Süddeutsche Zeitung

Libyen:Warten auf den General

Ob der angekündigte Waffenstillstand hält, hängt vom selbsternannten Staatsoberhaupt Khalifa Haftar ab.

Von Moritz Baumstieger

Nach der Ankündigung eines Waffenstillstandes, Absichtserklärungen zu demilitarisierten Zonen und landesweiten Neuwahlen wartet Libyen weiter auf eine Reaktion des abtrünnigen Generals Khalifa Haftar. Der 76-Jährige verfügt über die militärische Macht im Osten Libyens. Die neue Initiative versucht die international anerkannte Regierung in Tripolis aber mit dem in Tobruk im Osten des Landes ansässigen Parlamentspräsidenten Aglia Saleh anzustoßen. Mit seiner "Libyschen Nationalarmee" verfügt Haftar über ein entscheidendes Instrument, die Lage an den Fronten entweder weiter zu beruhigen - oder eskalieren zu lassen.

Dass Haftar auch nach einer Serie militärischer Niederlagen eine Führungsrolle im Land für sich reklamiert, machte am Freitag eine juristische Auseinandersetzung deutlich, die weit weg von Libyens Schlachtfeldern geführt wird. In den USA strengten mehrere Privatpersonen einen Prozess gegen Haftar an, der auch US-Staatsbürger ist. Als er in den 1980er-Jahren beim damaligen Machthaber Muammar al-Gaddafi in Ungnade fiel, setze er sich in die USA ab und arbeitete dort wohl auch zeitweilig für den Geheimdienst CIA.

Die Kläger in dem Zivilprozess werfen Haftars Libyscher Nationalarmee willkürliche Tötungen, Folter und andere Kriegsverbrechen an Verwandten vor und fordern Millionen Dollar Schadenersatz. Da Haftars Familie Immobilien in Virginia besitzt, könnte ein Urteil durch Pfändungen vollstreckt werden. Um einen Schuldspruch zu verhindern, versucht Haftar, die Argumentation auf eine andere Ebene zu heben: Nach der Darstellung, die seine Anwälte vor Gericht in Falls Church, Virginia, vorbrachten, reklamiert der Warlord für sich, Staatsoberhaupt Libyens zu sein und so rechtliche Immunität zu genießen.

Die international anerkannte Regierung in Tripolis machte am Wochenende ihrerseits klar, dass sie Haftar nicht als Verhandlungspartner akzeptieren will. Die Regierung solle einen Dialog nur mit gewählten Gremien führen, teilte der Hohe Staatsrat am Samstag mit, ein Gremium, das Premier Fayez al-Sarradsch berät. Jegliche Form des Dialogs mit General Khalifa Haftar sei hingegen ausgeschlossen. In den vergangenen Jahren verhandelte Sarradsch wiederholt mit Haftar. Haftar, den selbst ein hoher Diplomat eines der ihn unterstützenden Staaten als "divenhaft" beschreibt, ließ Sarradsch dabei oft auflaufen, erschien teils gar nicht oder mit stundenlanger Verspätung, oder verweigerte ihm den Handschlag. Diese Demütigungen scheint der Premier aus Tripolis nun vermeiden zu wollen. Nun will er mit den Parlamentariern verhandeln, die seine Regierung bislang nicht anerkannten.

Wie tragfähig der Dialog dieser zivilen Akteure sein kann, müssen die kommenden Wochen zeigen. Christian Buck, der im Auswärtigen Amt als Direktor für Nordafrika und den Nahen Osten an den vielen Vermittlungsrunden seines Chefs Heiko Maas beteiligt gewesen sein dürfte, kommentiert die Ankündigung des Waffenstillstandes auf Twitter so: "Das könnte ein Durchbruch sein, wenn jetzt keiner querschießt." Man kann sich vorstellen, auf wen der zweite Teil des Satzes abhebt.

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SZ vom 24.08.2020
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