Libyens Armee:Schwache Krieger

Libyens Armee ist zum Großteil zu den Aufständischen übergelaufen, doch das hilft wenig: Kampfkraft und moderne Waffen sind in den Händen von Gaddafis Milizen. Die Opposition ist militärisch fast schutzlos.

Tomas Avenarius, Bengasi

Die Kampfjets am Eingangstor sind so ziemlich das Einzige, was sich noch in die Luft erhebt auf diesem Flughafen: Aus Aluminium im Halbprofil gehämmert und im Steilflug abgebildet zieren sie den Eingang zum Militärflughafen Benina am Rand von Bengasi. Oberst Mohammed steht am Tor und schaut in den Himmel: "Wir verlieren Zeit. Die Zeit arbeitet gegen uns und für Gaddafi." Der Pilot legt die Stirn in Falten, schiebt eine Hand in die Tasche seines Overalls: "Wenn der Westen nicht rasch eine Flugverbotszone über Libyen schafft, wird es gefährlich. Gaddafi ist stärker als wir."

East Libya situation

Die Armee zählt wenig in Libyen, sie verfügt kaum über moderne Waffen. Die wahre Kampfkraft liegt bei den Gaddafi-treuen Milizen, denen bis zu 30.000 Mann angehören sollen. Im Bild: Ein libyscher Soldat in Bengasi, der Aufständische an einer Luftabwehrstellung ausbildet.

(Foto: dpa)

Seine Flugzeuge zeigt der Oberst nicht. Der Offizier, seit 30 Jahren in der libyschen Luftwaffe, macht keinen Hehl daraus, dass in Benina außer ein, zwei Transportflugzeugen nicht viel flugtaugliches Gerät auf der Rollbahn steht. Die russischen Suchoi-Kampfjets sind nicht mehr da. "Wir haben auch keine Hubschrauber"; sagt Oberst Mohammed.

Militärisch gesehen ist die Opposition schwach. Die Demonstranten haben zwar die vom Ausmaß der Revolte überraschten Milizen von Staatschef Muammar al-Gaddafi fürs Erste aus Bengasi, der zweitgrößten Stadt des Landes, vertrieben, und Teile der im Osten stationierten Armee-Einheiten sind zu den Aufständischen übergelaufen. Aber die Opposition steht fast schutzlos da: Die Armee zählt nicht viel in Libyen.

Kampfkraft und moderne Waffen befinden sich in Händen der Gaddafi-treuen Milizen in der Hauptstadt Tripolis und in seinem Geburtsort Sirte. Die Aufständischen versuchen, mögliche Angriffe abzuwehren: Al-Dschasira zeigte Bilder aus einer Kaserne im Osten Libyens, auf denen zu sehen war, wie Zivilisten Kisten mit Munition öffnen und Luftabwehrgeschütze in Stellung bringen.

Die Schwäche der Armee - das unterscheidet den libyschen Aufstand von den Revolutionen in Tunesien und Ägypten. In Tunis und Kairo waren es die Streitkräfte, die den Jahrzehnte lang regierenden Autokraten am Ende die Tür wiesen: Zine el-Abidine Ben Ali floh vor seinen Offizieren nach Saudi-Arabien, Hosni Mubarak zog sich auf Anordnung seiner früheren Kriegskameraden im Obersten Militärrat nach Scharm el-Scheich zurück. In Libyen hingegen könnte die Revolution scheitern, weil Gaddafi seine eigenen Streitkräfte über Jahre hinweg gezielt geschwächt und stattdessen Milizen aufgebaut hat. So hat Libyen keine funktionierende Armee.

Der Despot von Tripolis ist angeschlagen, aber seine hochgerüsteten paramilitärischen Einheiten stehen noch hinter ihm. Sie können versuchen, den "befreiten Osten" zurückzuerobern. Die Aufständischen haben zu ihrer Verteidigung derzeit offenbar wenig mehr als Gewehre, Stöcke und Steine. Die zu großen Teilen zu den Rebellen übergelaufene Armee ist offiziell etwa 75.000 Mann stark. Aber die Wehrpflichtigen-Streitmacht verfügt über wenig schwere Waffen.

Die Aufständischen kündigen seit Tagen an, eine Streitmacht aufstellen und in die Hauptstadt Tripolis marschieren zu wollen. Zu sehen davon ist in Bengasi nichts: Im Gerichtsgebäude, dem Sitz des Bürgerkomitees, laufen junge Männer mit nagelneuen Uniformen und erbeuteten Gewehren Schau. An der Uferpromenade stehen zwei alte T-52-Panzer, die die Rebellen erobert haben: Sie dienen als Abenteuerspielplatz für Kinder. Ab und an wird in der Stadt mit Luftabwehrkanonen in den Himmel geschossen - ohne Zweck und Ziel. Das befreite Libyen wirkt begrenzt verteidigungsbereit. Luftwaffenoberst Mohammed sagt: "Wir müssten längst schon Tripolis und Gaddafis Stützpunkte in Ghardabiya und Asisiya angreifen."

Gaddafi hat die eigene Armee gezielt geschwächt

In Ghardabiya nahe Gaddafis Geburtsstadt Sirte und in Bab al-Asisiya in Tripolis stehen Einheiten wie die bestens bewaffnete Khamis-Miliz. Sie soll mehrere tausend Mann stark sein. Die Truppe gilt als die kampfstärkste der verschiedenen paramilitärischen Kräfte: Kommandiert wird sie vom Gaddafi-Sohn Khamis. Trainiert wurde sie Medienberichten zufolge von Offizieren der britischen Elitetruppe SAS; auch das US-Militär pflegte engen Kontakt.

East Libya situation

Nicht viel mehr als Gewehre, Stöcke und Steine haben die Aufständischen in Libyen den hochgerüsteten Milizen des Diktators entgegenzusetzen.

(Foto: dpa)

Im Gegensatz zum libyschen Heer verfügt die Khamis-Miliz über moderne Waffen, über Helikopter und Raketenwerfer. Eine weitere Miliz wird von Gaddafis Sohn Saadi befehligt. Dessen Bruder Mutasim wiederum ist Nationaler Sicherheitsberater. Dazu kommen Revolutionsgarden, Stammesmilizen, eine panafrikanische Legion. Die Macht der Gaddafi-Familie beruht auf diesen Truppen.

Genaue Zahlen über deren Stärke gibt es nicht. Der Diktator hat bewusst Parallelstrukturen aufgebaut. Die libysche Exil-Oppositionsgruppe Human Rights Solidarity behauptet, der Staatschef habe 30.000 Milizionäre unter Waffen. Dies dürfte übertrieben sein. Aber Gaddafi mietet sich in Staaten wie dem Tschad, Sudan, Guinea, Angola, Burkina Faso oder Benin zusätzliche Kämpfer. Beim Versuch, den Aufstand niederzuschlagen, sollen sie gleich zu Beginn besonders brutal vorgegangen sein. Die Aufständischen haben Hunderte von ihnen getötet oder gefangengenommen. Angeblich lässt Gaddafi derzeit neue Söldner einfliegen. Viele der benachbarten afrikanischen Diktatoren sind ihm zu Dank verpflichtet. Er hatte ihre Rebellenbewegungen finanziert, bevor sie zu Präsidenten aufstiegen.

Die eigene Armee hingegen hat er gezielt geschwächt: Er wollte einem Coup vorbeugen. Gaddafi selbst, damals Hauptmann, hatte den libyschen König 1969 mit einem Armeeputsch seiner "Freien Offiziere" gestürzt. Der Niedergang der libyschen Armee begann in den achtziger Jahren. Gaddafi war damals Bundesgenosse der Sowjets, träumte von einer Union Libyens mit den afrikanischen Staaten der Sahelzone. Er suchte zugleich Zugriff auf die Uran-Vorkommen auf der tschadischen Seite des Grenzgebiets. Der nach dem Putsch zum Oberst aufgestiegene Revolutionsführer mischte sich in den Bürgerkrieg in dem bitterarmen afrikanischen Land ein, schickte ein Expeditionskorps.

Der Tschad wurde Gaddafis Afghanistan. Mehrere tausend Soldaten fielen, der Krieg soll ihn zwei Millionen Dollar täglich gekostet haben. Seine Armee fand sich auf einem Schauplatz des Kalten Kriegs wieder: Franzosen und Amerikaner unterstützten Gaddafis Gegner. Offiziere meuterten. Einer soll ein Attentat versucht haben. Am Ende stand die Niederlage im Tschad. Es folgte die gewollte Schwächung der Streitkräfte.

Seine Milizen ließ Gaddafi dann vor allem nach seiner politischen Kehrtwende und seiner Annäherung an den Westen aufrüsten. Europäer und Amerikaner begannen die Paramilitärs auszubilden. 2004 wurde das EU-Waffenembargo aufgehoben. 2007 einigten sich Tripolis und Paris auf die Lieferung von 14 Jets, 35 Hubschraubern, Panzerabwehrraketen sowie auf das Training libyscher Einheiten. Großbritannien unterzeichnete ein Militärabkommen, das Ausbildung umfasst. Auch Italien arbeitete mit Gaddafi militärisch zusammen.

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