Süddeutsche Zeitung

Libyen:Nur wer Libyens Milizen auflöst, kann den Schleppern das Handwerk legen

Der Westen hat geholfen, Gaddafi zu stürzen. Dass es keinen Plan für die Zeit danach gab, war ein Desaster. Jetzt ist es Zeit für Aufräumarbeiten.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Barack Obama hat es als den "größten Fehler" seiner Präsidentschaft bezeichnet, in Libyen keinen Plan für die Zeit nach Diktator Muammar Gaddafi gehabt zu haben. Die Militärintervention verteidigte er - aber die Probleme begannen am Tag danach. Ausbügeln müssen diese Probleme nun vor allem die Europäer, von denen Frankreich und Großbritannien damals freilich zu den treibenden Kräften des Einsatzes gehörten. Deutschland tut gut daran, sich aus eigenem Interesse an den Aufräumarbeiten zu beteiligen, auch wenn sich in Berlin einige in ihrer Ablehnung des Einsatzes bestätigt fühlen dürften. Ob Libyen stabilisiert werden kann, oder ob das Land tatsächlich zerfällt, ist nicht entschieden.

Im Irak hatten die Amerikaner die Armee und die Institutionen des Staates zerschlagen und so der Anarchie den Weg bereitet. In Libyen hatte Gaddafi seine Herrschaft auch damit abgesichert, dass er starke staatliche Strukturen in seiner 42 Jahre währenden Diktatur nie entstehen ließ. In dieses Vakuum stießen die Milizen, von denen viele bis heute das Land als ihre Beute betrachten. Auch die Terroristen des Islamischen Staates konnten sich in Libyen festsetzen - nur 300 Kilometer von Italien entfernt. Skrupellose Schlepper haben den Menschenschmuggel über das Mittelmeer zum lukrativen Geschäft gemacht.

Es finden sich selbst in dieser extrem schwierigen Lage wenige Menschen in Libyen, die sich in die Zeiten Gaddafis zurückwünschen oder den Sturz des Diktators bedauern. Es gibt dagegen viele, die sich eine stabile Regierung und ein Leben in Sicherheit und Frieden wünschen, ein Leben ohne marodierende Milizen. Die Libyer wollen nicht länger die Leichen ertrunkener Flüchtlinge einsammeln, die an ihren Stränden angespült werden. Und fast alle sehen den Islamischen Staat als Fremdkörper und als Feind, den es zu bekämpfen gilt. All das lässt zumindest ein wenig hoffen, dass der Versuch Erfolg haben kann, jetzt doch noch einen libyschen Staat aufzubauen.

Wenn die Regierung Erfolg haben soll, muss ihre Präsenz gespürt werden

Die Regierung der nationalen Einheit unter Premier Fayez Serraj ist die beste und womöglich auch die letzte Gruppierung, auf die Europa setzen kann. Wenn es ihr gelingt, sich zu etablieren und ihre Macht über den Marinestützpunkt in Tripolis hinaus auszuweiten, könnte sich das Land fangen. Dies zu unterstützen ist eine langwierige, mühselige Aufgabe. Es wird Rückschläge geben, und nötig ist ein Plan für die nächsten Jahre, nicht nur für den nächsten Tag. Wenn die Regierung Erfolg haben soll, muss ihre Präsenz gespürt werden, sie muss handeln können.

Doch dafür hat sie kaum Mittel. Der von Berlin initiierte Unterstützungsfonds für Aufbauprojekte ist hilfreich. Wichtiger ist aber, die wichtigen Akteure im Osten des Landes zur Zusammenarbeit zu bewegen: Ägypten und die Vereinigten Emirate halten den Schlüssel dazu in den Händen. Sie führen in Libyen einen Stellvertreterkrieg gegen Katar, die Türkei und den Sudan, die wiederum Vertreter der Muslimbruderschaft und radikalere islamistische Gruppen im Westen und in Bengasi unterstützen. Wenn die EU-Mission im Mittelmeer das Waffenembargo überwacht, wird das ebenfalls die Zentralmacht stärken.

Entscheidend wird allerdings sein, die Macht der Milizen zu brechen und das Gewaltmonopol des Staates herzustellen. Wie schwierig das wird, lässt sich schon daran ablesen, dass es eben solche Milizen sind, die in Tripolis die Sicherheit der Regierung garantieren. Ihre Loyalitäten richten sich nach Herkunft, seltener nach Ideologie, oft auch nur danach, wer den Kämpfern einen Sold zahlen kann.

Eine Regierungsarmee kann entstehen, wenn die Milizen demobilisiert und in die Streitkräfte integriert werden. Auch dafür braucht es Hilfe von außen. Und: Auch das wird Zeit brauchen. Die Zeit aber läuft aus, wenn niemand dem Islamischen Staat in Libyen Einhalt gebietet. Ohne westliche Luftangriffe wird das militärisch kaum gelingen. Am Boden aber werden Libyer kämpfen müssen, und die Versuchung ist groß, sich im Kampf gegen den IS dann doch an die schlagkräftigsten Milizen zu halten.

Nur wer die Milizen auflöst, kann auch den Schleppern das Handwerk legen. Noch verdient fast jede der bewaffneten Gruppen an dem Geschäft mit Menschenleben. Strafen braucht kaum jemand zu fürchten. Und das Geschäft verspricht noch mehr Ertrag: Solange in Libyen allenfalls die Keimzelle eines Rumpfstaates existiert, macht ein Rückführungsabkommen, ähnlich dem türkischen, keinen Sinn. Noch gibt es in Libyen keine Regierung, die für die Versorgung und Sicherheit von Migranten garantieren könnte. Wenn es sie gäbe, könnte sie das nicht einmal für ihre eigenen Bürger.

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SZ vom 19.04.2016/dayk
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