Libyen:Kampf um Gaddafis Heimatstadt

Regierungsmilizen stehen davor, den IS aus Sirte zu vertreiben - die Probleme Libyens wird der wichtige Sieg allein nicht lösen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Die Milizionäre aus Misrata sind schnell vorgerückt: Im Mai noch kontrollierte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Libyen einen Küstenstreifen von mehr als 250 Kilometern Länge rund um die Hafenstadt Sirte. Auf 3000 bis 6000 Kämpfer schätzten westliche Geheimdienste damals die Stärke der Extremisten in dem nordafrikanischen Land. Es war zur wichtigsten Filiale des Kalifats außerhalb der Kerngebiete in Syrien und Irak avanciert. Nun kontrollieren die IS-Kämpfer in ihrer Hochburg nur noch wenige Quadratkilometer. "Einige Hundert", schätzen westliche Geheimdienste, haben sich in Gebäuden um das Krankenhaus und die Universität verschanzt sowie im Ouagadougou-Konferenzzentrum, das der gestürzte Diktator Muammar al-Gaddafi einst seiner Heimatstadt zum Geschenk machte.

Die Stadtgrenze hatten die Milizionäre Anfang Juni erreicht, die sich der international anerkannten "Regierung der nationalen Übereinkunft" in Tripolis unterstellt haben. Seither kämpfen sie um jeden Straßenzug. 350 von ihnen sind gefallen, 1500 weitere wurden verletzt. Den zumeist jungen Männern fehlt es an militärischer Ausbildung und Ausrüstung. Sie haben oft weder Helm noch Schutzwesten, in Flip-Flops und T-Shirts ziehen sie an die Front.

Nun haben sie einen mächtigen Verbündeten zu Hilfe gerufen im Kampf gegen die Scharfschützen und Selbstmordattentäter des IS, gegen die Sprengfallen und Befestigungen: Die US-Luftwaffe bombardiert die Verstecke der Extremisten. Am Montag feuerten Drohnen auf einen Panzer und ein weiteres Fahrzeug. Doch das Pentagon machte deutlich, dass dies erst der Anfang einer länger dauernden Angriffswelle sei, in der auch Hubschrauber und Kampfjets zum Einsatz kommen werden. Die Taktik ist im Irak erprobt: Aufklärung und Luftunterstützung durch die Amerikaner bringt den Soldaten am Boden den entscheidenden Vorteil. Es ist eine Frage der Zeit, bis Sirte zurückerobert sein wird.

Für den IS wäre der Verlust der Stadt am Mittelmeer eine schwere Niederlage, für die Regierung von Premierminister Fayez Serraj ein wichtiger politischer Erfolg. Ob er aber dazu beitragen kann, das Land zu stabilisieren und so dem IS auf Dauer den Nährboden zu entziehen, ist fraglich.

Als Serraj und weitere Mitglieder des Präsidialrats Ende März mit einem Boot von Tunesien nach Tripolis kamen, wurden sie weitgehend freundlich willkommen geheißen. Die Menschen hofften auf ein Ende der Wirtschaftsmisere und darauf, dass der unter UN-Vermittlung ausgehandelte Friedensplan helfen würde, das gespaltene Land zu einen. Doch davon hat sich bislang kaum etwas erfüllt.

Der Militärchef des Ostens droht, Tanker abzuschießen - dabei ist Libyen vom Öl-Export abhängig

Noch immer schlafen Menschen vor den Banken, um an knappes Bargeld zu kommen; maximal 500 Dinar können sie in der Regel pro Tag an Geldautomaten abheben - wenn sie denn funktionieren. Das sind zum Schwarzmarktkurs etwa 100 Euro. Der Strom fällt selbst in Tripolis immer wieder stundenlang aus, was zugleich heißt, dass auch Klimaanlagen und Kühlgeräte lahm liegen. Lebensmittel, die dann verderben, sind ohnehin schon knapp und teuer.

Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen, nur die Hälfte der 160 Krankenhäuser arbeitet laut der Weltgesundheitsorganisation noch. Selbst in den größeren Kliniken in Tripolis können Ärzte nur noch in Notfällen operieren. Es fehlt an Medikamenten, Narkosemitteln, Verbandsmaterial. Ausländische Pfleger und Ärzte, auf die das Gesundheitswesen in Libyen angewiesen ist, haben das Lands verlassen. Auch die Sicherheitslage ist eher schlechter geworden: Entführungen für Lösegeld oder aus politischen Motiven sind an der Tagesordnung. Die Unzufriedenheit bricht sich immer wieder in Demonstrationen Bahn.

Serrajs Regierung hat zwar die Unterstützung der USA, der wichtigsten EU-Staaten und auch Russlands, ihr fehlt aber nach wie vor die im Friedensvertrag vorgesehene Anerkennung durch das Repräsentantenhaus in Tobruk. Der dortige Parlamentspräsident verhindert eine Abstimmung der Abgeordneten. So herrscht im Osten nach wie vor eine eigene Regierung, deren starker Mann der General und Kriegsherr Khalifa Haftar ist. Er wirft Serraj vor, sich auf islamistische Milizen zu stützen, deren Verbündete er in Bengasi und anderen Orten im Osten bekämpft.

Beispielhaft für all die Probleme ist der Streit um die Ölexporte, Libyens wichtigste Einnahmequelle. Sowohl in Tripolis als auch im Osten gibt es Nationale Ölgesellschaften, die exklusive Ansprüche erheben. Eine Miliz des Kriegsherrn Ibrahim al-Jadhran blockiert die Verladeterminals in Ras Lanuf, el-Sider and Zueitina seit Dezember 2014, weil über die Verteilung der Erlöse gestritten wird. Nun hat die Regierung von Serraj mit der Miliz einen undurchsichtigen Deal geschlossen, die Häfen wieder zu öffnen, auch die Ölgesellschaften wollen nun zusammenarbeiten. Doch jüngst drohte der Militärchef Haftar aus dem Osten, jeder Tanker, der ohne Genehmigung der Ölgesellschaft im Osten in libysche Gewässer einfahre, werde bombardiert.

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