Linke: Entwurf für Grundsatzprogramm:Programm entschärft, Probleme vermehrt

Nach vier Jahren Debatte präsentiert die Linke einen Entwurf für ein Grundsatzprogramm. Reformer sagen, sie hätten eine Fassung durchgesetzt, die Regierungsbeteiligungen möglich mache. Schon das könnte die Parteilinke animieren, das Papier zu torpedieren.

Thorsten Denkler, Berlin

Parteichef Klaus Ernst nimmt das Wort ganz selbstverständlich in den Mund: Haltelinien. Gemeint sind jene inhaltlichen Linien die nicht überschritten werden dürfen, wenn sich die Linke an Regierungen beteiligen sollte. Ein wichtiger Begriff in der Linken.

Nach Wahl in Sachsen-Anhalt - Die Linke

Die Linken-Chefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, bereiten sich auf die Vorstandssitzung ihrer Partei vor.

(Foto: dpa)

Seine Ko-Vorsitzende Gesine Lötzsch aber mag dieses Wort offenbar nicht, "das mit 'halten' beginnt und 'Linien' endet". Sie spricht lieber von "Kriterien für gutes linkes Regieren". Darum seien jetzt Formulierung gefunden worden, wie sie "auch den Erfahrungen entsprechen".

Außerdem finde sich das Wort Haltlinien nicht einmal im dem Entwurf für ein Grundsatzprogramm, dass sie und Ernst an diesem Montag im Karl-Liebknecht-Haus vorstellen, der Parteizentrale der Linken im Osten Berlins. Nach dieser Belehrung entgleisen Ernst etwas die Gesichtszüge.

Haltelinie könnte in der Tat ein zu weitgehender Begriff sein. Im März 2010 haben die damaligen Parteichefs Oskar Lafontaine und Lothar Bisky den ersten Entwurf für ein Grundsatzprogramm vorgestellt. Damals war das Wort Haltelinien klar definiert: kein Krieg, keine Sozialkürzungen, keine Entlassungen im öffentlichen Sektor.

Einigen war das zu klar, vor allem den Linken-Landesverbänden, die tagtäglich dem real existierenden Regierungshandeln ausgesetzt sind.

Jetzt heißt es nur noch: An einer Regierung, "deren Politik die Aufgabenerfüllung des öffentlichen Dienstes verschlechtert, beteiligen wir uns nicht". Außerdem seien Regierungsbeteiligungen "konkret unter den jeweiligen Bedingungen zu diskutieren und an diesen politischen Anforderungen zu messen". Einmischungen von oben sind nicht erwünscht. Über "Wahlprogramm und Koalitionsvertrag" befinden die "jeweils zuständigen Parteitage".

Das klingt wesentlich moderater. Diesmal wiederum einigen zu moderat. Die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke glaubt, damit ließen sich sogar Regierungsbeteiligungen mit neoliberalen Partnern begründen.

Vom notwendig gewordenen Bekenntnis zum Existenzrechts Israels und Ergänzungen zum sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft abgesehen, steht allerdings kaum etwas Neues in dem Programm. Hartz IV muss weg, Mindestlohn, keine Kampfeinsätze der Bundeswehr, Banken verstaatlichen, Kapitalismus überwinden - alles altbekannte Forderungen der Linken.

Interessant aber, wie die Linke sprachlich den Umgang mit ihrer Geschichte löst. Mit dem Stalinismus etwa bricht sie ebenso, wie mit der Vorgängerpartei SED. Doch schon ein Satz weiter wird die DDR-Vergangenheit auf schönste Weise verklärt. Die Geschichte der DDR, "auch die der SED", auf den Stalinismus zu verkürzen, sei "unhistorisch und unwahr". Auch in der DDR habe es "eine lebendige Sozialismus-Diskussion, eine reiche kulturelle und geistige Landschaft, großartige Filme, Romane, bildende Künste, Musik und eine engagierte Vermittlung von Kunst, Kultur, Bildung in die Bevölkerung" gegeben, steht dort. Dass diese "lebendige Sozialismus-Diskussion" für die Beteiligten oftmals im Gefängnis endete, steht dort nicht.

Politik für "die Mehrheit der Menschen"?

Ernst und Lötzsch erwarten jetzt, dass sich der gesamte Parteivorstand werbend für den Entwurf einsetzt und die Kompromisse an der Basis erklärt. Leicht wird das nicht. Im Moment jubeln die Reformer, sie hätten einen Programmentwurf durchgesetzt, der Regierungsbeteiligungen realistischerweise überhaupt erst möglich mache. Schon das könnte die Parteilinke animieren, das Papier mit Änderungsanträgen zu torpedieren.

Doch selbst wenn das Programm verabschiedet werden wollte, eine Garantie für eine Befriedung der Partei ist es nicht. Zu tief die Gräben zwischen Ost und West, zwischen Reformern und Linken, als dass danach die Linke in ihrem fünften Geburtsjahr auf Einigkeit hoffen könnte.

Im Gegenteil: In der Linken ist ein regelrechter Verfall der Sitten zu beobachten. In der Fraktion muss sich ein Jungabgeordneter von Ernst mangelnde "Lebensleistung" vorhalten lassen, weil der es gewagt hatte, Kritik an ihm zu äußern. Ernst ist wegen seines Rufs als Porsche-Klaus ohnehin schon zur Belastung für die Partei geworden. Lötzsch wird immer noch die leidige Kommunismus-Debatte vorgehalten, mit der sie die Landtagswahlen im Frühjahr für die Linke erschwert hat.

Im Parteivorstand und in der Bundestagsfraktion wiederum fliegen regelmäßig die Fetzen. Seit neuestem zerren sich Mitglieder gegenseitig vor Gericht, um dort mit einstweiligen Verfügungen Meinungsverschiedenheiten zu erklären. Letztere hat in einem bizarren Streit der Bundestagsabgeordnete Diether Dehm gegen seine Kollegin Rosemarie Hein erwirkt. Die hatte sich in internen Mails über Dehm beschwert, weil der angeblich Kritiker des neuen Grundsatzprogramms nicht mehr mit Stimmen des Landesverbandes Niedersachen unterstützen wollte, dessen einflussreiches Mitglied er ist.

Ein einmaliger Vorgang

Offiziell gilt die Auseinandersetzung seit einer Woche als notdürftig beigelegt. Dennoch soll Dehm von seinen Ämtern als Vorstandsmitglied und Schatzmeister der Europäischen Linken zurückzutreten, fordern die stellvertretenden Landvorsitzenden von Sachsen-Anhalt, Birke Bull und Achim Bittrich, sowie der Chef der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, Steffen Bockhahn.

Deren Vorwurf: Nach diesem "in der Parteiengeschichte einmaligen Vorgang" werden sich Genossen "künftig gut überlegen müssen, ob sie eine politische Auseinandersetzung mit Diether Dehm und anderen wagen, oder ob sie angesichts der Drohung mit Post vom Gericht, horrenden Strafen und Gerichtskosten lieber schweigen, statt ihre Meinung zu artikulieren".

Bezeichnenderweise kursiert in der Partei ein Antrag, die Linke in eine Ost- und West-Partei aufzuteilen. Die Antragsteller kommen aus dem Osten. Chancen hat er nicht. Aber er spiegelt ganz gut das innere Gefüge der Linken wider.

Politik für "die Mehrheit der Menschen" will Klaus Ernst mit der Linken machen. Bis dahin dürfte es noch ein ziemlich weiter Weg sein. Unter anderem wegen der ausufernden Selbstbeschäftigung der Partei, hat die Mehrheit der Menschen heute laut Umfragen herzlich wenig Lust, sich von der Linken vertreten zu lassen.

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