Libyen: UN beschließen Flugverbotszone:Das riskante Spiel des Westens

Die UN hat einen Militäreinsatz gegen Libyen erlaubt - jetzt wird in Paris, Washington und Rom entschieden, ob Krieg gegen einen der wichtigsten EU-Wirtschaftspartner geführt werden soll. Was droht Gaddafi, was Europa? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur UN-Resolution und dem möglichen Militäreinsatz.

Was steht in der UN-Resolution?

Government Spokesperson Francois Baroin speaks on attacks on Liby

Französische Dassault-Rafale-Kampfflugzeuge und ein E-2C-Hawkeye-Luftraumüberwachungsflugzeug fliegen am 14. Juli 2006 anlässlich der Parade zum Nationalfeiertag über dem Champs-Élysées. Paris will sich an einer Militäraktion beteiligen - ähnlich hat sich Norwegen geäußert.

(Foto: dpa)

Wichtigster Punkt der Resolution des UN-Sicherheitsrats neben dem Erlass einer Flugverbotszone über Libyen: Sie erlaubt den Mitgliedsstaaten "alle notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen, um die Menschen in Libyen vor den Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi zu schützen. Einzige Ausnahme: Besatzungstruppen dürfen nicht eingesetzt werden. Eine Bodenoffensive wird damit ausgeschlossen, die Unterstützung der Rebellen muss durch die Luft erfolgen.

Das höchste UN-Gremium fordert außerdem einen sofortigen Waffenstillstand und ein "vollständiges Ende der Gewalt und aller Angriffe und Misshandlungen gegen Zivilpersonen". Die libyschen Behörden werden aufgerufen, die Versorgung und humanitäre Hilfe für die Bevölkerung sicherzustellen.

Das am 26. Februar 2011 verhängte Waffenembargo wird verstärkt, libysche Schiffe und Flugzeuge sollen intensiver überwacht werden. Gegen den libyschen Botschafter im Tschad und den Gouverneur von Ghat, die beide Söldner für Gaddafis Regime angeworben haben sollen, werden Reiseverbote verhängt.

Zudem werden die Konten von sieben zusätzlichen Personen und fünf Finanzinstitutionen eingefroren: Drei weitere Kinder von Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi sowie der Verteidigungsminister, der Geheimdienstchef, der Chef des militärischen Nachrichtendienstes und der Minister für Energieversorgung haben demnach keinen Zugriff mehr auf ihr im Ausland liegendes Geld. Auch die Guthaben von Zentralbank, Libyscher Investmentbehörde, Libyscher Auslandsbank, Libyschem Afrika-Investment-Portfolio und der Libyschen Nationalen Ölgesellschaft werden eingefroren.

Generalsekretär Ban Ki Moon soll zudem ein Gremium aus acht Experten bilden, das dem UN-Sanktionskomitee bei der Überwachung der Sanktionen hilft.

Antworten auf weitere drängende Fragen - klicken Sie unten für die Antworten:

Welche Staaten wollen sich an Luftschlägen gegen Libyen beteiligen?

Zehn der 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats haben der Resolution zugestimmt. Die übrigen fünf enthielten sich. Neben Deutschland waren das Indien und Brasilien sowie die Vetomächte Russland und China.

97106497

Sie wollen sich gemeinsam mit dem britischen Premier David Cameron eng abstimmen: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und US-Präsident Barack Obama.

(Foto: AFP)

Vor allem Frankreich und Großbritannien hatten sich in den letzten Tagen für ein Eingreifen in Libyen starkgemacht. Auch Norwegen kündigte bereits an, sich an einem möglichen Militäreinsatz zu beteiligen. Der italienische Verteidigungsminister Ignazio La Russa sagte in der Nacht, Italien wolle eine führende Rolle bei der Umsetzung der UN-Resolution spielen. In US-Militärkreisen hieß es dagegen, dass die größte Militärmacht der Welt nicht unmittelbar eingreifen würde.

Deutschland enthielt sich in der Abstimmung und will das auch bei Luftschlägen tun. "Wir verstehen diejenigen, die sich aus ehrenwerten Motiven für ein internationales militärisches Eingreifen in Libyen entschieden haben", sagte Außenminister Guido Westerwelle in Berlin. "Wir sind aber in der Abwägung auch der Risiken zu dem Ergebnis gekommen, dass wir uns mit deutschen Soldaten an einem Krieg, an einem militärischen Einsatz in Libyen nicht beteiligen werden", so der FDP-Chef.

Die EU begrüßte in der Nacht die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates. Sie sei bereit, die Resolution umzusetzen, erklärten EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Außenministerin Catherine Ashton in einer gemeinsamen Stellungnahme. Diese Äußerung bezieht sich aber eher auf die Umsetzung finanzieller Sanktionen sowie auf die Maßnahmen zur Durchsetzung des Waffenembargos.

Die Nato-Botschafter beraten unterdessen in Brüssel über die Umsetzung der Flugverbotszone. In der vergangenen Woche hatten die Nato-Verteidigungsminister beschlossen, dass die Allianz nur mit einem klaren rechtlichen Mandat und starker regionaler Unterstützung agieren wird.

Wann könnten die ersten Luftangriffe stattfinden?

Tornado GR4

Die britische Royal Air Force verfügt über Flugzeuge vom Typ Tornado GR4, die auch möglicherweise bei einer Militärkation gegen Libyen zum Einsatz kommen könnte.

(Foto: dpa)

Die Luftangriffe gegen Gaddafis Armee können nach Angaben aus französischen Diplomatenkreisen bereits an diesem Freitag beginnen. Frankreich werde sich daran beteiligen, sagte Regierungssprecher François Baroin dem Sender RTL.

Wann, wo und in welcher Form die Angriffe stattfinden würden, wollte er vorerst nicht mitteilen. Präsident Nicolas Sarkozy hatte sich im Vorfeld besonders für Luftschläge gegen das Gaddafi-Regime starkgemacht.

Die Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich und der USA wollen sich bei der Umsetzung der UN-Resolution zu Libyen eng abstimmen. Darauf hätten sich der britische Premierminister David Cameron, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und US-Präsident Barack Obama bei einem Telefonat geeinigt, teilte das US-Präsidialamt mit.

Von wo könnten Flugzeuge Richtung Libyen starten?

Italy's PM Berlusconi is greeted by Libya's leader Gaddafi in Benghazi

Sie galten bisher als enge Freunde: Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi und Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. Beide Länder haben auch enge wirtschaftliche Verbindungen.

(Foto: REUTERS)

Die westlichen Staaten verfügen in der Region über ein beträchtliches Militärpotential. Im Mittelmeer kreuzen bereits mehrere Flugzeugträger, die USA unterhalten in Italien einen großen Luftwaffenstützpunkt und Großbritannien hat Einheiten auf Zypern stationiert. Italien kündigte in der Nacht an, seine Militärbasen zur Verfügung zu stellen. Auch Spanien zeigte sich bereit, zwei Luftwaffenstützpunkte im Süden des Landes zur Verfügung zu stellen, dies muss aber vorher vom Parlament abgesegnet werden. Die französische Zeitung Le Figaro vermutet, dass Frankreich Militärflugzeuge von der Mittelmeerinsel Korsika aus einsetzen könnte.

Aus US-Regierungskreisen hieß es, man wünsche eine aktive Rolle der arabischen Staaten bei der Durchsetzung der Flugverbotszone. Piloten aus Jordanien und Oman seien in den USA ausgebildet worden und könnten sich an möglichen Luftangriffen beteiligen.

Was wären die wirtschaftlichen Konsequenzen für Europa?

Libyen: UN beschließen Flugverbotszone: In der Rebellen-Hochburg Bengasi jubeln die Menschen, nachdem der UN-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone beschlossen hat.

In der Rebellen-Hochburg Bengasi jubeln die Menschen, nachdem der UN-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone beschlossen hat.

(Foto: AFP)

Libyen besitzt die größten Ölreserven Afrikas und gilt als einer der bedeutendsten Öl-Exporteure der Welt. Seit dort die Lage eskalierte, ist die Produktion auf nahezu allen Ölfeldern stark reduziert worden. Derzeit wird nur noch etwa ein Drittel der üblichen 1,6 Millionen Barrel Öl täglich gefördert. Der Rohölpreis stieg sprunghaft an.

Die Verabschiedung der UN-Resolution wird weitere Folgen für die Wirtschaft der westlichen Industrienationen haben. Schon vor dem Entschluss des Weltsicherheitsrates hatte der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi gewarnt, die lebhaften Wirtschaftsbeziehungen mit europäischen Ländern seien gefährdet. Dies gilt vor allem für die Haupthandelspartner Libyens - Italien, Frankreich und Deutschland.

Die Geschäftsbeziehungen zwischen Deutschland und Libyen beschränken sich hauptsächlich auf das Ölgeschäft, in Italien hat Gaddafi in den letzten Jahren allerdings kräftig investiert. Er besitzt Anteile an der größten Bank Unicredit, am wichtigsten Rüstungskonzern Finmeccanica und am Autobauer Fiat.

Sogar am italienischen Fußballverein Juventus Turin ist Gaddafi mit 7,5 Prozent beteiligt. Auch das größte italienische Öl- und Gasunternehmen Eni hat langfristige Verträge in Libyen abgeschlossen und plant Investitionen von etwa 18 Milliarden Euro.

Die Reaktion des Gaddafi-Regimes, das den ausländischen Mächten zuvor noch gedroht hatte, viel verblüffend aus: Schon kurz nach der Abstimmung des Gremiums bot der stellvertretende libysche Außenminister Chalid Kaim den Aufständischen an, über einen Waffenstillstand zu sprechen. Am Freitag ging sein Chef, Außenminister Mussa Kussa, sogar noch einen Schritt weiter: "Als UN-Mitglied müssen wir die Resolutionen des Sicherheitsrates respektieren. Wir werden alles unternehmen, um die Zivilbevölkerung zu schützen". Alle Kampfhandlungen der Regierungstruppen würden sofort eingestellt. Lediglich, dass über Libyen niemand mehr fliegen darf, sei "traurig", fügte er hinzu.

Am Freitagabend hieß es weiter aus dem Außenministerium, die auf Bengasi vorgerückten Regierungstruppen würden nicht in die Rebellenhochburg einmarschieren. "Wir haben nicht die Absicht, in Bengasi einzurücken", sagte Vize-Außenminisiter Kaim bei einer vom TV-Sender CNN übertragenen Pressekonferenz in Tripolis. Zu der von den Vereinten Nationen beschlossenen Flugverbotszone sagte Kaim, die gesamte libysche Luftwaffe habe schon seit zwei Tagen keine Einsätze mehr geflogen. Die Regierung von Staatschef Muammar al-Gaddafi lade internationale Beobachter ins Land, um die Einhaltung der Feuerpause zu überwachen.

Noch am Donnerstagabend, kurz vor dem Beschluss der UN, waren von Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi ganz andere Worte zu hören gewesen. Er wolle der Welt "das Leben zur Hölle machen", falls sein Land von ausländischen Mächten angegriffen werden sollte. Der Westen "würde nie wieder Frieden haben", sagte der Diktator in einem Exklusivinterview mit dem portugiesischen Fernsehsender RTP. Sollte die Welt verrückt handeln, werde man ebenso reagieren, warnte Gaddafi in dem etwa dreiminütigem Gespräch. Die Länder der Europäischen Union bezeichnete er als "Verräter", die der Propaganda aufgesessen seien.

Wenige Stunden vor der Abstimmung hatte sich Gaddafi entschlossen gezeigt, die Rebellenhochburg Bengasi und die übrigen Gebiete in der Hand der Aufständischen in Kürze zurückzuerobern. Er forderte die Aufständischen auf, sich zu ergeben. Wer sich jedoch widersetze, dürfe "keine Gnade oder Mitleid" erwarten.

Wie ist die Stimmung in Bengasi?

Pro-Gaddafi rally

In der libyschen Hauptstadt Tripolis demonstrieren Anhänger von Muammar al-Gaddafi.

(Foto: dpa)

In der Rebellenhochburg Bengasi wurde die Entscheidung der Vereinten Nationen begeistert gefeiert. Viele Menschen verfolgten das mit Spannung erwartete Votum des Sicherheitsrates im Zentrum der Stadt auf einer Großbildleinwand.

Als das Ergebnis verkündet wurde, brach Jubel aus. Die Menschen riefen "Libyen! Libyen!" und schwenkten die rot-schwarz-grünen Fahnen aus der Zeit vor Gaddafi. Viele schossen in die Luft oder ließen Feuerwerksraketen steigen. Auch in Tobruk kam es zu Kundgebungen jubelnder Männer und Frauen.

Am Freitagabend hat die Führung der Rebellen alle Aufständischen zur Verteidigung Bengasis aufgefordert. Zuvor hatte der TV-Sender al-Dschasira berichet, die Regierungstruppen rückten auf die Hochburg der Rebellen vor. "Wir rufen unsere Soldaten und Offiziere auf, sich zu bewaffnen und sich nach El Malgrun zu begeben, um den Eingang von Bengasi zu verteidigen und Gaddafis Truppen zurückzudrängen", hieß es in einer im Radio verlesenen Erklärung. El Malgrun liegt rund 50 Kilometer südlich von Bengasi. Beobachtungen von Reportern zufolge machten sich anschließend Dutzende Fahrzeuge mit jungen, bewaffneten Aufständischen auf den Weg in die Stadt.

Zuvor hatte sich in Bengasi eine schwere Explosion ereignet. Wie AFP-Reporter berichteten, waren anschließend Flugabwehrgeschosse in demselben Bezirk in der ostlibyschen Stadt zu hören, in dem sich die Explosion ereignete.

Wie ist die humanitäre Lage vor Ort?

Nach Einschätzung von Amnesty International in Deutschland fehlt es überall in Libyen an Medikamenten und Lebensmitteln. "Es droht eine humanitäre Krise", sagte Generalsekretärin Monika Lüke der Berliner Zeitung. Lüke forderte die Vereinten Nationen auf, primär die humanitäre Versorgung sicherzustellen.

"Das heißt, sie müssen einen Korridor schaffen, damit Medikamente und Lebensmittel nach Libyen und insbesondere zu den Flüchtlingen in der Region gebracht werden können", erläuterte Lüke. "Das muss absolute Priorität haben." An der Grenze zu Tunesien und Ägypten halten sich nach ihren Angaben rund 200.000 Flüchtlinge auf.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: