Süddeutsche Zeitung

Libyen:Der Traum vom Transfer der Macht

Wahlen am Unabhängigkeitstag könnten die seit 2014 währende Spaltung des ölreichen nordafrikanischen Landes überwinden und den Bürgerkrieg beenden. Ob die neue Regierung von Premier Dbeibah das leisten kann, muss sich allerdings erst noch zeigen.

Von Paul-Anton Krüger, München

Nicht viele der mächtigen politischen Akteure in Libyen hätten sich noch vor wenigen Wochen ausgemalt, was sich am Montag in Tobruk zutrug, Zufluchtsort des größeren Teils des gespaltenen Parlaments im Osten des Landes. Vor den Abgeordneten des Repräsentantenhauses wurde die neue Übergangsregierung von Premierminister Abdulhamid Dbeibah mit ihren 33 Ministern und zwei Vizeministern eingeschworen. Sie lösen die bisherige Regierung der nationalen Übereinkunft unter Premier Fayez al-Serraj ab, die 2015 von den UN eingesetzt worden war, aber nie wirklich die Macht im Land ausgeübt hatte.

Dbeibah soll nun gemäß einem von den Vereinten Nationen ausgearbeiteten Friedensplan das gesamte Land regieren und zu Präsidenten- und Parlamentswahlen am 24. Dezember führen, dem Unabhängigkeitstag des Landes. Gelingt der Transfer der Macht auf eine neue Exekutive und Legislative, wäre das ein wichtiger Schritt, die seit 2014 währende Spaltung des ölreichen nordafrikanischen Landes zu überwinden und den Bürgerkrieg beizulegen. Ob Dbeibah das leisten kann und will, muss sich allerdings erst noch zeigen.

Vergangene Woche bereits hatte er eine Vertrauensabstimmung unter jenen Mandatsträgern klar gewonnen, die zu einer eigens anberaumten Sitzung in die Küstenstadt Sirte gekommen waren, dem Sitz einer gemeinsamen Militärkommission aus Vertretern des Ostens mit Benghasi als Metropole sowie des Westens mit der Hauptstadt Tripolis und der politisch ebenso wie wirtschaftlich mächtigen Hafenstadt Misrata. 132 der anwesenden 178 Parlamentarier stimmten für ihn und sein Kabinett.

Zuvor hatten die Delegierten des von den UN eingesetzten Libyschen Politischen Dialogforums in Genf Dbeibah überraschend zum Premierminister gewählt. Das Gremium war gebildet worden, nachdem frühere Vermittlungsversuche der UN gescheitert waren. In einem komplizierten Abstimmungsverfahren setze sich Dbeibah mit 39 von 74 Stimmen auf einer gemeinsamen Liste durch, mit der auch die drei Mitglieder des Präsidialrates mit dem Diplomaten Mohammed Younes al-Menfi als Vorsitzenden bestimmt wurden.

Der Geruch von Korruption umgibt den Premier

Als Favoriten auch der wichtigsten ausländischen Akteure in Libyen galt dagegen das konkurrierende Ticket mit Innenminister Fathi Bashagha aus Tripolis, der gute Beziehungen zur Türkei unterhält, und dem Parlamentspräsidenten Aguilah Saleh aus Tobruk, den Ägypten als neuen starken Mann im Osten protegiert, und der auch mehrmals in Moskau von Außenminister Sergeij Lawrow empfangen wurde. Dbeibah dagegen gilt politisch als unbeschriebenes Blatt, die Familie des Geschäftsmannes war allerdings schon unter dem 2011 gestürzten und getöteten Diktator Muammar al-Gaddafi zu großem Reichtum gelangt - was selten ohne Korruption abging.

Bestechungsvorwürfe ranken sich auch um seine Wahl in Genf: In einem noch für Montag erwarteten Bericht einer UN-Expertenkommission zur Überwachung der Sanktionen an den Sicherheitsrat sollen Vorwürfe näher dokumentiert sein, dass mehreren Delegierten des Dialogforums sechsstellige Dollarbeträge angeboten worden seien, wenn sie für Dbeibahs Ticket stimmen.

Westlichen Diplomaten gilt die Bestätigung des Premiers als wichtiger Erfolg, auch wenn sie einräumen, dass der Weg zu Wahlen noch weit und auch die ausländische Einflussnahme in Libyen damit nicht beendet ist. Erst am Freitag hatte der UN-Sicherheitsrat gefordert, den Friedensplan vollständig umzusetzen, der den Abzug aller ausländischen Soldaten und Söldner vorsieht. Nach UN-Schätzungen halten sich weiter mindestens 20 000 ausländische Soldaten und Milizionäre in Libyen auf, unter ihnen russische Söldner und türkische Truppen sowie Söldner aus Syrien und Sudan.

Den Klientelstaat auf die Spitze getrieben

Auch das neue Kabinett, in dem herausragende Persönlichkeiten fehlen, sieht sich erheblichem Misstrauen gegenüber. Dbeibah habe sich so stark wie keiner seiner Vorgänger auf lokalen Proporz eingelassen und sich damit mannigfaltige Partikularinteressen aus den Reihen des Parlaments unterworfen, sagt Wolfram Lacher, international führender Libyen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Dbeibah habe damit das Prinzip des Klientelstaates auf die Spitze getrieben, das sich seit Jahren in Verteilungskämpfen um staatliche Ressourcen niederschlage und der wichtigste Grund für die allgegenwärtige Korruption sei.

Während westliche Diplomaten darauf beharren, dass es Dbeibahs wichtigste Aufgabe sei, die Wahlen zu organisieren, zweifeln in Libyen viele daran, dass sie am 24. Dezember tatsächlich abstimmen werden. Mit der Wahl würden viele Profiteure der momentanen Situation den Zugriff auf die staatlichen Ressourcen verlieren - nicht zuletzt zahlreiche bewaffnete Gruppen, die eng mit den tonangebenden politischen Repräsentanten verbunden sind.

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