Libyen:Haftars Marsch auf Tripolis

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Ein Kriegsherr greift nach der Macht in dem nordafrikanischen Land. Es droht eine Eskalation.

Von Paul-Anton Krüger, München

Dieses Foto soll Khalifa Haftars Truppen auf dem Weg nach Tripolis zeigen. Die UN warnen vor einem neuen Bürgerkrieg. (Foto: LNA War Information Division/AFP)

Am 14. April wollten die Vereinten Nationen eine Friedenskonferenz für Libyen ausrichten - eigentlich. Jetzt könnte ein neues Aufflammen des Bürgerkriegs zwischen rivalisierenden Fraktionen in dem nordafrikanischen Land diese Pläne zunichtemachen. Statt über eine Stabilisierung des Landes zu verhandeln, über eine Teilung der Macht, müssen UN-Generalsekretär António Guterres und sein Sondergesandter Ghassan Salamé gerade versuchen, eine neue Eskalation der Kämpfe zu verhindern. Sie könnten bald die Hauptstadt Tripolis erreichen. Zu befürchten ist, dass die Gefechte zu schwerem Blutvergießen führen und viele Zivilisten in Mitleidenschaft ziehen.

In den vergangenen Tagen waren Milizen des Kriegsherrn Khalifa Haftar auf Tripolis vorgerückt; er kontrolliert den Osten des Landes mit der Metropole Benghazi. In manchen Berichten heißt es, die Truppen stünden nur noch 30 Kilometer vor der Stadtgrenze, in anderen ist von 100 Kilometern die Rede. Jedenfalls kursieren Aufnahmen davon, wie der selbsternannte Feldmarschall und Kommandeur der Libyschen Nationalarmee (LNA) seinen Leuten den Sturm auf Tripolis befiehlt. "Wir hören deinen Ruf, Tripolis!", sagt er in der Rede. "Es ist jetzt die Zeit gekommen für den großen Sieg. Marschiert voraus!" Die Milizen versuchen offenbar, die Stadt von Süden und Westen zu umschließen.

Aus der einflussreichen und reichen Hafenstadt Misrata haben sich inzwischen ebenfalls Kämpfer in Konvois in die Hauptstadt aufgemacht. In Tripolis herrscht nominell die international anerkannte Einheitsregierung von Premierminister Fayez al-Serraj. Seit ihrem Amtsantritt im März 2016 ist es ihr allerdings nicht gelungen, ihre Kontrolle über das Land auszuweiten. Selbst in Tripolis kann sie sich nur halten, weil einige mächtige Milizen, maßgeblich aus Misrata, sie stützt. Große Teile des libyschen Westteils beherrschen de facto lokale Milizen. Ihre Loyalitäten wechseln schnell, wenn sie sich davon Vorteile versprechen.

Es scheint kein Zufall zu sein, dass Haftar jetzt seine seit Jahren immer wieder vorgebrachte Drohung wahr macht und auf Tripolis marschiert. Es ist ihm bislang nicht gelungen, auf politischem Wege seine Forderungen durchzusetzen. Schon lange werden ihm Ambitionen nachgesagt, die Macht in Libyen zu übernehmen. Bei Treffen mit Serraj, etwa im Februar in Abu Dhabi von den Vereinigten Arabischen Emiraten vermittelt oder zuvor in Paris von Frankreich organisiert, sind die beiden einem Deal über die künftige Teilung der Macht nicht nähergekommen.

Nun war Guterres nach Tripolis gekommen, um die Friedenskonferenz vorzubereiten, die in eine neue politische Ordnung für das nordafrikanische Land mit etwa sechs Millionen Bürgern münden soll. Die eigentlich für vergangenen Dezember geplanten landesweiten Wahlen konnten wegen der prekären Sicherheitslage nicht abgehalten werden; sie sollten nun eigentlich im Sommer nachgeholt werden.

"Heute kommen wir den Rufen unserer Angehörigen in unserer teuren Hauptstadt nach, wie wir es ihnen versprochen haben." - General Khalifa Haftar

Haftar dürfte sich zudem in seinem militärischen Vorgehen bestätigt gefühlt haben, hatte doch die internationale Gemeinschaft untätig und schweigend zugesehen, wie er in den vergangenen Monaten strategisch wichtige Orte und Gebiete im Süden unter seine Kontrolle brachte, ebenso wie einige wichtige Ölfelder.

Haftar wird von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten militärisch und politisch unterstützt, auch Russland und Frankreich setzen auf den Offizier mit der schillernden Biografie. Er hatte schon dem Diktator Muammar al-Gaddafi gedient, bevor er sich mit ihm überwarf und ins Exil in die USA ging. 2011 führte Haftar die Rebellen gegen Gaddafi mit an. Unter ihnen waren Milizen etwa aus Misrata, die Haftar heute vorgibt, als Islamisten zu bekämpfen. Auf deren Seite wiederum stehen die Türkei und Katar - Libyen ist Schauplatz eines Stellvertreterkonflikts zwischen Unterstützern der Muslimbruderschaft und deren erbitterten Gegnern.

UN-Generalsekretär Guterres hat dazu aufgerufen, alle militärischen Bewegungen in Libyen sofort zu stoppen. Das Land brauche Ruhe und eine politische Lösung, sagte Guterres, der am Freitag nach Benghazi flog, wo er Haftar treffen wollte. Deutschland berief eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats ein. Die USA, Frankreich, Großbritannien, Italien und die Vereinigten Arabischen Emirate verlangten in einer gemeinsamen Erklärung von allen Konfliktparteien, die Spannungen zu verringern, um eine Vermittlung durch die UN zu ermöglichen. Sie drohten, jeden in Libyen zur Verantwortung zu ziehen, der den Bürgerkrieg befeuere - was an Haftar gerichtet ist. Denkbar wären etwa gezielte Sanktionen.

Völlig offen ist, ob der UN-Sondergesandte wie geplant in zehn Tagen im westlibyschen Ghadames die Nationale Konferenz wird eröffnen können, die das seit den Parlamentswahlen 2014 gespaltene Land einen und zu neuen Wahlen führen sollte.

© SZ vom 06.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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