Vor Zarzis, einer Küstenstadt im Südosten Tunesiens, haben Fischer vier Überlebende einer Flüchtlingskatastrophe geborgen, sie waren völlig entkräftet. Einer der Geretteten starb später im Krankenhaus. An Bord des Bootes, das in Libyen abgelegt hatte und vor Zarzis kenterte, sollen ursprünglich 84 Menschen gewesen sein. Man geht davon aus, dass die Verschollenen alle tot sind.
"So kann das nicht weitergehen", sagte Vincent Cochetel, beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR zuständig für das zentrale Mittelmeer. Niemand nehme so große Risiken auf sich, wenn er nicht völlig verzweifelt sei. In den libyschen Internierungslagern für Migranten sind die Zustände dermaßen katastrophal, dass viele in der Flucht an Bord von überfüllten Schlauchbooten den einzigen Ausweg sehen.
In dem Zusammenhang begrüßt das UNHCR, dass die libysche Einheitsregierung erwägt, die Lager mit ihren etwa 8000 Insassen zu schließen. Anlass ist der Luftangriff, bei dem diese Woche bei Tripolis mindestens 53 Migranten getötet und mehr als 130 verletzt wurden. Noch sind die Hintergründe ungeklärt. Klar ist aber, dass Flüchtlinge immer öfter zwischen die Fronten der Bürgerkriegsparteien geraten.
Aus einem Auffanglager in Gharyan, etwa 90 Kilometer von Tripolis entfernt, konnte das Hochkommissariat dieser Tage 29 Eritreer und Somalier retten. Die Menschen waren Monate unter "schrecklichen" Bedingungen festgehalten worden: Es mangelte an Hygiene, medizinischer Versorgung und Verpflegung. Krankheiten hätten sich in dem Lager rasend schnell ausgebreitet. Man müsse "sinnvolle Alternativen" finden, fordert das UNHCR, damit die Flüchtlinge nicht mehr auf Schlauchboote stiegen. Die Anzahl der Überfahrten sei zwar drastisch gesunken in jüngerer Vergangenheit. Die Wahrscheinlichkeit aber, dabei zu sterben, sei jetzt höher, weil es vor Ort weniger Helfer gibt. "Jeder sechste Flüchtling stirbt bei der Überquerung des Mittelmeers", schätzt das UNHCR. Allein seit Jahresbeginn wurden 507 Opfer gezählt. Die Dunkelziffer dürfte aber höher sein.
Was tun, damit die Leute nicht in Schlauchboote steigen?
Seit einigen Wochen kreuzen wieder mehrere Schiffe internationaler Hilfsorganisationen in den internationalen Gewässern vor Libyen, mit Zeugen und Rettern. Die Besatzung der Alan Kurdi von der deutschen Organisation Sea-Eye berichtete am Freitag, sie habe 34 Seemeilen vor der libyschen Küste 65 Flüchtlinge gerettet. Sie waren auf einem Schlauchboot unterwegs, Treibstoff hatten sie offenbar genügend dabei, doch ohne GPS-Gerät waren sie verloren.
Das Segelschiff Alex der italienischen Organisation Mediterranea, das erst vor einigen Tagen ausgelaufen war, nahm vor Tunesien 54 Migranten an Bord, unter ihnen zwei schwangere Frauen. Mediterranea bat die maltesische und die italienische Küstenwache um Hilfe, weil ihr Schiff nicht zum Transport so vieler Menschen tauge. Italiens Innenminister Matteo Salvini richtete der Crew nur aus, der Hafen von Lampedusa sei auch für sie geschlossen.
Eine Woche ist es nun her, dass die deutsche Kapitänin der Sea-Watch 3, Carola Rackete, trotz Verbots in Lampedusa angelegt hat, dafür verhaftet und später wieder freigelassen wurde. Sie will den italienischen Innenminister Matteo Salvini wegen Verleumdung verklagen. Eine Klage sei bereits vorbereitet, sagte ihr Anwalt Alessandro Gamberini dem Radio Cusano Campus am Freitag. Dem Spiegel sagte Rackete über Salvini: "Seine Art, sich auszudrücken, ist respektlos, für eine Spitzenpolitiker ist das nicht angemessen." Er hatte sie mehrmals als "verwöhnte Göre" bezeichnet, am Freitag nun auch als "reiche deutsche Kommunistin".
Enttäuscht zeigte sich die junge Kommandantin von Innenminister Horst Seehofer. "Ich fühlte mich alleingelassen", sagte sie. Obschon deutsche Städte angeboten hätten, die Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, habe er der Blockade vor Lampedusa tatenlos zugeschaut. Ihre Kritik weitete sie auf alle europäischen Länder aus. "Die haben die heiße Kartoffel immer weitergereicht, während wir zuletzt noch immer 40 Gerettete bei uns an Bord hatten."