Nordafrika:Machtspiele in einem geteilten Land

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Demonstranten protestieren vor dem Rathaus der libyschen Hauptstadt Tripolis gegen die Verschiebung der Präsidentschaftswahl. (Foto: MAHMUD TURKIA/AFP)

Mit Wahlen sollte der Bürgerkrieg in Libyen beigelegt und die Spaltung der staatlichen Institutionen überwunden werden. Doch sie wurden verschoben - und ob sie am neuen Termin stattfinden können, ist fraglich. Die Hoffnungen richten sich nun auf eine Diplomatin.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin, und Thore Schröder, Beirut, Berlin/Beirut

In Libyens Hauptstadt rufen noch blaue Werbetafeln zur Wahl auf. "Deine Beteiligung ist die Zukunft deines Landes", ist darauf zu lesen. Doch inzwischen ist sicher, dass die Präsidentenwahl nicht wie geplant am 24. Dezember stattfinden wird, dem 70. Unabhängigkeitstag des nordafrikanischen Landes. Die Organisation der Abstimmung sei aus technischen, juristischen und Sicherheitsgründen unmöglich geworden, erklärte das für die Wahl zuständige Parlamentskomitee am Mittwoch.

Die Wahlkommission, die am Vortag noch ihren Rücktritt bekanntgegeben hatte, dementierte diesen nun und schlug den 24. Januar als neuen Termin vor. Allerdings muss das Parlament das Datum noch beschließen. Gleichzeitig übertrug die Kommission dem Parlament die Aufgabe, den Streit darüber beizulegen, welche Kandidaten überhaupt antreten dürfen. An dieser Frage war der ursprünglich geplante Termin gescheitert.

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Als maßgebliche Auslöser für die verfahrene Situation gilt jedoch das Wahlgesetz, das Parlamentspräsident Aguila Saleh im September ohne eine entsprechende Mehrheit unter den Abgeordneten ausgefertigt hatte. Ob das Parlament nun eine Lösung findet, die für alle wichtigen politischen Akteure akzeptabel wäre, ist mehr als fraglich. Das Parlament und Saleh sind selbst Teil des Ringens um die Macht und den Zugriff auf die Ressourcen, das Libyen seit Jahren lähmt.

Die Wahlen sollten der erste Schritt sein, um die Spaltung zwischen dem Westen mit der Hauptstadt Tripolis und dem Osten mit dem Machtzentrum Bengasi zu überwinden. So sah es ein von den Vereinten Nationen und Deutschland zusammen entwickelter Friedensplan vor, der im Januar 2020 auf der Berliner Konferenz beschlossen wurde. Ein neu gewählter Präsident und ein Parlament würden die Legitimität besitzen, die zersplitterte Verwaltung, die geteilten militärischen Befehlsstrukturen und die konkurrierenden Regierungen wieder zusammenzuführen, so die Idee.

Streit kam schon bei der Frage auf, wer antreten darf

Doch war in den vergangenen Wochen nicht nur bereits die Parlamentswahl verschoben worden. Es kam auch zu heftigen Auseinandersetzungen, wer von den den 100 Bewerbern für das Amt des Staatschefs antreten darf. Abdulhamdid Dbeibah, dem Premier der in Tripolis ansässigen Übergangsregierung, werden zwar gute Aussichten auf den Sieg eingeräumt. Er hatte bei seiner Ernennung aber eigentlich zugesagt, nicht bei den Präsidentenwahlen anzutreten.

Seine Rivalen im Osten des Landes wollen seine Kandidatur auf jedem Fall verhindern. Dort rechnen sich etwa der Kriegsherr Khalifa Haftar oder Parlamentspräsident Aguila Saleh selbst Chancen aus. Die beiden wären aber für viele Menschen und vor allem für mächtige Milizen im Westen des Landes nicht akzeptabel. Ungeklärt blieb letztlich auch, ob Saif al-Islam al-Gaddafi kandidieren darf, einer der Söhnen des 2011 gestürzten Diktators.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte am Mittwoch, die Wahlverschiebung habe sich bereits abgezeichnet, sie sei deswegen aber "nicht weniger besorgniserregend". Es müssten in Libyen offensichtlich noch ein paar rechtliche Dinge geklärt werden, fügte sie hinzu - ein Verweis auf die umstrittenen Kandidatenlisten und wer darüber zu befinden hat. Man arbeite eng mit den Vereinten Nationen zusammen, damit schnell eine Klärung herbeigeführt werde und die Wahl dann abgehalten werden könne, "weil es so wahnsinnig wichtig nicht nur für die internationale Gemeinschaft, sondern insbesondere ja für die Libyerinnen und Libyer ist in diesen Jahren der furchtbaren Katastrophe für ihr eigenes Land".

Landeskenner zeigen sich skeptisch

Der Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zeigt sich allerdings skeptisch, ob der von der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel wesentlich mit initiierte Prozess Aussichten auf schnellen Erfolg hat: "Das Scheitern der Wahlen ist auch ein Scheitern der westlichen Politik der vergangenen Monate, die sich darauf fokussiert hat, die Abstimmung um jeden Preis abzuhalten", sagt er. Noch im November hatte Frankreich einen weiteren Libyen-Gipfel ausgerichtet, der an dem Wahltermin festhielt.

Die Interessengegensätze zwischen den wichtigsten politischen Akteuren in Libyen seien in dem Prozess aber nicht beigelegt worden, deshalb sei dieser kollabiert, sagt Lacher. Es sei "auch nicht erkennbar, wie diese Gegensätze in den kommenden Monaten überbrückt werden können" - im Gegenteil: Es sei damit zu rechnen, dass der amtierenden Übergangsregierung von Premier Dbeibah die Legitimation abgesprochen werde und das Land zur institutionellen Spaltung zwischen Osten und Westen zurückkehre. Genau das zeichnete sich am Mittwoch bereits ab: Das Parlament im Osten erklärte, dass nach seiner Ansicht das Mandat der Übergangsregierung in Tripolis mit dem geplanten Wahltermin am 24. Dezember auslaufe.

Viele Libyer treiben Sorge und Angst

Anas al-Gomati, Leiter des Sadeq-Instituts, einem Think-Tank mit einem Netzwerk an Berichterstattern in Libyen, beschreibt die Stimmung im Land als "von großer Anspannung gekennzeichnet". Die Menschen seien bereits über die Wahl als potenziellen Ausgangspunkt für neue bewaffnete Auseinandersetzungen besorgt gewesen. "Es bestand ja auch die Angst, dass die Libyer dabei aus Versehen einen neuen Autokraten an die Macht bringen", sagt al-Gomati. Nun sei Grund zu noch mehr Furcht gegeben. "Die Libyer leben seit April 2019, als Haftar den Sturm auf Tripolis befahl, in einer Art Isolation", sagt er, "dazu kommt die schwierige Covid-Lage." All das zehre an der Widerstandskraft der Menschen.

Die Hoffnungen richten sich nun auf die neue UN-Sondergesandte Stephanie Williams. Die Amerikanerin besitzt Autorität und Glaubwürdigkeit, weil sie neben sehr guten Sprachkenntnissen auch ein Verständnis der verworrenen Stammes- und Bündnisstrukturen in Libyen mitbringt. Sie hatte zuvor als amtierende Sondergesandte die Einigung auf eine Übergangsregierung und den Fahrplan bis zu den Wahlen vermittelt.

Seit Wochen ist Williams im Land unterwegs, um auszuloten, was ihr Vorgänger, der Slowake Ján Kubiš, monatelang versäumt hatte - nämlich die entscheidende Frage zu klären: Gibt es einen Konsens für die rechtliche Grundlage von Wahlen? "In einem Land mit einer 40 Jahre währenden Geschichte starker Männer, braucht es dafür natürlich umso mehr eine starke rechtliche Grundlage", sagt Anas al-Gomati. Die Tatsache, dass sich mehr als zweieinhalb Millionen Libyer für die Wahl registriert hatten, zeige zumindest, dass es in der libyschen Bevölkerung ein großes Interesse gibt an Demokratie - und an Wandel.

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