Libyen:Schlacht der Stellvertreter

Libyen: Schwere Beute: Die libyschen Regierungstruppen posieren mit den in Russland hergestellten Pantsir-Luftverteidigungssystemen, die zuvor General Haftar gehört hatten. Dessen Einheiten wurden zuvor von der strategisch wichtigen Luftwaffenbasis Al-Watia zurückgedrängt.

Schwere Beute: Die libyschen Regierungstruppen posieren mit den in Russland hergestellten Pantsir-Luftverteidigungssystemen, die zuvor General Haftar gehört hatten. Dessen Einheiten wurden zuvor von der strategisch wichtigen Luftwaffenbasis Al-Watia zurückgedrängt.

(Foto: Mahmud Turkia/AFP)

Der Bürgerkrieg in Libyen eskaliert. Nun könnte es zu einer direkten Konfrontation der Türkei mit Russland und den Emiraten kommen.

Von Tomas Avenarius und Paul-Anton Krüger, Istanbul/München

Kaum eine Drohung ist zu bombastisch, um den Kriegsparteien in Libyen übertrieben vorzukommen. "In den kommenden Stunden werden Sie die schwersten Luftangriffe in der Geschichte Libyens sehen", kündigte Generalmajor Saqr al-Jaroushi am Donnerstag an, als sich die Muslime in aller Welt auf die höchsten Feiertage des Islam zum Ende des Ramadan vorbereiteten. Der Mann ist Luftwaffenchef des abtrünnigen Kriegsherrn Khalifa Haftar, der sich als Feldmarschall titulieren lässt. Er kontrolliert weite Teile des Landes im Osten und Süden, hat sich jüngst zum Alleinherrscher ausgerufen.

Das Bombardement durch Frankreich, Großbritannien, die USA und andere Nato-Staaten 2011 hatte al-Jaroushi da wohl vergessen, aber die Ankündigung lässt eine weitere Eskalation des Bürgerkriegs in dem nordafrikanischen Land befürchten. "Wir erleben weiter einen alarmierenden militärischen Ausbau als Folge des ununterbrochenen Einsatzes immer ausgefeilterer und tödlicher Waffen durch die ausländischen Unterstützer", warnte die amtierende UN-Sondergesandte Stephanie Williams am Mittwoch im UN-Sicherheitsrat. Dies könne zu einem "umfassenden Stellvertreterkrieg" in Libyen führen.

"Fraglich ist, ob Russland bereit zu einem direkten Zusammenstoß mit der Türkei ist", sagt Lacher

Dabei könnten Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate auf Seiten Haftars auf die Türkei treffen. Sie unterstützt Milizen, die loyal zu der in der Hauptstadt Tripolis ansässigen international anerkannten Einheitsregierung unter Premier Fayez al-Serraj stehen. "Alle türkischen Positionen und Interessen in allen Städten sind legitime Ziele für unsere Kampfjets", drohte al-Jaroushi. In Tripolis nimmt man das ernst, denn nach Informationen der Regierung dort soll Haftar mindestens acht Kampfjets russischer Bauart erhalten haben, darunter sechs MiG-29 und zwei Jagdbomber vom Typ Suchoi-24. Sie sollen vom russischen Luftwaffenstützpunkt Khmeimim nahe der syrischen Hafenstadt Latakia nach Libyen überführt worden sein - angeblich eskortiert von modernen Suchoi-35-Jets der russischen Luftwaffe.

Ob die Geschichte mit dem Begleitschutz stimmt, ist nicht gesichert. Die Lieferung von Kampfjets an Haftar aber gilt westlichen Diplomaten als bestätigt - sie sprechen von deutlich höheren Stückzahlen. Sie sehen darin einen Versuch von Haftars Unterstützern, dessen jüngste militärische Niederlagen wettzumachen. Zuletzt hatten seine Truppen den strategisch wichtigen Luftwaffenstützpunkt al-Watiyah in der Nähe der Grenze zu Tunesien räumen müssen und auch im Großraum Tripolis zunehmend an Gelände verloren.

Haftar hatte im April 2019 eine Offensive gestartet mit dem Ziel, die Hauptstadt zu erobern und die Kontrolle über ganz Libyen zu übernehmen. Doch war der Vormarsch seiner Truppen in den Vororten zum Stehen gekommen. Moskau und Abu Dhabi verstärkten daraufhin ihre Unterstützung. Hunderte Söldner des russischen Militärdienstleisters Gruppe Wagner, der eng mit dem Kreml verbunden ist, brachten Haftar entscheidende Vorteile, wie es im neuesten UN-Bericht zu Verstößen gegen das UN-Waffenembargo heißt. Auch syrische Söldner, rekrutiert aus Reihen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad, kämpfen inzwischen neben bezahlten Kriegern aus Tschad und Sudan für Haftar. Die Emirate schickten neue Kampfdrohnen und stationierten in Russland hergestellte Pantsir-Luftabwehrsysteme.

Doch die Türkei zog nach: Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ seinerseits Luftabwehrraketen nach Libyen bringen, vermutlich vom Typ Hawk, ein in die Jahre gekommenes System aus den USA, dazu Störsender zur elektronischen Kampfführung. Das reichte, um die emiratischen Drohnen im Großraum Tripolis zu neutralisieren. Zugleich schickte die Türkei weitere selbst produzierte Bayraktar TB2 Kampfdrohnen, die Haftars Nachschublinien attackierten. Seine Truppen verloren in der Folge einige Orte an der Küste bei Tripolis und den Luftwaffenstützpunkt al-Watiyah.

Für türkische Zeitungskommentatoren scheint der Sieg bereits ausgemacht: "Haftars Festung ist erobert", schreibt die regierungsnahe Zeitung Yenişafak. Und bei Yeni Söz heißt es: "Für Haftar hat der Countdown begonnen." Sie sehen Erdoğans Kurs bestätigt. Nur Dank beratender türkischer Offiziere konnten Haftars Truppen vertrieben werden. An der Seite der Serraj-Regierung stehen auch zahlreiche syrische Milizionäre, die zuvor gegen das Assad-Regime gekämpft hatten; sie werden nun von Ankara für den Einsatz in Libyen bezahlt.

Allerdings könnten die militärischen Erfolge der Türkei nun durch die jüngst gelieferten russischen Kampfflugzeuge zunichte gemacht werden - über derartige Waffen verfügte bislang keine der Kriegsparteien in Libyen. "Die jüngsten Niederlagen und die Zerstörung der russischen Luftabwehrsysteme schwächen Haftars Position im Raum Tripolis empfindlich", sagt Wolfram Lacher, Libyen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und weltweit einer der besten Kenner der Lage. Sie könnten sich dramatisch auf die Moral seiner Kräfte und den Zusammenhalt seiner Allianz auswirken, sagt er. "Die Ankunft russischer Kampfflugzeuge könnte den Dominoeffekt verhindern, der Haftars Allianz droht. Fraglich ist noch, ob Russland tatsächlich bereit zu einem direkten Zusammenstoß mit der Türkei in Libyen ist" - die von der Türkei installierten Luftabwehrsysteme dürften zu den ersten Zielen russischer Kampfjets gehören. Die Türkei droht mit "schwerer Vergeltung", die auch Haftars Hauptquartier gelten könne.

Lacher hält es für möglich, dass allein schon der drohende Einsatz dieser Kampfflugzeuge ausreicht, um die Türkei und ihre libyschen Verbündeten von einem weiteren Vormarsch abzubringen. Dann könne es zu einer Neuauflage der russisch-türkischen Initiative zur Aushandlung eines Waffenstillstandes kommen, prophezeit er. Und tatsächlich teilte das russische Außenministerium am Donnerstag nach einem Gespräch von Ressortchef Sergej Lawrow mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Çavuşoğlu mit, die Kampfhandlungen müssten unverzüglich eingestellt und der "politische Prozess" unter der Ägide der UN wieder aufgenommen werden.

Doch das Skhirat-Abkommen von 2015, Grundlage der Vermittlungsbemühungen der UN, hatte Haftar aufgekündigt, offenbar ohne sich vorher bei allen seinen Unterstützern rückzuversichern. Moskau dürfte nach Einschätzung Lachers nun aber erheblich mehr Einfluss auf den Feldmarschall haben als noch vor wenigen Monaten, da dessen Kräfte ohne russische Unterstützung weitere Niederlagen fürchten müssen. Sollte es aber zum Einsatz der Kampfflugzeuge kommen, dann würde das Lachers Ansicht nach die bisherigen Annahmen über das russische Engagement in Libyen infrage stellen: "Es würde sich dann nicht mehr um einen unauffälligen und wenig kostspieligen Einsatz handeln, sondern würde Russland in direkte Konfrontation mit der Türkei bringen."

Die Türkei und die Emirate liefern sich einen ideologisch motivierten Kampf um die regionale Vormacht

Eigentlich hatten alle ausländischen Unterstützer der libyschen Kriegsparteien im Januar auf der von Kanzlerin Angela Merkel ausgerichteten Berliner Konferenz zugesagt, das UN-Waffenembargo einzuhalten und auf eine Waffenruhe sowie Verhandlungen zur Beendigung des Bürgerkriegs hinzuwirken. Wie aber Außenminister Heiko Maas nach Beratungen mit seinen Kollegen aus Frankreich, Großbritannien und der Türkei am Dienstag eingestand, ist der "Ruf nach einer humanitären Waffenruhe, gerade im Fastenmonat Ramadan, weitestgehend ohne Wirkung geblieben". Stattdessen gebe es eine Eskalationsspirale mit andauernden Kämpfen und Waffenlieferungen auf beiden Seiten.

Das mag auch daran liegen, dass sich die Türkei und die Emirate einen ideologisch motivierten Kampf um die regionale Vormacht liefern. Erdoğan und die auf Seiten Serrajs kämpfenden Milizen aus Misrata stehen den islamistischen Muslimbrüdern nahe. Deren politischen Islam aber sehen die Emirate als Wurzel aller Probleme und Ursprung des islamistischen Terrorismus. Sie betreiben zusammen mit Saudi-Arabien und - seit dem Militärputsch 2013 - Ägypten die Gegenrevolution zum Arabischen Frühling. Die türkische Zeitung Yenişafak schrieb über Mohamed bin Zayed al-Nahyan, den Kronprinzen von Abu Dhabi und Vordenker der aggressiven Außenpolitik der Emirate: "Dieser Mann kämpft überall mit der Türkei. Er wird in Libyen begraben werden, er wird im Jemen und am Golf von Basra geschlagen werden." Das könnten bald die neuen Schauplätze dieses Stellvertreterkrieges werden.

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