Süddeutsche Zeitung

Libyen:Schwere Kämpfe in Tripolis

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Nach den Gewaltausbrüchen in der libyschen Hauptstadt konnte Premier Dabaiba den Übernahmeversuch der Parallelregierung vorläufig abwehren. Hinter dem Konflikt zweier rivalisierender Gruppen stehen die strategischen Interessen einiger Großmächte.

Von Mirco Keiberth, Tunis

Bei schweren Kämpfen wurden am Samstag in der libyschen Hauptstadt mindestens 32 Menschen getötet, über 160 wurden nach Angaben von Krankenhäusern verletzt. Milizen beschossen sich in mehreren Wohngebieten der Zwei-Millionen-Stadt mit Luftabwehrgeschützen und Raketen. Einige Kampfzonen waren auch noch am Sonntag für Freiwillige der Hilfsorganisation Roter Halbmond unerreichbar, daher dürfte die Zahl der Opfer weit höher liegen. Begonnen hatte der erneute Kampf um Tripolis mit einem Überfall auf eine regierungstreue Miliz auf der Zawia-Straße im Zentrum.

Gleichzeitig griffen Anhänger der Parallelregierung von Fathi Bashagha strategisch wichtige Kontrollpunkte westlich und südlich von Tripolis an. Nach Treffern auf Tankstellen und brennenden Straßenzügen stand am Nachmittag schwarzer Rauch über der Stadt, Menschen suchten in Panik in Cafés, Restaurants oder zu Hause Schutz. Seit Februar beanspruchen zwei Regierungen die Macht in dem ölreichen Sechs-Millionen-Einwohner-Land.

Der schwerreiche Geschäftsmann Abdul Hamid Dabaiba war im Januar 2021 von einer Wahlkommission unter Vermittlung der Vereinten Nationen für ein Jahr zum Übergangspremier ernannt worden. Doch die für Dezember letzten Jahres geplanten Wahlen wurden im letzten Moment abgesagt. Milizen hatten mit Gewalt gedroht, da mit Muammar Gaddafis Sohn Saif al-Islam, dem Warlord Khalifa Haftar und schließlich auch Dabaiba für jeweils eine der beiden ehemaligen Kriegsparteien untragbare Kandidaten angetreten waren.

Dabaiba blieb entgegen seines Versprechens dennoch im Amt und gewann dank üppiger Geldzahlungen die Gunst des Kartells der Hauptstadtmilizen. Haftar und der Parlamentspräsident Aguila Saleh versuchten es nach dem Scheitern ihrer Militäroffensive auf Tripolis nun mit der Nominierung eines Gegenpremiers. Doch der im Frühjahr ernannte ehemalige Innenminister Bashagha scheiterte nun ein drittes Mal, damit nach Tripolis zu gelangen.

Beide Seiten müssen nun den Unmut der Bevölkerung fürchten

Nach dem Abflauen der Kämpfe besuchte Premier Dabaiba an neuralgischen Punkten stationierte Militäreinheiten. Zuvor waren Gerüchte gestreut worden, seine Regierungsmaschine habe den Flughafen Tripolis Mitiga in Richtung Tunis verlassen. Doch die Gespräche mit den schwerbewaffneten und von der Heftigkeit der Kämpfe selbst überraschten Kämpfern diente nicht nur als Beweis seiner Anwesenheit in Tripolis. Den ihn begleitenden Journalisten versicherte Dabaiba ungefragt, dass den Kämpfen Gespräche mit der Parallelregierung von Bashagha vorausgegangen seien. Beide Seiten müssen aufgrund der vielen zivilen Opfer und der Zerstörung ganzer Straßenzüge den Unmut der Bevölkerung fürchten.

"Um ein Blutvergießen zu verhindern, habe ich schon vor längerer Zeit vorgeschlagen, Ende diesen Jahres Wahlen abzuhalten", so Dabaiba. Ein Regierungssprecher sagte, die dritte Runde der Verhandlungen hätte am Freitag in der Hafenstadt Misrata stattfinden sollen. "Doch Bashaghas Verhandlungsteam hat das Treffen im letzten Moment abgesagt", sagt Mohamed Hammouda, Sprecher der libyschen Regierung der nationalen Einheit.

Entscheidend könnte am Samstag wieder einmal die türkische Militärhilfe für die Regierenden in Tripolis gewesen sein. Nach den Angriffen türkischer Bayraktar-Drohnen brachen Bashagha-treue Gruppen ihren Marsch auf Tripolis ab.

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