Süddeutsche Zeitung

Libyen:Kein Frieden in Sicht

Immer mehr Geld, immer mehr Waffen, immer mehr Söldner: In dem nordafrikanischen Land tobt ein Stellvertreterkrieg. Das von den UN verhängte Waffenembargo? Bleibt nicht mehr als ein schlechter Witz.

Von Paul-Anton Krüger

Das UN-Waffenembargo gegen Libyen sei "ein Witz" - so zutreffend wie niederschmetternd formulierte es die amtierende UN-Sondergesandte Stephanie Williams. Im Sicherheitsrat warnt sie vor einem "umfassenden Stellvertreterkrieg". Tatsächlich ist dieser Krieg längst im Gange. Wenn nicht ausländische Mächte die Kriegsparteien mit Geld, immer moderneren Waffensystemen und Söldnern unterstützen würden, ließe sich der Konflikt womöglich beilegen. Libyen ist jedoch das Schlachtfeld, auf dem die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Jordanien und Russland auf der einen und die Türkei sowie Katar auf der anderen um regionale Vorherrschaft und geopolitischen Einfluss ringen und ihren ideologischen Konflikt um den politischen Islam ungehindert austragen können. Und solange das so ist, wird das Land nicht zur Ruhe kommen.

Viel berechtigte Kritik trifft derzeit die Türkei, die ihr militärisches Engagement in Libyen ausgebaut und die Truppen des abtrünnigen Generals Khalifa Haftar erstmals seit Beginn von dessen Angriff auf Tripolis im April 2019 in die Defensive gedrängt hat. Für die EU und die Nato ist das höchst problematisch: Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ sich seine Unterstützung für die Milizen der international anerkannten Einheitsregierung vergelten mit einem Abkommen zu Grenzziehung und Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer, dem Ansprüche Griechenlands und Zyperns entgegenstehen, aber auch die Interessen Israels, Libanons und Ägyptens.

Die Rolle der Türkei in Libyen reicht zwar bis in die Tage des Sturzes von Diktator Muammar al-Gaddafi zurück und knüpft geschichtlich an das Osmanischen Reich an. Die jüngste militärische Einmischung Erdoğans ist jedoch in erster Linie eine Reaktion auf Versuche der Emirate und Ägyptens, Haftar militärisch zur Herrschaft über das ganze Land zu verhelfen. Und auf den Versuch von Russland, mit seinen Wagner-Söldnern Haftar für gutes Geld die Übermacht zu verschaffen.

Der selbsternannte Feldmarschall Haftar hat sich zum Alleinherrscher ausgerufen und das von den UN ausgehandelte Abkommen von Skhirat gekündigt, den Fahrplan für einen Friedensprozess. Wenn es der internationalen Gemeinschaft ernst ist damit, den Konflikt zu beenden, müsste sie jetzt bei Haftar und seinen Unterstützern ansetzen - selbst denen schwant, dass der 76-Jährige nicht Libyens Zukunft ist. Ein Mittel wäre die Drohung mit schmerzhaften Sanktionen, die dann aber auch wirklich verhängt werden müssten. Auf dieselbe Weise könnte man die Türkei unter Druck setzen. Doch dem steht entgegen, dass neben Russland auch Frankreich seine Hand über Haftar hält, die USA einen Schlingerkurs fahren und die Europäer in der Libyen-Frage zerstritten sind.

Das heißt jedoch nicht, dass die Bundesregierung, die ja mit der Berliner Konferenz einen Vorstoß unternommen hat, den Bürgerkrieg auszutrocknen, keine Einflussmöglichkeiten hätte. Abu Dhabi ist sehr auf seinen internationalen Status bedacht und auf die strategische Partnerschaft mit Deutschland, deren Ausbau vergangenes Jahr noch besiegelt wurde. Bis jetzt hat sich aber in Berlin noch niemand gefunden, der die Rolle der Emirate, Ägyptens oder Russlands offen kritisieren oder gar die Kooperation mit ihnen einschränken würde. Erdoğan hat da mehr zu fürchten. Das UN-Waffenembargo aber und die gut gemeinten Friedensbemühungen für Libyen werden so wohl ein Witz bleiben.

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SZ vom 27.05.2020
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