Süddeutsche Zeitung

Libyen:Vorstoß aus Kairo

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Ägyptens Präsident al-Sisi kündigt eine neue diplomatische Offensive für das Bürgerkriegsland an. Allerdings haben die Stellvertreter­mächte völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, wie ein neues Libyen künftig aussehen soll.

Von Dunja Ramadan, München

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat am Samstag in Kairo eine Initiative für ein Ende des Bürgerkriegs in Libyen angekündigt. Links von ihm stand sein Verbündeter, der libysche General Khalifa Haftar, der sich nun endgültig seine Niederlage eingestehen muss. Im vergangenen Jahr hatte Haftar noch den Sturm auf die Hauptstadt Tripolis verkündet. Doch Ende vergangener Woche flohen seine Truppen aus den südlichen Vororten von Tripolis, nachdem Anhänger der international anerkannten Regierung von Premier Fajez al-Serraj zuvor wichtige Gebiete eingenommen hatten. Für die zweieinhalb Millionen Einwohner in der Hauptstadt endet damit ein Leben unter monatelangem Beschuss. Zu verdanken hat Serraj seine Schlagkraft vor allem dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Die Türkei schickte zuletzt moderne Drohnentechnologie, Störsender und rund 5000 syrische Söldner nach Libyen.

Dass der Plan in Tripolis, Ankara oder Doha auf offene Ohren stößt, gilt eher als unwahrscheinlich

Haftars Verbündete, die Vereinigten Arabischen Emirate, Russland und Ägypten, konnten dem abtrünnigen General, der bislang den Osten Libyens kontrolliert hatte, nicht zum Sieg verhelfen. Auch wenn es lange Zeit so aussah. Nun versucht Kairo den Einfluss in dem ölreichen Nachbarland nicht gänzlich zu verlieren und prescht mit einer diplomatischen Offensive vor. So sagte al-Sisi am Samstag, seine Initiative beinhalte eine ab Montag gültige Waffenruhe. Sie solle den Weg für Wahlen in Libyen ebnen. Außerdem rief er die UN auf, die Friedensgespräche in Genf wiederaufzunehmen. In der Zwischenzeit solle ein gewählter Präsidialrat das Land eineinhalb Jahre lang regieren. "Es kann keine Stabilität in Libyen geben, bis friedliche Wege für die Krise gefunden werden, die die Einheit und Unversehrtheit der nationalen Institutionen beinhalten", sagte al-Sisi. Er rief außerdem zu einem Abzug aller ausländischen Kämpfer auf. Tausende Söldner kämpfen auf beiden Seiten des Kriegs.

An der Konferenz in Kairo nahm neben Haftar auch der Vorsitzende des im ostlibyschen Tobruk ansässigen Repräsentantenhauses, Aquila Saleh, teil sowie mehrere ausländische Diplomaten aus den USA, Russland, Frankreich und Italien. Vertreter der Regierung in Tripolis oder von deren Verbündeten Türkei und Katar waren nicht anwesend. Auch blieb eine Reaktion von Premier Fajez al-Serraj auf Sisis Initiative bislang aus. Doch vor wenigen Tagen, als der Premier in Ankara den Sieg über Haftar verkündete, schloss er direkte Friedensgespräche mit seinem Widersacher aus. Auch Mohammed Kanunu, Militärsprecher der Regierungsanhänger, sagte mit Blick auf Haftar: "Wir haben nicht die Zeit, um den Ketzereien eines Kriegsverbrechers über Satellitenkanäle zuzuschauen". Man selbst habe den Krieg nicht begonnen, deshalb werde man selbst bestimmen, wann er enden wird. Außerdem werde man weiterkämpfen, um die Hafenstadt Sirte zu erobern, die Haftars Truppen Anfang des Jahres eingenommen hatten.

Dass der Plan von Ägyptens Präsident in Tripolis, Ankara oder Doha auf offene Ohren stößt, gilt eher als unwahrscheinlich. Die Vorstellungen eines neuen Libyens könnten nicht weiter auseinanderliegen. Nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 war ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Die ideologischen Gräben zwischen den Stellvertretermächten sind tief: Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate sehen in Haftar ein Bollwerk gegen Islamisten, sein Streben nach einer Militärdiktatur in Libyen kommt ihnen entgegen. Beide sehen die demokratischen Forderungen, die in vielen arabischen Ländern im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings laut wurden, als potenzielle Bedrohung ihrer politischen Systeme. Die Türkei und Katar hingegen unterstützen die Milizen auf Seiten von Premier Serraj, die den Muslimbrüdern nahestehen.

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SZ vom 08.06.2020
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