Libyen-Friedenskonferenz in Berlin:Merkel und die Krieger

FILE PHOTO: A destroyed and burnt tank, that belongs to the eastern forces led by Khalifa Haftar, is seen in Gharyan south of Tripoli

Ein zerstörter Panzer steht südlich von Tripolis. Der Bürgerkrieg in Libyen dauert nun schon Jahre an.

(Foto: REUTERS)

Die Kanzlerin will auf der Libyen-Konferenz in Berlin viele Parteien für einen Frieden in dem Land gewinnen. Das könnte zur Frage führen, ob sich auch Berlin militärisch engagieren wird.

Von Daniel Brössler, Berlin, Paul-Anton Krüger und Christiane Schlötzer, Istanbul

Die Kanzlerin könnte jetzt ausholen. Sie könnte über die besondere deutsche Rolle sprechen. Erwähnen, wie viel Arbeit investiert worden sei. Etwas sagen über ihre Wünsche und Erwartungen. Immerhin ist Angela Merkel gerade eine Frage gestellt worden zu einem Ereignis, das den normalen Berliner Rahmen sprengt. Erwartet werden an diesem Sonntag nämlich die Befehlshaber zweier Bürgerkriegsparteien, Präsidenten und Minister aus den mächtigsten Staaten der Welt.

Es ist nicht schwer, sich das rhetorische Feuerwerk auszumalen, das Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor so einer Konferenz zu zünden wüsste. Merkel sagt: "Wir müssen dann bei der Libyen-Konferenz vor allen Dingen sehen, dass auch das Waffenembargo wieder eingehalten wird, das ja im Grunde UN-mäßig vereinbart ist, aber leider nicht so eingehalten wurde."

In gewohnt Merkel'schem Minimalismus ist damit den Hauptanliegen der Kanzlerin erst einmal Genüge getan. Zum einen: die Erwartungen dämpfen. Merkel folgt damit ihrer üblichen Methode, den ohnehin vorhandenen Druck nicht noch zu verstärken. Was zu dem erwünschten Effekt führt, dass ein Erfolg, wenn er sich dann doch einstellt, umso größer wirkt. Es werde "sicherlich" keine Lösung des Libyen-Konflikts geben, sagt Merkels Sprecher Steffen Seibert am Freitag, vielmehr wolle man einen Beitrag leisten zum "Beginn eines politischen Prozesses".

Was so bescheiden klingt, ist ein ambitionierter Plan, den Merkel im August auf Wunsch des UN-Vermittlers Ghassan Salamé auf den Weg gebracht hatte. In Libyen war der Bürgerkrieg wieder entbrannt, trotz eines UN-Embargos befeuert mit Geld und Waffen aus dem Ausland. Frieden dürfte es nur geben, wenn eine Reihe von Staaten aufhören würde, ihre Schützlinge zu munitionieren.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell

"Wir Europäer verschanzen uns hinter dem Mantra, dass es keine militärische Lösung der Krise in Libyen geben kann. Aber das kann durchaus passieren."

Dieses Ziel vor Augen, besorgte sich Merkel beim G-7-Gipfel in Biarritz einen Arbeitsauftrag. "Wir unterstützen eine Feuerpause in Libyen, die zu einer langfristigen Waffenruhe führen kann", hieß es in der Abschlusserklärung. Stattfinden solle eine "sorgfältig vorbereitete internationale Konferenz, an der alle von dem Konflikt betroffenen Interessenträger und regionalen Akteure teilnehmen". Merkels Konferenz.

Damit ging die Kanzlerin ein Risiko ein, hatte dafür aber gute Gründe. Klar war zum einen, dass zunehmendes Chaos in Libyen neue Flüchtlingsbewegungen auslösen würde. Zum anderen steht Merkel unter dem Druck, der ständigen Beteuerung, Deutschland kenne seine Verantwortung, auch Taten folgen zu lassen. So machten sich Kanzleramt und Auswärtiges Amt in seltener Eintracht an die Arbeit. Fünf Mal luden Merkels außenpolitischer Berater Jan Hecker und, im Auftrag von Außenminister Heiko Maas (SPD), Staatssekretär Andreas Michaelis ihre Kollegen aus den USA, Russland, Frankreich, der Türkei und einer ganzen Reihe weiterer für den Konflikt wichtiger Staaten zu vertraulichen Besprechungen. Ein mögliches Kommuniqué nahm Gestalt an; dann erst wurden die Einladungen verschickt.

Libyen-Friedenskonferenz in Berlin: Der Krieg und seine Akteure: Gefechte zwischen Regierungstruppen und Rebellen südlich von Tripolis (oben). Die Häuser an der Strandpromenade von Bengasi sind schwer gezeichnet (unten). Rebellen-General Haftar (oben rechts) wird von Russland unterstützt - hier mit Außenminister Sergej Lawrow. Der Premier der international anerkannten Regierung, Fayez al-Serraj, dagegen bekommt Hilfe vom türkischen Präsidenten Erdoğan (unten).

Der Krieg und seine Akteure: Gefechte zwischen Regierungstruppen und Rebellen südlich von Tripolis (oben). Die Häuser an der Strandpromenade von Bengasi sind schwer gezeichnet (unten). Rebellen-General Haftar (oben rechts) wird von Russland unterstützt - hier mit Außenminister Sergej Lawrow. Der Premier der international anerkannten Regierung, Fayez al-Serraj, dagegen bekommt Hilfe vom türkischen Präsidenten Erdoğan (unten).

(Foto: Mahmud Turkia, Abdullah Doma, Mustafa Kamaci/afp (3), dpa)

So wird nun Macron anreisen, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, Kremlchef Wladimir Putin und auch US-Außenminister Mike Pompeo. Aus Tripolis kommt der Chef der international anerkannten Regierung, Fayez al-Serraj. Und nachdem Außenminister Maas ihm am Donnerstag in Bengasi seine Aufwartung gemacht hatte, sagte auch General Khalifa Haftar zu, der als Gegenspieler der Regierung große Teile des Landes kontrolliert.

Dass Griechenland nicht zur Berlin-Konferenz eingeladen ist, könnte noch zum Problem werden

Allerdings machte er zuvor einen Zwischenstopp. Im blauen Anzug, mit roter Krawatte und weißem Hemd, erschien Haftar im Athener Außenministerium. Haftar war Donnerstagabend überraschend auf dem Athener Flughafen gelandet und hatte noch in der Nacht den griechischen Außenminister Nikos Dendias zu einem "informellen Gespräch" getroffen. Am Freitagmorgen folgte der offizielle Empfang und ein Händedruck von Premier Kyriakos Mitsotakis in dessen Parlamentsbüro. Die konservative griechische Regierung hofiert den Belagerer von Tripolis. Sie droht, alle Beschlüsse der EU zu Libyen zu blockieren, weil Griechenland nicht zur Libyen-Konferenz in Berlin eingeladen ist.

Der Grund für Athens Einspruch: Griechenland ist erbost über die Regierung von Fayez el-Serraj, weil diese mit Erdoğan ein Abkommen zur Ausbeutung von Bodenschätzen im Mittelmeer getroffen hat, ohne Griechenlands Inseln zu berücksichtigen. So verfährt Athen nun nach dem Motto, der Feind meines Feindes ist mein Freund - und hält sich an Haftar.

In einem Telefonat versuchte Merkel, Mitsotakis zu beschwichtigen. Der Streit um die Ausbeutung der Bodenschätze sei bei der Berliner Konferenz kein Thema, versicherte sie ihm. In der Tat ist das zu bohrende Brett auch ohne dieses Problem dick genug. Die Abschlusserklärung soll den Waffenfluss nach Libyen stoppen und die Voraussetzungen schaffen für einen "politischen Prozess" im Land selbst. Was allerdings nur dann aussichtsreich wäre, wenn es nicht nur bei einer Erklärung bliebe, sondern die Berliner Konferenz auf Arbeitsebene fortgesetzt wird, bis der Bürgerkrieg wirklich beendet ist.

Muss es eine militärische Lösung geben?

Dieser Bürgerkrieg und die Spaltung Libyens gehen letztlich zurück auf die Parlamentswahl 2014. Damals verloren islamistische Gruppen, die nach dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi zur stärksten politischen Kraft aufgestiegen waren, die Mehrheit. Wegen ihres Machtverlusts und der geringen Wahlbeteiligung erkannten sie das Ergebnis nicht an, was zum zweiten Bürgerkrieg führte. Um diesen zu beenden und die Spaltung in zwei konkurrierende Parlamente und Regierungen zu überwinden, wurde unter Vermittlung der Vereinten Nationen Ende 2015 in Marokko das Abkommen von Skhirat ausgehandelt. Damit sollten die Staatsinstitutionen in Libyen wieder geeint werden.

Aber das neu gewählte Repräsentantenhaus, das vor den Kämpfen in Tripolis ins ostlibysche Tobruk ausgewichen war, weigerte sich, die vom UN-Sicherheitsrat einstimmig eingesetzte Regierung der nationalen Übereinkunft unter Fayez al-Serraj zu bestätigen. Der Plan von einer neuen Verfassung platzte, auch Wahlen gab es seither nicht. Stattdessen verfestigte sich die Spaltung, wuchs die Macht bewaffneter Gruppen auf beiden Seiten. Noch einmal, im April 2019, unternahmen die UN und deren Sondergesandter Salamé nach 18 Monaten Vorbereitung den Versuch, eine Libysche Nationalkonferenz zur Aussöhnung auszurichten. Doch General Haftar kam dem mit einer Offensive zur Eroberung von Tripolis zuvor.

Ausländische Einmischung und militärische Unterstützung für die Kriegsparteien gibt es seit Jahren. Die UN haben akribisch zahlreiche Verstöße gegen das Waffenembargo dokumentiert. Die Vereinigten Arabischen Emirate, wichtigster Unterstützer Haftars, und Ägypten flogen immer wieder Luftangriffe für dessen Libysche Nationalarmee; sie liefern Waffen, Jordanien bildet seine Kämpfer aus. Auch Frankreich unterstützte lange recht offen Haftar. Die Türkei dagegen hilft Milizen, die loyal zur Einheitsregierung in Tripolis stehen.

Seit dem Frühjahr 2019 ist der Krieg noch einmal eskaliert. Die Emirate verlegten Kampfdrohnen nach Libyen und flogen seither Tausende Luftangriffe zur Unterstützung von Haftars Offensive. Sie brachten zudem aus Russland stammende Luftabwehrsysteme nach Libyen, die auf militärischen Lastwagen montiert sind, die mutmaßlich einmal aus Deutschland in die Emirate gelieferten wurden. Sie schossen damit türkische Kampfdrohnen ab, die Erdoğan der Serraj-Regierung neben gepanzerten Fahrzeugen zur Verfügung gestellt hatte - im November aber auch eine US-Aufklärungsdrohne.

Außenminister Maas im Hauptquartier von General Haftar

Außenminister Maas am Donnerstag im Hauptquartier von General Haftar in Libyen.

(Foto: dpa)

Im Herbst waren zudem die ersten russischen Söldner der eng mit dem Kreml verbundenen Gruppe Wagner in Libyen aufgetaucht. Sie steuern Artilleriefeuer, setzen Kampfjets in Stand, schicken Scharfschützen an die Front. Ihre Ausbildung und moderne Militärtaktik brachte Haftar zeitweise einen entscheidenden militärischen Vorteil. Nach Schätzungen westlicher Geheimdienste sind mindestens 1400 dieser Söldner in Libyen stationiert.

Russland und die Türkei sind die wichtigsten externen Mächten in dem Land

Präsident Putin hat ihren Einsatz nicht bestritten. Er sagte kürzlich nach einem Treffen mit Merkel in Moskau lediglich, wenn in Libyen Russen seien, dann nicht auf Geheiß des russischen Staates und auch nicht von diesem bezahlt - das Geld, so sagen Geheimdienstler, kommt wahrscheinlich vom Golf, also aus den Emiraten und möglicherweise auch aus Saudi-Arabien. Erdoğan hat daraufhin ein Abkommen zur Militärkooperation mit al-Serraj geschlossen und die Entsendung türkischer Truppen angekündigt. 35 Offiziere sollen als Vorauskommando bereits in Libyen sein, zudem 300 syrische Söldner in türkischen Diensten. Ihre Zahl soll bald auf bis zu 2000 steigen. Beide Seiten rüsten also ihre Leute in Libyen weiter auf.

Russland und die Türkei sind damit binnen weniger Wochen zu den wichtigsten externen Mächten in Libyen aufgestiegen und haben sich so ihre Mitsprache bei jeder politischen Lösung für Libyen gesichert. Der Versuch, al-Serraj und Haftar in Moskau auf einen Waffenstillstand zu verpflichten, scheiterte aber am General.

Der neue EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, die Europäer sollten sich nun "nicht hinter dem Mantra verschanzen, dass es keine militärische Lösung in Libyen geben kann". Das sei etwas, was sehr gut passieren könne. Auch Macron warnte, man müsse sich beeilen - sonst passiere das Gleiche wie in Syrien, wo zwei Staaten eine militärische Lösung herbeigeführt hätten: Russland und die Türkei.

Das wollen die Europäer nicht noch einmal geschehen lassen. Damit steht jedoch spätestens nach dem Treffen am Sonntag die Frage im Raum, wer sich an einer möglichen UN-Truppe zur Absicherung des Friedensprozesses in Libyen beteiligen wird. Richten wird sie sich nicht zuletzt an den Gastgeber der Berliner Konferenz.

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