schon. Dass es zum Beispiel Sahra Wagenknecht, aus Tradition und Leidenschaft im Dauerclinch mit vielen Genossen, erneut in den Bundestag geschafft hat, sollte unterhaltsame Fraktionssitzungen garantieren. Einen Mitarbeiter ihres Wahlkreisbüros hat sie über die Landesliste gleich in den Bundestag mitgebracht: Christian Leye.

Ob und, wenn ja, wie sich das Machtgefüge in der Fraktion nun verschiebt, wird sich bald zeigen. Die beiden Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali haben jedenfalls bereits durchblicken lassen, dass sie ihre Posten nicht einfach so räumen wollen.

Für die Fraktionsspitze zeichnet sich ein Machtkampf ab

Die beiden Fraktionschefs wurden nämlich ebenfalls wieder gewählt, genauso wie die ehemaligen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. Sie alle hatten sich vor der Bundestagswahl aussichtsreiche Listenplätze sichern können, wobei in den meisten Bundesländern angesichts des Ergebnisses am Ende nur Platz eins oder zwei gezogen haben.

Auch Petra Pau schaffte über die Liste den Einzug in den Bundestag, aber man muss sagen: nur. Denn zuvor hatte die Bundestagsvizepräsidentin regelmäßig ihren Berliner Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf als Direktkandidatin gewonnen. Am Sonntag siegte dort Mario Czaja (CDU), früherer Senator für Gesundheit und Soziales. Das zweite von vormals vier Berliner Direktmandaten der Linken verlor Udo Wolf in Pankow, wo Vorgänger Stefan Liebich nicht mehr angetreten war.

Am Ende waren es zwei der Altvorderen, die der Linken überhaupt den Einzug in den Bundestag gesichert haben: Gregor Gysi hat gewohnt souverän seinen Wahlkreis Treptow-Köpenick gewonnen, obschon die CDU versucht hatte, ihn durch die Nominierung der Eisschnelläuferin Claudia Pechstein in Bedrängnis zu bringen. Auch Gesine Lötzsch hat ihren Wahlkreis Lichtenberg direkt gewonnen. Die beiden werden also auch weiterhin zur Linksfraktion zählen. Das dritte und letzte für den Einzug in den Bundestag nötige Mandat holte einer, der überregional weniger bekannt ist als die anderen beiden: Sören Pellmann, Wahlkreisgewinner im Süden Leipzigs. Dort schaffte er es, sich gegen eine Konkurrentin von den Grünen durchzusetzen, sein zweiter Direktsieg nach 2017. In der Linksfraktion sitzen nun 21 Frauen und 18 Männer.

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