Libyen: Kampf gegen Gaddafi:Die Welt macht mobil

Waffenembargo, Einreiseverbot für den Gaddafi-Clan, die Rettung von Flüchtlingen notfalls mit Gewalt - die internationale Gemeinschaft will endlich handeln. Damit der Bürgerkrieg in Libyen sich nicht ausweitet, wird in Brüssel und New York ein Militäreinsatz gegen das Regime durchgespielt.

Martin Winter und Stefan Kornelius

Mehr als eine Woche lang haben Europäer und Amerikaner wie erstarrt auf die Gewalt in Libyen reagiert. Doch nun wollen und können sie dem Blutbad nicht länger zusehen. Die Furcht wächst, dass der Bürgerkrieg auf die Nachbarländer übergreifen könnte. Außerdem sind die Regierungen in Sorge um ihre zu Tausenden in Libyen festsitzenden Staatsbürger.

Bei ihrem Treffen im ungarischen Gödöllö beschäftigten sich die Verteidigungsminister der EU mit der Frage, was die Europäer tun können. Allerdings bleiben diese weiter Getriebene der Ereignisse - die Situation sei zu unübersichtlich, heißt es. Die Lagezentren von EU und Nato versuchen, sich aus spärlichen Informationen ein Bild zu machen.

Obwohl sie nur schemenhaft wissen, was vor Ort passiert, sind Europäer wie Amerikaner entschlossen, eine härtere Gangart einzulegen. Die von der EU erwogenen Sanktionen wie Reiseverbote, das Einfrieren von Vermögen oder ein Waffenembargo wird es wohl Anfang der Woche geben - und das mit voller Rückendeckung der Vereinten Nationen. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton setzt auf eine kombinierte Anstrengung von EU und UN. Es werde über das Wochenende noch genau geprüft, welche dieser Maßnahmen "sofort und effektiv" wirken.

Unter hohen Diplomaten heißt es inzwischen, dass diese so lang umstrittenen Sanktionen unter den gegenwärtigen Bedingungen "eigentlich nur noch begleitende Maßnahmen" sein könnten. Zwischen den europäischen Hauptstädten und Washington wurde in den vergangenen zwei Tagen hektisch telefoniert. Mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon beriet sich Ashton noch am Vorabend des Treffens der Verteidigungsminister. Gesprochen wird auch mit dem Generalsekretär der Nato, Anders Fogh Rasmussen. Die Allianz verfügt schließlich über die Mittel und die Erfahrungen, die man braucht, um eine militärische Drohkulisse aufzubauen. Und auch wenn es keiner am Freitag zweifelsfrei bestätigen wollte: Sowohl in der EU wie in der Nato wird darüber nachgedacht, über Libyen eine Flugverbotszone einzurichten. Es sei noch "zu früh, über Einzelheiten zu reden", sagte Rasmussen. Und wenn, dann bedürfe es dafür eines "Mandats der Vereinten Nationen".

Genau darauf konzentrieren sich nun die europäisch-amerikanischen Bemühungen. Die beiden europäischen Veto-Mächte Frankreich und Großbritannien legten dem UN-Sicherheitsrat zu seiner Sondersitzung am Freitag in New York einen in der EU abgestimmten Resolutionsentwurf vor, in dem sich ein Bündel von Sanktionen findet. Aber am Verhandlungstisch in New York wollen Washington, London und Paris auch über den Einsatz des Militärs reden. Die Lage ist so dramatisch, dass Rasmussen noch für Freitagnachmittag eine Sondersitzung des Nato-Rats in Brüssel einberief. Schaffen die Europäer es, die Mitglieder des Sicherheitsrats, allen voran die Veto-Mächte Russland und China, von einem Militäreinsatz zu überzeugen, dann könnte nächste Woche die Planung beginnen. Die Hauptlast dürfte bei den Europäern liegen. "Wenn der Sicherheitsrat ein Flugverbot über Libyen verhängt, dann muss sich Europa auch um die Umsetzung kümmern", sagte der Staatsminister im Bundesverteidigungsministerium, Christian Schmidt, in Gödöllö.

Ein Flugverbot würde bedeuten, dass der Luftraum über Libyen für libysche Militärflugzeuge und Hubschrauber gesperrt würde. Awacs würden den Luftraum kontrollieren, Kampfflugzeuge müssten die Durchsetzung des Flugverbots notfalls mit Waffengewalt erzwingen. Dem Diktator und den ihm noch treuen Teilen der Armee und der Sicherheitskräfte soll damit die Beweglichkeit genommen werden.

An einen militärischen Einsatz am Boden, heißt es in diplomatischen Kreisen, sei aber nicht gedacht. Auch Ashton sagte, ein Einsatz der Kampfeinheiten (battle groups) der EU stehe "zur Zeit nicht auf der Tagesordnung". Allerdings: Sollten die UN ein militärisches Mandat für den Luftraum beschließen, dann ist der Weg auch nicht mehr weit zu einem Einsatz am Boden.

Während die Vereinten Nationen über das Wochenende beraten werden - aus formellen Gründen kann über eine Resolution nicht sofort abgestimmt werden -, gibt es in der Nato erste Überlegungen, Marineeinheiten Richtung Libyen zu verlegen, die im Rahmen des Anti-Terroreinsatzes der Nato "Active Endeavour" im östlichen Mittelmeer stationiert sind. Denn Europäer wie Amerikaner machen sich zunehmend Sorgen, wie sie ihre vermutlich noch weit über 2000 Staatsbürger evakuieren sollen, die sich in Libyen aufhalten. In Brüssel wird gar von 3400 Europäern gesprochen. Der Flughafen von Tripolis sei inzwischen ein "reines Flüchtlingslager", heißt es in der EU.

Zunächst von symbolischer Bedeutung war hingegen die Dynamik, die sich um Libyens Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat entfaltete. Die europäischen Mitglieder forderten in einer Resolution, die Mitgliedsrechte Libyens auszusetzen. Über einen entsprechenden Vorstoß soll die UN-Vollversammlung abstimmen. Dort wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig, um Libyen auszuschließen. Außerdem soll eine unabhängige Untersuchung Gräueltaten der Regierung gegen die eigene Bevölkerung aufdecken. Bisher wurde noch nie eines der 47 Mitglieder des Menschenrechtsrats von dem Gremium selbst gerügt.

Hinter dem Vorstoß könnte die Absicht stecken, ein für die Strafverfolgung autorisiertes Gremium zu installieren, um zu einem späteren Zeitpunkt Gaddafi und seines Regimes habhaft zu werden.

Besondere Aufmerksamkeit erregte deswegen auch, dass US-Außenministerin Hillary Clinton am Sonntag nach Genf reisen wollte, um vor dem Menschenrechtsrat aufzutreten. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, forderte die Staatengemeinschaft auf, energisch gegen Libyen vorzugehen.

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