Süddeutsche Zeitung

Libyen nach Gaddafi:Wie es nach der Revolution weitergeht

Für die anstehenden Machtkämpfe in Libyen brauchen die neuen Akteure Kapital, Organisation, Ideologien - und Waffen. So sieht es der Premierminister des Übergangsrates, Mahmud Dschibril. Das Land steht nach der Befreiung vor größeren Herausforderungen als Tunesien und Ägypten - und es ist eine Illusion zu glauben, westliche Regierungen hätten nun einen Einfluss auf die Entwicklungen im Land.

Wolfram Lacher

Der Kampf gegen das Regime ist zu Ende, Muammar al-Gaddafi ist tot, die Revolution hat mit Hilfe der Nato über den Diktator triumphiert - doch was wird nun aus Libyen? Der vom Nationalen Übergangsrat geleitete Prozess hin zu Wahlen und zur Ausarbeitung einer Verfassung hat begonnen.

Dabei steht Libyen gewaltigen Herausforderungen gegenüber. Gaddafis Staat besaß keine Verfassung, und seine schwachen Institutionen sind während des Bürgerkrieges auseinandergebrochen. Nun müssen grundlegende Fragen über das Wesen des neuen Staates verhandelt werden: Wird er zentralistisch oder föderal aufgebaut sein, präsidentiell oder parlamentarisch geprägt, sich als säkular verstehen oder als im Islam verankert?

Der Staatsaufbau, das zeichnet sich bereits ab, wird von heftigen Machtkämpfen überlagert sein. Die revolutionären Kräfte sind entlang zahlreicher Linien gespalten. Diese verlaufen zwischen ehemaligen Entscheidungsträgern des Regimes und langjährigen Exilanten, zwischen Islamisten und säkularen Kräften, zwischen Vertretern prominenter Familien, einzelner Städte oder Stämme, sowie zwischen der elitären politischen Führung im Übergangsrat und den revolutionären Brigaden, die bisher kaum im Übergangsrat vertreten sind.

Die Rivalitäten zwischen diesen Gruppen wurden bisher durch die Notwendigkeit, im Kampf gegen das Regime Einigkeit zu wahren, noch halbwegs unter Verschluss gehalten. Seit dem Fall von Tripolis haben sie deutlich zugenommen, wie die Streitigkeiten zwischen Brigaden aus verschiedenen Städten um die Kontrolle der Hauptstadt zeigen. Während des Übergangsprozesses werden sie ihre volle Kraft entwickeln.

Dies meinte der Premierminister des Übergangsrates, Mahmud Dschibril, als er ankündigte, er werde für die nächste Regierung nicht mehr zur Verfügung stehen, da man für die anstehenden Machtkämpfe Kapital, Organisation, Waffen und Ideologien brauche - und er besitze nichts davon.

Die Bildung einer Übergangsregierung wird der erste Test für die Fähigkeit des Rates sein, all dieser Rivalitäten Herr zu werden. Verlauf und Ergebnis der Machtkämpfe sind völlig unabsehbar - außer dass sie die politische Landschaft Libyens grundlegend verändern werden. Parteien und Bewegungen, die es bisher kaum gibt, werden entstehen; die regionalen Kräfteverhältnisse innerhalb des Übergangsrates werden sich verschieben; neue Akteure werden die Bühne betreten, einige der bisherigen Führungsfiguren werden sie verlassen müssen.

Gewaltsame Machtkämpfe drohen den Libyern

Ob die Entwicklung gewaltsamer Machtkämpfe im Zuge dieser Umwälzungen vermieden werden kann, wird vor allem von zwei Fragen abhängen. Erstens: ob der Übergangsrat die revolutionären Brigaden unter zentrale Kontrolle bringen kann. Denn die Anzeichen mehren sich, dass einzelne Milizenführer ihre militärische Macht einsetzen wollen, um politischen Einfluss im neuen Staat zu fordern. Zweitens: ob auch diejenigen Gruppen in den politischen Prozess eingebunden werden, die Gaddafi unterstützt haben.

Die Herausforderungen, denen Libyen gegenübersteht, sind also völlig anderer Art und in vieler Hinsicht fundamentaler als in den Nachbarländern Ägypten und Tunesien. Gleichzeitig gibt es für den Westen weitaus weniger Möglichkeiten, den Umbruch zu unterstützen. Denn im Gegensatz zu den Nachbarländern benötigt das eigentlich reiche Libyen weder besseren Zugang zu den europäischen Märkten noch Kredite oder Unterstützung beim Anwerben für Auslandsdirektinvestitionen. Der Übergangsrat wird schon jetzt von ausländischen Wirtschaftsdelegationen umworben. Mit den eingefrorenen libyschen Mitteln im Ausland und der anlaufenden Erdölproduktion wird Libyen mehr Kapital zur Verfügung haben, als es zum Wiederaufbau braucht.

Die eingefrorenen Mittel sollte die internationale Gemeinschaft der neuen Regierung nun zurückgeben, wie sie auch die Sanktionen und die Flugverbotszone aufheben wird. Die gegenwärtige Praxis der zweckgebundenen Freigabe in kleinen Raten entspricht verständlichen Vorbehalten hinsichtlich der Fähigkeit des Übergangsrates, diese Mittel transparent zu verwalten. Doch sie hindert den Übergangsrat daran, sich als Machtzentrum zu etablieren und die zahlreichen lokalen Räte und Brigaden einzubinden. Außerdem suggeriert sie eine externe Abhängigkeit des Übergangsrates von westlichen Helfern, die seinem Ansehen in Libyen abträglich ist.

Europa soll unterstützen, sich aber nicht einmischen

Darüber hinaus können und sollten die Europäer den Umbruch immer dort beratend unterstützen, wo solche Unterstützung vom Übergangsrat nachgefragt wird. In jedem Falle aber sollten sie den Eindruck vermeiden, sie mischten sich in die fundamentalen Fragen der Kräfteverhältnisse und des Staatswesens ein, die jetzt anstehen. Schon jetzt gibt es Anzeichen, dass einzelne Staaten unterschiedliche Kräfte in der losen revolutionären Koalition unterstützen.

Hinter dem Aufstieg des islamistischen Milizenführers Abdel Hakim Belhadsch zum Beispiel wird der Einfluss Katars gesehen. Großbritannien und Frankreich, die sich beide militärisch im Kampf gegen Gaddafi stark engagiert haben, dürften an einer führenden Rolle zentristischer, liberaler Figuren wie dem Ratsvorsitzenden Mustafa Abdel Dschalil oder dem Ölminister Ali Tarhouni interessiert sein, die ihnen Vorteile bei der Vergabe von Verträgen zugesichert haben. Doch die Unterstützung einzelner Akteure würde die Spannungen innerhalb der revolutionären Kräfte verschärfen - und vor allem der Legitimität des Übergangsprozesses schaden.

Der tatsächliche Einfluss westlicher Regierungen auf die sich entwickelnden Machtkämpfe ist ohnehin gering. Allein der Eindruck äußerer Einwirkung aber würde genau die Kräfte diskreditieren, die europäische Staaten unterstützen wollen. Man muss sich darauf einstellen, dass durch die kommenden Umwälzungen auch Kräfte Einfluss erhalten könnten, die westlichen Interessen auf den ersten Blick widersprechen zu scheinen - etwa konservative Islamisten. Für den langfristigen Erfolg des Übergangsprozesses ist es nicht entscheidend, ob die Führungsfiguren der nächsten zwei Jahre westlichen Regierungen willkommen sind - sondern dass der Übergangsprozess in Libyen als legitim angesehen wird.

Wolfram Lacher, 33, ist Libyen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

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SZ vom 24.10.2011/lyb
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