Libyen:Von einer Hölle in die nächste

Libyen: Migranten in Tripoli halten beim Besuch des UN-Generalsekretärs Plakate hoch, die auf ihre prekäre Situation hinweisen.

Migranten in Tripoli halten beim Besuch des UN-Generalsekretärs Plakate hoch, die auf ihre prekäre Situation hinweisen.

(Foto: Mahmud Turkia/AFP)

Tausende Flüchtlinge in Lagern könnten zu Opfern des Bürgerkriegs werden.

Von Oliver Meiler, Rom

Die kriegerischen Wirren in Libyen verschärfen auch die Nöte vieler afrikanischer Migranten, die dort festgehalten werden. Für manche verwandelt sich die Hölle der Lager zur tödlichen Falle. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR berichtet, dass Dutzende Eritreer, Sudanesen und Somalier eingezogen würden von den Milizen in Tripolis, damit sie ihnen bei der Verteidigung gegen die Angriffe der Truppen von Khalifa Haftar helfen, dem mächtigen General aus dem Osten des Landes. Das Auffanglager in Qasr bin Ghashir etwa, im südlichen Hinterland von Tripolis, wo Hunderte Flüchtlinge untergebracht sind, soll zu einer Art Kaserne umfunktioniert worden sein. Vor allem die Eritreer und Sudanesen sind gefährdet, weil viele von ihnen militärisch geschult sind.

Der Fernsehsender Al Jazeera, der sich auf Kontakte im Innern der Lager stützt, hat erfahren, dass die Männer genötigt werden, Waffen an die Front zu transportieren, von denen sie nicht wissen, wie sie funktionieren. Als Gegenleistung sollen sie Lebensmittel erhalten. In anderen Lagern sind die Essensvorräte nach wenigen Tagen des Konflikts ausgegangen. Strom gibt es offenbar nur unregelmäßig, Wasser oft gar keines mehr.

Die meisten Insassen dieser Lager rund um Tripolis sind Menschen, die schon einmal versucht haben, über die Mittelmeerroute nach Europa zu gelangen. Die libysche Küstenwache fing sie ab. 2018 waren es Zehntausende. Die Italiener - und die Europäer - ließen dies bislang immer zu, obschon man über die Zustände in den libyschen Lagern lange Bescheid weiß. Das UNHCR moniert regelmäßig, Libyen sei insgesamt kein "sicherer Hafen". Gerettete Flüchtlinge dorthin zurückzubringen, bricht mit dem Seerecht und den Konventionen. Seit Beginn von Haftars Offensive scheint sich diese Einschätzung zusätzlich zu bestätigen.

Bei den Gefechten kamen bereits mehr als fünfzig Menschen um. Die Europäische Union hat das Personal ihrer Grenzsicherungsmission EUBAM nach Tunesien verlegt, weil sie die Kämpfe fürchtet. Da fragt sich, ob die Mission die Wirren in Libyen nun als Krieg einstuft. Würde sie das tun, müsste im Prinzip allen Menschen, die aus Libyen fliehen, politisches Asyl gewährt werden - auch den Afrikanern aus den Lagern. Diese Aussicht treibt Italiens Vizepremier Matteo Salvini von der rechten Lega um. Bald sind Europawahlen, und Salvini möchte mit seinem Paradethema, der Stilllegung der Fluchtroute, Wahlkampf machen. Nehmen die Überfahrten plötzlich wieder zu, wäre der Plan dahin. Hafenschließungen wären dann nicht nur unmoralisch, sondern auch illegal.

In Libyen tragen Franzosen und Italiener eine alte Rivalität aus. Es geht um Erdöl und Gas

In den vergangenen Tagen schaltete sich der Innenminister deshalb massiv in die italienische Außenpolitik ein. Die Zeitung La Stampa schreibt, Salvini setze seine Hoffnung in Ahmed Maitik, den Vizepremier der libyschen Einheitsregierung aus Misrata. Von dem heißt es, er könnte den amtierenden Premier, den geschwächten Fayez al-Serraj, im Amt beerben. Gleichzeitig will Salvini damit die Kreise des französischen Präsidenten Emmanuel Macron stören, seinem Rivalen in Europa. Macron setzte bisher immer auf Haftar. In Libyen tragen Franzosen und Italiener eine alte Rivalität aus, bei der es vor allem um Erdöl und Gas geht.

Maitik soll Salvini versichert haben, dass die libysche Küstenwache ihre Blockade aufrechterhalte. Dafür schicken Rom und Brüssel ja auch seit zwei Jahren Geld, Motorboote und Ausbilder nach Libyen. Hilfsorganisationen, die im Mittelmeer arbeiten, nennen sie trotzdem nur "die sogenannte Küstenwache". Oft sind die libyschen Beamten rabiat, oder sie antworten gar nicht auf die Funkrufe.

Die italienische TV-Show "Piazza pulita" interviewte kürzlich zwei Offiziere der libyschen Küstenwache, die anonym bleiben wollten. Sie erzählten, dass sie mit den paar rostigen Schiffen aus Italien nichts ausrichten könnten. Rettung? Dafür fehlten die Mittel. Die Dunkelziffer ertrunkener Flüchtlinge soll dramatisch sein. "Wenn das Meer rau ist, schwemmt es jedes Mal Leichen an die Strände. Es sind immer sieben, acht auf einmal, Männer, Frauen, Kinder."

Dennoch gibt es noch immer Menschen, die aus Verzweiflung die Überfahrt wagen und in Libyen ablegen. Wenn sie Glück haben, kreuzt gerade ein Schiff einer NGO in der Nähe und rettet sie aus Seenot. Viele sind es nicht mehr. Etliche haben aufgegeben, andere werden an der Arbeit gehindert. Die Alan Kurdi von der deutschen Organisation Sea Eye zum Beispiel liegt nun schon seit über einer Woche vor Malta und wartet darauf, dass sich genügend europäische Länder finden lassen, die bereit sind, einige ihrer 62 Passagiere aufzunehmen. Sonst lässt man sie nicht anlegen.

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