Libyen:"Von Tag zu Tag schlechter"

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Seine Milizen haben Sirte eingenommen: General Khalifa Haftar. (Foto: Julien Mattia/imago)

Mehrere EU-Außenminister suchen nach Lösungen im Stellvertreterkrieg. Vor Ort allerdings eskaliert die Lage.

Von Matthias Kolb und Paul-Anton Krüger, Brüssel/München

- Eigentlich hatten die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands für Januar eine Reise in die libysche Hauptstadt Tripolis geplant, an der auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell teilnehmen sollte. Die Spitzendiplomaten wollten damit einen Friedensprozess in dem nordafrikanischen Land unterstützen, der erst zu einem internationalen Gipfeltreffen in Berlin führen soll und dann zu von den UN vermittelten Gesprächen der libyschen Kriegsparteien. Doch die Situation in Libyen "wird von Tag zu Tag schlechter", wie Borrell am Dienstag in Brüssel sagte, wohin die Minister ihr Krisentreffen verlegen mussten. Borrell forderte ein Ende der Gewalt, aber Libyen versinkt im Bürgerkrieg, ist Schauplatz eines Stellvertreterkonflikts geworden. Dort stehen sich nicht mehr nur rivalisierende Regionalmächte gegenüber, auch russische Söldner mit engen Verbindungen zum Kreml beteiligen sich, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat angekündigt, Truppen zu schicken. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte nach der kurzfristig anberaumten Sitzung, dass es "noch einiges an Arbeit zu erledigen" gebe, um eine politische Lösung für Libyen zu finden. Maas hatte sich am Nachmittag mit Borrell und seinen Kollegen aus Frankreich, Großbritannien und Italien beraten; Rom kommt als früherer Kolonialmacht besondere Bedeutung zu. Maas nannte das Treffen "sehr konstruktiv" und betonte, dass seine Kollegen den Berliner Prozess unterstützen. Dieser soll zu einem Gipfeltreffen in der deutschen Hauptstadt führen, an dem die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats ebenso teilnehmen würden wie wichtige europäische Staaten und die in Libyen involvierten Regionalmächte. Borrell verlangte ein Ende der "Einmischung von außen, die in den vergangenen Tagen zugenommen" habe. Das ist auch das Ziel der von Kanzlerin Angela Merkel angestoßenen Initiative für die Konferenz. Maas sagte, dass nun auch Gespräche mit den Parteien in Libyen geführt werden sollten.

Dort allerdings eskaliert die Lage. Mit dem Kriegsherrn Khalifa Haftar verbündete Einheiten nahmen weitgehend kampflos die Küstenstadt Sirte am Mittelmeer ein. Von dort stammte der 2011 gestürzte Diktator Muammar al-Gaddafi. Eine Miliz in der Stadt und Stammeskämpfer waren auf Haftars Seite übergelaufen, der seit April versucht, die Hauptstadt Tripolis zu erobern. Es ist eine schmerzliche Niederlage für die international anerkannte Regierung unter Premier Fayez el-Serraj. Milizen aus Misrata, die loyal zu Serraj stehen, waren abgezogen, nachdem die angeforderte Unterstützung ausgeblieben war.

Bereits am Wochenende waren bei einem Angriff auf die Militärakademie in Tripolis mindestens 28 Kadetten getötet worden. Der genaue Hergang ist nicht abschließend geklärt, die Indizien sprechen aber für einen Luftangriff. Unter Verdacht gerieten die Vereinigten Arabischen Emirate, die wie Ägypten Haftar unterstützen, und für ihn Angriffe mit Kampfdrohnen aus chinesischer Produktion fliegen. Ebenfalls auf Haftars Seite kämpfen 1400 russische Söldner des Militärdienstleisters Wagner. Sie hatten nach Monaten des Stillstands an der Front Haftar den Vormarsch in Randbezirke von Tripolis nahe dem zerstörten Internationale Flughafens ermöglicht. Die regierungstreuen Milizen haben aber einige dieser Gebiete wieder zurückerobert.

Haftars Einheiten feuern weiter Granaten und Raketen auf die Stadt, vor allem auf den Flughafen Maitiga östlich des Zentrums. Erdoğan hatte als Reaktion ein Militär-Abkommen mit Serraj geschlossen, doch der Aufbau militärischer Fähigkeiten steht erst am Anfang. Bislang sind etwa 300 syrische Turkmenen auf Seiten der Serraj-Regierung im Einsatz. Auch flog eine türkische Drohne erstmals seit Monaten wieder einen Luftangriff auf ein Ziel von Haftars Truppen, die dieser Libysche Nationalarmee nennt - in ihren Reihen kämpfen aber salafistische Milizen und Tausende Söldner aus Sudan und Tschad, denen Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden.

© SZ vom 08.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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