Libyen: Strategie der Aufständischen:Verloren in der Wüste

Die libyschen Rebellen sind nicht militärisch trainiert, haben keine Kommandostruktur und nur leichte Waffen. An Motivation mangelt es ihnen hingegen nicht. Der Bürgerkrieg könnte lang und hässlich werden.

Tomas Avenarius, Kairo

Der Ausgang des libyschen Konflikts ist offen: Nach einer zweiten Welle westlicher Luftangriffe auf Truppen, Militäreinrichtungen und einen Wohnkomplex des Machthabers Muammar al-Gaddafi haben die Rebellen von Bengasi aus ihre Offensive wieder aufgenommen. Dass sie Gaddafi rasch stürzen können, ist aber keinesfalls garantiert: Der Krieg in Libyen könnte sich lange hinziehen.

A rebel fighter shouts in front of a burning vehicle belonging to forces loyal to Libyan leader Muammar Gaddafi after an air strike by coalition forces, between Benghazi and Ajdabiyah

Jubelnder Aufständischer in der Nähe von Adschdabija: Entscheidend für den weiteren Verlauf des Kriegs dürfte sein, ob die Rebellen zügig nach Westen vorrücken können. Geschieht dies nicht, könnte Libyen zerfallen.

(Foto: REUTERS)

Gekämpft wird inzwischen wieder in mehreren Städten: Bisher treffen die Regimegegner dabei auf harten Widerstand Gaddafi-treuer Einheiten. So sind die Aufständischen erneut auf Adschdabija vorgestoßen, rund 150 Kilometer südlich von Bengasi: Dort befindet sich eine Kreuzung, an der die Überlandstraßen nach Bengasi und Tobruk beginnen. Die Kreuzung eröffnet den strategischen Zugang nach Ostlibyen, das von den Rebellen kontrolliert wird. Auch die von Regierungssoldaten belagerte und vor mehreren Tagen eingenommene Stadt Misrata im Westen nahe der Hauptstadt Tripolis soll erneut umkämpft sein. Angeblich missbrauchen die Regierungstruppen die Einwohner dort als menschliche Schutzschilde.

Entscheidend für den weiteren Verlauf des Kriegs dürfte sein, ob die Rebellen zügig nach Westen vorrücken können. Geschieht dies nicht, könnte Libyen zerfallen: In den von Gaddafi kontrollierten Westen und den Osten mit den Rebellen als Herrschern. Dann entstünde wohl ein langer Bürgerkrieg. Die Luftangriffe der Amerikaner, Briten, Franzosen, Dänen und wohl bald auch einzelner arabischer Staaten allein garantieren jedenfalls keinen Erfolg der Aufständischen.

Gaddafis jüngster Vorstoß auf die Rebellenhochburg Bengasi ist zwar inzwischen gestoppt, das Überleben der Aufstandsbewegung ist damit fürs Erste gesichert. Weniger eindeutig ist aber, ob die Aufständischen alleine weiterkämpfen können. Sie selbst gaben offen zu, dass sie ohne Unterstützung wieder ins Hintertreffen geraten würden. "Wir lehnen ausländische Bodentruppen ab", sagte ein Sprecher. "Aber wir befürworten Luftangriffe auf Gaddafis Truppen."

Um den Herrscher zu stürzen, müssten die Regimegegner entlang der Küstenstraßen in Richtung Tripolis vorstoßen. Anfangs ist das leicht: Gaddafis Truppen können im offenen Wüstengelände keine Jets und Panzer mehr gegen sie einsetzen, da die Luftwaffen der UN-Koalition dies unterbinden würden. Weit schwieriger wäre es, Städte einzunehmen: Die Kriegsschiffe und Flugzeuge der Koalition können Ziele in Städten zur Unterstützung der Regimegegner kaum angreifen: Sie würden Zivilisten gefährden. Das weiß Gaddafi. Seine Truppen dürften sich in Städten wie Sirte, seinem Heimatort, verschanzen und die Einwohner als Geiseln nehmen.

An Motivation jedenfalls fehlt es den Aufständischen nicht. Ihre Kämpfer sind jedoch weder militärisch trainiert, noch haben sie eine Kommandostruktur. Sie haben nur leichte Waffen. Zwar sind ihnen große Waffendepots im Osten nach dem Rückzug der Gaddafi-treuen Milizen in die Hände gefallen; zudem haben die zu ihnen übergelaufenen Teile der Armee Gerät und Munition mitgebracht. Es handelt sich aber um Gewehre, Panzerfäuste und Flugabwehrgeschütze sowie veraltete Panzer, Truppentransporter und kleine Raketenwerfer.

Aus dem Ausland kommen bisher auch keine leistungsfähigeren Waffen. Ägypten schickt angeblich inzwischen Sturmgewehre: Die Lieferungen über die ägyptisch-libysche Grenze hätten "vor einigen Tagen" begonnen, berichtete das Wall Street Journal. Sie fänden mit Wissen der US-Regierung statt. Das Blatt berief sich auf Quellen in Washington. Kairo dementierte: "Keine Einmischung in Libyen, Punkt", sagte eine Sprecherin des Außenministeriums.

Ein weiteres Problem ist die Größe Libyens: Die Küstenlinie ist 1770 Kilometer lang, von Bengasi nach Tripolis sind es 1000 Kilometer. Das Organisieren des Nachschubs wäre schon für eine Armee schwierig. Die Rebellentruppe aber hat bisher kaum die Logistik, Waffen und Sprit im großen Stil zu transportieren. Sie nutzen vor allem Kleinbusse, Pick-up-Trucks und Privatautos. Der Aufbau einer funktionierenden Logistik dürfte dauern.

Entscheidend wird am Ende sein, welchen Rückhalt die Rebellion im Westteil des Landes findet. Tripolitanien beginnt hinter Sirte: Hier liegt die Machtbasis des seit 42 Jahre herrschenden Gaddafi. Im Osten, in der Cyrenaika, hatte er traditionell weniger Rückhalt. Nach Ausbruch des Aufstands in Bengasi im Osten hatten sich aber auch westliche Städte erhoben: Misrata, Suwara und Sawija. Selbst in der Hauptstadt Tripolis gab es einzelne Proteste.

Obwohl der Diktator die Rebellion in den tripolitanischen Städten niedergeschlagen hat, verfügen die Aufständischen dort also über Rückhalt. Sollten bei den fortgesetzten Luftangriffen der UN-Koalition Zivilisten in großer Zahl sterben, könnte Gaddafis Unterstützung im Westen aber auch wieder wachsen. So stehen die westlichen Streitkräfte in Libyen fürs Nächste vor dem Dilemma, die Rebellen aus der Luft zu unterstützen, ohne dass Zivilisten zu Schaden kommen - fast ein Ding der Unmöglichkeit.

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