Libyen: Rebellen-Chef attackiert Nato:Wütender Hilferuf aus Misrata

Mit scharfen Worten hat der Militärchef der libyschen Rebellen die internationale Unterstützung kritisiert: Die Nato lasse "die Einwohner von Misrata jeden Tag sterben". Der Stadt, die von Gaddafi-Truppen belagert und bombadiert wird, drohe die "Ausrottung".

Es ist eine bittere Anklage: Der Militärchef der libyschen Rebellen, Abdel Fattah Junes, hat der Nato vorgeworfen, die Menschen in der belagerten Stadt Misrata dem Verderben preiszugeben. Die Nato glaube, "uns einen Dienst zu erweisen mit ein paar Bombardements hier und da, während sie die Einwohner von Misrata jeden Tag sterben lässt", sagte Junes am Dienstagabend bei einer Pressekonferenz in der libyschen Rebellenhochburg Bengasi.

Libyen: Rebellen-Chef attackiert Nato: Der Militärchef der libyschen Freiheitskämpfer, Abdel Fattah Junes, hat die Nato auf einer Pressekonferenz in der Rebellenhochburg Bengasi ungewöhnlich scharf kritisiert.

Der Militärchef der libyschen Freiheitskämpfer, Abdel Fattah Junes, hat die Nato auf einer Pressekonferenz in der Rebellenhochburg Bengasi ungewöhnlich scharf kritisiert.

(Foto: AFP)

Die Allianz habe es bislang versäumt, der Belagerung von Misrata durch Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi ein Ende zu setzen und müsse nun schleunigst handeln. "Wenn die Nato noch eine Woche wartet, ist das das Ende von Misrata: Wir werden dort keinen mehr finden", warnte der Rebellen-Chef. Der Stadt drohe eine "Ausrottung im wahrsten Sinne des Wortes".

"Die Nato hat uns enttäuscht"

Misrata, 214 Kilometer östlich von Tripolis gelegen, ist die einzige Stadt im Westen Libyens, die in der Hand der Aufständischen ist. Sie wird seit knapp sechs Wochen von Gaddafi-treuen Truppen belagert und bombardiert. Die Versorgungslage in der drittgrößten Stadt des Landes habe sich dramatisch verschlechtert, sagte Junes. Die Wasser- und Stromversorgung sei unterbrochen, der Lebensmittelnachschub nicht gewährleistet. "Die Einwohner trinken das Wasser aus den Abwasserkanälen."

"Die Nato hat uns enttäuscht. Die Nato hat uns nicht geliefert, was wir wollten", kritisierte der Militärchef der Rebellen. Wenn das Bündnis weiterhin nicht die UN-Resolution 1973 umsetze, die den Schutz der libyschen Zivilbevölkerung auch mit militärischen Mitteln vorsieht, werde der Übergangsrat der Rebellen möglicherweise den UN-Sicherheitsrat anrufen.

Die Aufständischen sind laut Junes, der libyscher Innenminister war, bevor er sich im Februar den Rebellen anschloss, dringend auf militärische Hilfe angewiesen, weil ihre Waffen mit der modernen militärischen Ausrüstung von Gaddafis Soldaten "in keiner Weise vergleichbar" seien.

Die Nato entgegnete der ungewöhnlich scharfen Kritik, sie setze das UN-Mandat um. "Die Rebellen sehen uns möglicherweise nicht", sagte ein Sprecher. "Wir sind vielleicht 100 oder 150 Kilometer entfernt." In den vergangenen sechs Tagen seien 851 Lufteinsätze geflogen worden, sagte er. "Die Fakten sprechen für sich."

Die Nato hatte Ende März das vollständige Kommando über den Militäreinsatz in Libyen von einem internationalen Bündnis unter der Führung der USA, Frankreichs und Großbritanniens übernommen. Das Militärbündnis hatte angekündigt, der Sicherung von Misrata oberste Priorität einzuräumen. Junes stufte diese Ankündigung als leere Versprechung ein: "Wenn die Nato die Blockade der Stadt brechen wollte, hätte sie das schon vor einigen Tagen gemacht." Während täglich "Zivilisten, alte Menschen und Kinder in Misrata" stürben, begnüge sich die Nato mit vereinzelten Angriffen auf die Gaddafi-Truppen.

Neuer Außenminister ernannt

Die Truppen Gaddafis drängten derweil die Milizen der Regimegegner vollständig aus dem Öl-Hafen Brega zurück.

Unterdessen hat die libysche Regierung einen neuen Außenminister ernannt: Abdelati Obeidi folgt Mussa Kussa nach, der sich vergangene Woche nach Großbritannien abgesetzt hatte. Obeidi, der zuvor stellvertretender Außenminister war, habe die Ressortleitung übernommen, sagte Vize-Außenminister Khaled Kaim in Tripolis.

Obeidi hatte sich im Ausland aufgehalten, um über eine Lösung der Krise in Libyen zu beraten. Sein Amtsvorgänger Kussa war einer der engsten Vertrauten von Machthaber Muammar Gaddafi gewesen. Er kündigte Gaddafi jedoch die Gefolgschaft und erklärte, er wolle nicht länger dessen Regierung international repräsentieren.

Derweil sind libysche Aufständische über die Türkei verärgert und vertrieben ein türkisches Schiff mit Hilfsgütern aus dem Hafen von Bengasi. Sie sind empört über Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der in der vergangenen Woche vor Waffenlieferungen an die Rebellen gewarnt hatte. Eine Sprecherin des türkischen Roten Halbmondes, der das Schiff in die von Aufständischen kontrollierte Stadt geschickt hatte, sagte: "Die Besatzung unseres Schiffes wartet vor der libyschen Küste noch ab, das Schiff hat den Hafen verlassen." Brnieq, eine Zeitung der Opposition hatte berichtet, eine Gruppe von Libyern sei am Dienstag in den Hafen gestürmt und habe die Türken daran gehindert, ihre Hilfsgüter an Land zu bringen. Daraufhin habe das Schiff den Hafen verlassen. Um die Wogen wieder zu glätten, sucht die türkische Regierung jetzt das Gespräch mit den politischen Führern der Aufständischen.

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