Südasien:Wenn plötzlich Frieden ausbricht

Pakistan und Indien wollen Waffenstillstand achten

Pakistanische Armeesoldaten in der Provinz Bhimber: Ein Posten an der Kontrolllinie, die Kaschmir zwischen Pakistan und Indien trennt. Die rivalisierenden Atommächte Indien und Pakistan kündigen an, den 2003 vereinbarten Waffenstillstand nun strikt zu halten.

(Foto: Anjum Naveed/dpa)

Indien und Pakistan vereinbaren überraschend eine Waffenruhe entlang der "Line of Control", die das umkämpfte und strategisch bedeutsame Berggebiet Kaschmir zerteilt. Doch was bedeutet dies für die Rivalität der beiden Nuklearmächte und die Rolle Chinas in Südasien?

Von Arne Perras, München

Schöner könnte man kaum wohnen als in der Frischluft der Berge am Südrand des Himalaya. Wenn da nicht dieses gefährliche Hindernis wäre mit den drei Buchstaben: LoC. Das steht für "Line of Control" oder jene Trennlinie, die das Konfliktgebiet Kaschmir, um das Delhi und Islamabad schon zweimal Krieg führten, in zwei Gebiete teilt. Eines im Südosten, von Indien kontrolliert, und eines im Nordwesten, das unter pakistanischer Verwaltung steht.

Wenn in den vergangenen Jahren von der LoC die Rede war, ging es meist um Vorwürfe, dass die eine oder andere Seite wieder mal die Waffenruhe gebrochen habe. Kugeln und Granaten flogen über die Trennlinie und forderten Opfer, Soldaten und Zivilisten, laut lokalen Berichten waren es jedes Jahr Dutzende. "Der Tod ist der einzige Sieger in den Gefechten entlang der LoC", betitelte einmal die indische Zeitung The Tribune einen Kommentar. Doch nun erregen zwölf schlichte Zeilen einer Vereinbarung zwischen den beiden Armeen besondere Aufmerksamkeit. Demnach soll Schluss sein mit dem Hin- und Herschießen über die LoC hinweg, so jedenfalls verspricht es ein jüngst von Indien und Pakistan gezeichnetes Papier.

Beide Seiten vereinbarten darin, "mit Effekt von Mitternacht vom 24. auf 25. Februar das Feuer einzustellen". Dies geschehe "im Interesse, einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen", heißt es in der Erklärung, die durch längere verdeckt geführte Verhandlungen zustande gekommen sein soll. Pakistans Militärsprecher Babar Iftikhar erklärt, beide Oberbefehlshaber in Kaschmir wollten die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe "in Wort und Geist" umsetzen.

Die Gräben, die es zwischen beiden Ländern zu überbrücken gilt, sind tief

Nicht nur für Zehntausende Menschen, die entlang der 740 Kilometer langen LoC leben, wäre dies eine große Erleichterung. Es wird nun auch darüber debattiert, inwiefern die überraschende Vereinbarung den Beginn einer dauerhaften Deeskalation zwischen den beiden Erzrivalen einleiten könnte. Doch die Gräben, die es zu überbrücken gilt, sind tief: Neben wiederholter Terrorattacken, für die Delhi Islamabad verantwortlich macht, sind die ständigen Verletzungen der Waffenruhe ein Beleg für das tiefe wurzelnde Misstrauen. Allein im Jahr 2020 will Indien mehr als 5000 Verstöße registriert haben, dabei starben nach offiziellen Angaben 24 Soldaten und 22 Zivilisten im indisch kontrollierten Teil. Pakistan spricht laut der Zeitung Dawn von mehr als 2900 einzelnen Verletzungen der Vereinbarung durch Indien, die zu 33 Todesopfern geführt hätten.

In indischen Medien wurde die Nachricht von der Erneuerung der Waffenruhe eher verhalten aufgenommen, der Zeitung Indian Express sagte ein hochrangiger Offizier, er sei "vorsichtig optimistisch", allerdings gebe es noch keine Vereinbarung, auch Truppen entlang der LoC zu reduzieren. Auf indischer Seite heißt es unter Berufung auf anonyme staatliche Quellen, dass sich an der grundsätzlichen Haltung gegenüber Terrorbedrohungen nichts geändert habe. Man behalte sich das Recht auf Vergeltung vor, sollte Pakistan weiterhin versuchen, Kämpfer und Waffen in den indisch kontrollierten Teil von Kaschmir über die LoC zu schmuggeln und dort Extremisten zu Terrortaten anzustiften. Pakistan hat derartige Vorwürfe stets zurückgewiesen und betont, dass es sich beim Widerstand gegen Indien um Freiheitskämpfer handele, die sich einer indischen Unterdrückung widersetzten.

Die USA appellieren an Pakistan, eine "konstruktive Rolle" in der Region zu spielen

Die Vereinigten Staaten begrüßten die Ankündigung zur Waffenruhe, dies "ist ein positiver Schritt hin zu mehr Frieden und Stabilität in Südasien", erklärte die Sprecherin im Weißen Haus, Jen Psaki. Ihr Kollege vom US-Außenministerium, Ned Price, ging vor Journalisten auf die Frage ein, ob die USA eine Rolle für sich sehen, zwischen Pakistan und Indien zu vermitteln. Er sagte, die USA würden weiterhin "direkten Dialog zwischen Indien und Pakistan über Kaschmir" unterstützen.

Islamabad spiele für die Zukunft Afghanistan eine große Rolle, sagte Price und appellierte an Pakistan, eine "konstruktive Rolle" in der Region zu spielen, auch hinsichtlich Kaschmir. Seit Langem gilt das Land als einer der kompliziertesten Verbündeten der USA, vor allem Vorwürfe, dass das pakistanische Militär heimlich extremistische Gruppen in Afghanistan und in Kaschmir stütze, haben die Beziehungen immer wieder schwer belastet.

Dass Peking im Zuge der neuen Seidenstraße Milliarden in Pakistan investiert, um sich einen Zugang zum Indischen Ozean zu sichern, dürfte Washingtons Bemühungen unter dem neuen Präsidenten Joe Biden stärken, Kontakte zu Islamabad wieder zu intensivieren.

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