Libyen:Furcht vor neuen Konflikten

Libyen: Von Haftars Truppen beschossen: ein Wohnhaus in Tripolis.

Von Haftars Truppen beschossen: ein Wohnhaus in Tripolis.

(Foto: MAHMUD TURKIA/AFP)

Zwar hält die Waffenruhe in dem Land, doch der politische Prozess kommt nicht voran. Statt zu Wahlen könnte es zu neuer Gewalt kommen.

Von Paul-Anton Krüger, München

Hunderte Pick-ups mit aufgepflanzten Maschinengewehren, moderne Infanteriefahrzeuge, Artilleriekanonen, Luftabwehrgeschütze, Raketenwerfer, Panzer auf Tiefladern, ballistische Raketen - die Aufzählung ließe sich fortsetzen. All dieses Militärgerät ließ der libysche Kriegsherr Chalifa Haftar Ende Mai auf dem Flughafen Benina bei Bengasi auffahren. In hellgrauer Paradeuniform nahm er den Vorbeimarsch seiner Truppen ab, auf einem weißen thronartigen Sessel mit violett getönter Sonnenbrille.

Mit dem Spektakel zum siebten Jahrestag seines Eingreifens in den Bürgerkrieg in Libyen wischte der 77-Jährige zuvor kursierende Gerüchte über seinen Gesundheitszustand beiseite. Zugleich demonstrierte er unübersehbar, dass er militärisch immer noch ein Machtfaktor im Land ist, an dem so einfach niemand vorbeikommt - auch wenn bei der Veranstaltung ein MiG-21-Kampfjet abstürzte, dessen Pilot bei der Generalprobe so tief über die Milizionäre hinweggedonnert war, dass es ihnen die Kappen vom Kopf riss.

Premier Abdulhamid Dbeibah, der im Februar überraschend durch das von den UN moderierte libysche politische Dialogforum an die Spitze der Übergangsregierung gewählt worden war, schlug die Einladung Haftars in den Osten des Landes aus und fuhr stattdessen nach Algerien. Wenig später nahm er im Westen an der Abschlusszeremonie der Militärakademie der Streitkräfte teil - ein Wink an Haftar, dass er diese als Kern eines künftigen libyschen Militärs betrachtet, nicht dessen sogenannte Nationalarmee.

"Es gibt drei Gebiete, auf denen es keine Fortschritte gegeben hat, seit die Übergangsregierung von Premier Dbeibah angetreten ist", sagt Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. "Die Zentralbank ist nach wie vor gespalten, vor allem aber die militärischen Befehlsstrukturen. Zudem sind die ausländischen Söldner und Soldaten nicht abgezogen worden."

Für Wahlen steht weder der organisatorische noch der rechtliche Rahmen

Geld und die militärischen Kräfteverhältnisse - das sind genau jene Bereiche, die entscheidend dafür sein werden, ob der Westen und der Osten wieder zu gemeinsamen staatlichen Institutionen finden. Das ist das erklärte Ziel des von den Vereinten Nationen vermittelten Friedensprozesses. Die Übergangsphase soll abgeschlossen werden mit Wahlen für ein Parlament und womöglich einen Präsidenten, die für den 24. Dezember angesetzt sind - den Unabhängigkeitstag des Landes.

Allerdings steht dafür weder die Organisation, etwa ein Wählerverzeichnis, noch der rechtliche Rahmen. Ein Wahlgesetz sollte das Parlament eigentlich bis zum 1. Juli ausarbeiten. Es fand sich aber in den vergangenen Monaten nur sporadisch zusammen und hat sich bislang nicht einmal auf ein Budget verständigt - maßgeblich, weil konkurrierende Milizen und deren politische Repräsentanten um Macht und staatliches Geld rangeln.

Nun soll erneut das Dialogforum unter der Ägide der UN Anfang Juli in Genf zusammenkommen und einen Vorschlag finden, den dann das Parlament wiederum mit Zweidrittelmehrheit annehmen müsste. Zwar dringt die internationale Gemeinschaft darauf, dass der Termin eingehalten wird. Diplomaten sprechen davon, dass das Dbeibahs wichtigste Aufgabe sei.

Allerdings gibt es viele Interessengruppen in Libyen, die sich mehr von einer Beteiligung an der Übergangsregierung versprechen als von Wahlen, die das Land noch stärker polarisieren könnten. "Das libysche Parlament und die Exekutive allein waren nicht in der Lage, den Prozess voranzutreiben", konstatiert auch Claudia Gazzini von der Denkfabrik Crisis Group. Im Gegenteil: Die Spannungen zwischen den rivalisierenden Gruppen hätten jüngst wieder zugenommen.

Offenkundig ist dies etwa bei der lange vereinbarten und vom UN-Sondergesandten Ján Kubiš angemahnten Wiedereröffnung der wichtigen Küstenstraße, die am Mittelmeer entlangführt. Dbeibah verkündete die Freigabe der seit der Offensive Haftars 2019 auf Tripolis gesperrten Verbindung, die von Sirte, der Heimatstadt des 2011 gestürzten Diktators Muammar al-Gaddafi über Misrata, im Westen die wirtschaftlich und militärisch potenteste Stadt, über die Hauptstadt Tripolis und Bengasi, die Metropole im Osten, bis nach Ägypten führt. Westliche Diplomaten begrüßten die Ankündigung als "wichtigen Schritt" - doch Haftars Truppen dementierten umgehend.

Nach einer Wahl könnten die Konflikte entlang der alten Linien wieder aufbrechen - ein Szenario, auf das sich alle Seiten vorbereiten. Deswegen geht nichts voran beim auf der Berliner Konferenz im Februar 2020 vereinbarten Abzug aller ausländischen Kräfte - die türkischen Soldaten und die russischen Wagner-Söldner sind entscheidend für das militärische Kräfteverhältnis. Und auch nicht bei der Durchsetzung des Waffenembargos. Das Komitee des UN-Sicherheitsrates zur Überwachung der Sanktionen kam im März zum vernichtenden Schluss, das Embargo sei "total ineffektiv".

Positiv entwickelt habe sich dagegen die Versorgungslage, sagt SWP-Experte Lacher - Bargeld, Strom, Benzin und Gas sind wieder besser zu bekommen, auch Gehälter werden wieder gezahlt. Doch all das steht auf dem Spiel, wenn der politische Prozess weiter lahmt.

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