Libysche Streitkräfte:Wie gut Gaddafi für die Schlacht gerüstet ist

Was erwartet die Europäer bei einem Angriff auf Libyen? Gaddafis Arsenal ist eindrucksvoll - der Diktator verfügt über zahlreiche Waffen. Aber ob das bunt gemischte Gerät auch funktioniert, weiß niemand.

Tomas Avenarius

Nach dem Beschluss des Sicherheitsrats, die libysche Zivilbevölkerung mit einer Flugverbotszone zu schützen, hat Machthaber Muammar al-Gaddafi unerwartet schnell einen Waffenstillstand im Kampf gegen die Aufständischen angeboten. Fraglich ist, ob Gaddafi das ernst meint: Noch immer stehen seine Truppen vor der Rebellenhochburg Bengasi. Sollte er sein Wort brechen, könnten französische, britische und auch US-amerikanische Jets rasch angreifen.

Die libyschen Streitkräfte

Die libyschen Streitkräfte. Zum Vergrößern klicken Sie bitte in das Bild. Graphik: SZ.

Um ein Flugverbot wirkungsvoll durchzusetzen, müssten die Flugzeuge ein Land überwachen, das fünfmal so groß ist wie Deutschland. Da die Bevölkerungsmehrheit entlang der mehr als 1000 Kilometer langen Mittelmeerküste lebt, wird sich die Aufmerksamkeit auf den Küstenstreifen zwischen der tunesischen und der ägyptischen Grenze konzentrieren.

Der erste Schritt dürfte der Einsatz von Awacs-Radar-Flugzeugen und die Zerstörung der libyschen Luftabwehr durch Kampfbomber sein. Um die Zivilisten in Bengasi zu schützen, könnten die Jets dann die aus dem Westen auf Bengasi vorrückenden Panzer- und Artillerieeinheiten Gaddafis unschädlich machen. Dies wäre im offenen Wüstengebiet leichter möglich als vor Bengasi.

Die Streitmacht neben der Armee

Den westlichen Flugzeugen stünde das moderne Luftwaffenarsenal der Nato-Staaten USA, Großbritannien und Frankreich zur Verfügung. Derzeit liegen aber keine Flugzeugträger vor der libyschen Küste. Großbritannien hat keinen Träger mehr, die französische Charles de Gaulle liegt im Hafen von Toulouse, die USS Enterprise kreuzt im Roten Meer. Wahrscheinlich würden die Kampfflugzeuge von Nato-Basen auf Korsika, Kreta oder in Italien starten.

Unklar ist, wie stark Gaddafis Streitkräfte sind und welche ihrer Waffen sofort eingesetzt werden können. Die Struktur der libyschen Streitkräfte ist zudem teilweise unbekannt. Auf dem Papier verfügt Libyen über eine relativ große Armee mit fast 300 Kampfflugzeugen, 700 Kampfpanzern und Tausenden Truppentransportern. Die Mannschaftsstärke des Heeres wird mit 45.000 Soldaten und Offizieren angegeben, dazu kommen noch 8000 Luftwaffenangehörige. Ein Teil der Armee ist aber zu den Rebellen übergelaufen. Loyaler zu Gaddafi stehen die 40.000 Milizionäre, die eine eigene Streitmacht neben der Armee bilden.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht die Luftabwehr: Libyen verfügt über sowjetisch-russische Luftabwehrraketen der Typen SA-2, SA-6 und SA- 8. Diese stellen eine Gefahr dar, da sie Höhen zwischen 7000 und 8000 Metern erreichen. Unklar ist, wie viele der Raketen funktionsfähig sind. Wegen des internationalen Embargos konnte Gaddafi seine Streitkräfte lange nicht modernisieren. Viele der Waffensysteme sind den Fachleuten von Globalsecurity.org zufolge derzeit kaum zu verwenden. Der Großteil der Gaddafi-Truppen hat sowjetische Waffen; nur Teile davon wurden nach 2003 modernisiert.

Dazu kommt ukrainisches, serbisches, französisches, britisches, italienisches und amerikanisches Gerät. Dieser Herstellermix macht die Wartung schwierig.

Viele Panzer und Flugzeuge sind eingemottet und werden zur Wartung anderer Geräte ausgeschlachtet. So sind die T-54-Kampfpanzer oder die BMP-1- Truppentransporter veraltet.

Libya

Regimetreuer Soldat während einer Gefechtspause: Viele der Waffensysteme sind kaum zu gebrauchen.

(Foto: AP)

Der Diktator hatte sein Land in der Hochzeit des arabisch-israelischen Konflikts in den siebziger Jahren mit Sowjet-Material hochgerüstet. Trotz der Einführung der Wehrpflicht hatte er aber nie genug Soldaten, diese Systeme zu bemannen. Nach dem für Libyen verlorenen Krieg im Nachbarland Tschad fürchtete der Machthaber einen Putsch seiner Offiziere.

Er begann, die Armee von den neunziger Jahren an gezielt zu vernachlässigen. Stattdessen baute er Milizen auf. Sie wurden nach Gaddafis politischer Kehrtwende hin zum Westen nach 2003 modern ausgerüstet und trainiert, zum Teil von britischen Offizieren. Einige unterstehen den Söhnen des Machthabers, sie sind zum Schutz des Regimes nach innen gedacht. Unklar ist, ob sie für eine wirkliche militärische Konfrontation taugen.

Rebellen sind klar unterlegen

Zu den schlagkräftigsten Einheiten gehört die 32. Panzerbrigade, die Gaddafis Sohn Chamis untersteht. Sie verfügt über moderne T-72-Panzer, Mehrfach-Raketenwerfer und Artillerie auf Selbstfahrlafetten. In den Milizen finden sich angeblich Söldner aus afrikanischen Staaten wie Tschad, Sudan, Niger oder Mali. Zahlen gibt es keine: Viele Berichte über die Söldner haben sich als falsch erwiesen.

Trotz der Vernachlässigung seiner regulären Streitkräfte hat Gaddafi einzelne Armeeteile mit modernen Waffen gefördert und mit Angehörigen seines eigenen Stammes bemannt. Auch Teile der Luftwaffe wurden nachgerüstet. Der Machthaber soll heute über 260 Kampfflugzeuge verfügen: Laut BBC sind es französische Mirages, sowjetisch-russische MiG-Jets verschiedener Baureihen wie der MiG-23 und der MiG-25 sowie sowjetisch-russische Suchoi Erdkampf- Flugzeuge. Dazu kommen MiG-25 und MiG-35-Kampfhubschrauber.

Viele der Flugzeuge sollen nicht einsatzbereit sein. Zudem fehlen Piloten: Tripolis soll deshalb ehemalige Warschauer-Pakt-Flieger sowie Piloten aus Serbien, Pakistan und arabischen Staaten angeheuert haben.

Die Streitmacht der Rebellen ist klar unterlegen. Den Aufständischen fehlt es nicht an Kämpfern, zumal Teile der Gaddafi-Armee übergelaufen sind. Die Mehrheit der Aufständischen haben aber keine militärische Ausbildung und nur veraltete, leichte Waffen: Panzerfäuste, Flugabwehrgeschütze und kleinere Raketenwerfer. Dazu kommen alte T-54-Panzer und Mannschaftspanzer. Die Rebellenregierung hat es bisher auch nicht geschafft, ihre Kämpfer in eine halbwegs disziplinierte Armee umzuformen. Die Aufständischen sind Gaddafis Bombern ausgeliefert, denn sie haben keine weitreichende Luftabwehr. Bisher haben Gaddafis Bombenangriffe relativ wenig Opfer verursacht. Aber sie demoralisieren die Rebellen.

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