Libyens gestürzter Machthaber Gaddafi tot:Revolution besiegt Revolutionsführer

Ein Anfang für ein neues Libyen: Der Mann, der vor 42 Jahren als Revolutionsführer die Macht in Libyen übernommen hat, ist tot. Acht Monate nach dem Beginn des Aufstandes in Bengasi feiern die Rebellen nun das Ende des brutalen Machthabers.

Wolfgang Jaschensky

Die lange Jagd auf Muammar al-Gaddafi ist zu Ende. Der Mann, der vor gut 42 Jahren als Revolutionsführer die Macht in Libyen übernommen hat, ist tot. "Wir verkünden der Welt, dass Gaddafi durch die Hände der Revolution getötet wurde", sagt ein Sprecher der neuen libyschen Führung. "Das ist ein historischer Moment, es ist das Ende der Tyrannei und der Diktatur."

Es ist auch ein Anfang - ein Anfang für ein neues Libyen.

Gaddafi war länger an der Macht als alle anderen Potentaten Arabiens, hat länger regiert als jeder demokratisch gewählte Politiker, obwohl er kein Staatsamt mehr innehatte, keinen offiziellen Titel trug. Nachdem er als 27-jähriger Hauptmann am 1. September 1969 in einem unblutigen Staatsstreich König Idris von Libyen absetzte, ließ er sich nur zum Oberst befördern. Und doch war er allmächtig.

Gaddafi, der Jura studiert, die Militärakademie in Bengasi besucht und einen Kurs am British Army Staff College absolviert hatte, ließ sich zeitlebens als "Bruder Führer" feiern. Er wurde als "König von Afrika" von den Potentaten des Kontinents hofiert, von den Führern der arabischen Welt geachtet und erfuhr als Herr über unermessliche Ölreichtümer in den vergangenen Jahren auch bei den Staats- und Regierungschefs Europas neue Wertschätzung.

Das änderte sich erst mit dem Arabischen Frühling. "Bruder Gaddafi, du bist kein Bruder mehr", skandierten die Menschen am 17. Februar 2011 in Bengasi, jener Stadt im Osten Libyens, die seither in aller Welt als "Rebellenhochburg" bekannt war.

Angestachelt von den Umstürzen in den Nachbarländern Tunesien und Ägypten begann hier ein Aufstand, dessen Größe und Wirkung der "Bruder Führer" wohl erahnt, dessen Ausgang er vielleicht befürchtet hat. Von Anfang an ging Gaddafi mit unglaublicher Härte und Brutalität gegen die Demonstranten vor. Hunderte starben allein in den ersten Tagen des Aufstandes, wurden bei Protesten und Trauerzügen erschossen, hingerichtet auf offener Straße, in direkter Konfrontation oder hinterhältig von Scharfschützen.

Doch die Rebellen ließen sich von Gaddafis brutalem Vorgehen nicht stoppen. Binnen einer Woche übernahmen sie die Kontrolle über mindestens sechs Städte, darunter Bengasi, Beida und Tobruk. Noch bevor die Rebellen den Osten des Landes unter ihre Kontrolle bringen konnten, schickte Gaddafi seine Luftwaffe.

Durch die Angriffe auf Bengasi und andere Städte im Osten brachte Gaddafi wieder mehrere Städte unter seine Kontrolle - und beschleunigte am Ende wohl doch seinen Untergang. Die Luftangriffe und die Angst vor einer blutigen Niederschlagung der Rebellen in Bengasi veranlassten eine Koalition mehrerer Staaten unter Führung der USA, Frankreichs und Großbritanniens zur größten Militärintervention in der arabischen Welt seit dem Irakkrieg 2003.

Gaddafi kündigte aus seinem Versteck einen langen Abwehrkampf an: "Dies ist nun eine Konfrontation des libyschen Volkes mit Frankreich, Großbritannien und den USA, mit den neuen Nazis."

Es sollte nicht die letzte Ansprache dieser Art sein, doch ein halbes Jahr nach Beginn des Aufstands war klar, dass Gaddafis Zeit als Libyens Herrscher zu Ende geht: Die Rebellen hatten sich ins Herz der Gaddafi-Macht geschossen und die Hauptstadt Tripolis erobert. Von drei Seiten kommend hatten sie die Millionenstadt im Sturm genommen und Gaddafis ikonenhaften Sitz Bab al-Asisija triumphal besetzt. Doch von Gaddafi fehlte jede Spur.

Von diesem Tag an konzentrierten sich die Rebellen auf die Suche nach Gaddafi. Spekulationen, Gaddafi habe sich in einem Konvoi nach Niger abgesetzt, konnten nie bestätigt werden. Immer wieder kursierten Gerüchte, der gefallene Machthaber habe sich in der Stadt verkrochen, wo er 1942 als jüngstes Kind einer Bauernfamilie geboren wurde: Sirte.

Hier hielten sich die Anhänger Gaddafis auch noch, nachdem der Übergangsrat am Montag die Eroberung der früheren Gaddafi-Hochburg Bani Walid südöstlich der Hauptstadt Tripolis gemeldet hatte.

Am Dienstag drangen dann etwa tausend Soldaten von Osten her in Sirte ein. An diesem Donnerstag ist die letzte Bastion gefallen - und mit ihr Oberst Muammar al-Gaddafi.

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