Libyen: Flugverbotszone:Schutzschild mit Schwächen

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Gaddafi lässt Kampfjets auf libysche Zivilisten feuern - die Auswirkungen sind verheerend. Die Rebellen fordern eine Flugverbotszone, der Westen zögert. Warum? Und was sind die Alternativen? Wichtige Fragen und Antworten im Überblick.

Michael König

Die Unruhen in Libyen gehen unvermindert weiter, die Zahl der Todesopfer soll in die Tausenden gehen. Als besonders verheerend bezeichnen die Aufständischen die Luftangriffe, die Diktator Muammar al-Gaddafi fliegen lässt. Die Rebellen fordern deshalb seit Tagen die Errichtung einer Flugverbotszone - an diesem Mittwoch schlossen sich auch große Teile des EU-Parlaments dieser Forderung an. Jedoch ist die Maßnahme umstritten, ihre Umsetzung riskant.

Kämpfer der Rebellen nahe der libyschen Stadt Ras Lanuf: Die Aufständischen fordern eine Flugverbotszone, um die Luftangriffe der Armee zu beenden. (Foto: REUTERS)

Was ist eine Flugverbotszone?

Flugverbotszonen werden aus zivilen - beispielsweise zum Schutz eines Fußballspiels bei der Weltmeisterschaft - oder militärischen Gründen geschaffen. Der Luftraum über einem bestimmten Gebiet ist dann gesperrt, dort sind keinerlei Flugbewegungen mehr erlaubt.

Flugzeuge, aber auch Hubschrauber oder Ballone dürfen sich nicht darin aufhalten. Sie müssen die Zone entweder umfliegen oder am Boden bleiben, wenn sich ihr Startplatz in dem gesperrten Luftraum befindet. Ausgenommen sind jene Fluggeräte, welche die Einhaltung des Verbots kontrollieren. Wer sich nicht daran hält, wird strafrechtlich verfolgt (in zivilen Zonen), abgedrängt oder gar abgeschossen.

In der Charta der Vereinten Nationen wird die Flugverbotszone als "Maßnahme bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen erwähnt". In Artikel 41 heißt es, die vollständige oder teilweise Unterbrechung des Luftverkehrs sei ein Mittel, den Beschlüssen des Sicherheitsrats Wirksamkeit zu verleihen - ohne Waffengewalt.

Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, diese Maßnahmen seien unzulänglich, kann er sich auf Artikel 42 berufen: Er erlaubt dem Gremium, mit "Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen. Sie können Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, See- oder Landstreitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nationen einschließen."

Eine solche Blockade des Luftverkehrs fordern die Rebellen.

Die libyschen Luftstreitkräfte sind die wohl mächtigste Waffe im Arsenal Gaddafis - das zeigt sich aktuell am Beispiel Sawijas. Nachdem die Aufständischen die Stadt zunächst erobert hatten, bereitete die Armee Gaddafis den Gegenschlag vor - mit Attacken aus der Luft. Die halbe Stadt sei durch Angriffe von Kampfjets zerstört worden, berichtete ein Rebellenkämpfer der Nachrichtenagentur Reuters.

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Nach dem gleichen Muster verfährt die Armee des Diktators in vielen Städten, die von den Rebellen kontrolliert werden. Die Aufständischen klagen, sie könnten es zwar mit Bodentruppen und Panzern aufnehmen, gegen die Kampfflugzeuge seien sie aber nicht gewappnet.

Eine Flugverbotszone würde das sofortige Ende der Luftangriffe bedeuten, das Einfliegen von Söldnern aus anderen afrikanischen Staaten verhindern, den Abgang Gaddafis beschleunigen und damit viele Menschenleben retten - so die Argumente der Aufständischen. Experten beurteilen die Maßnahme jedoch differenziert.

Der Experte für Sicherheitspolitik bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, Markus Kaim, beziffert den Anteil der Luftwaffe an den Angriffen der vergangenen Woche auf "20 bis 30 Prozent". Der Militärexperte der Neuen Zürcher Zeitung, Bruno Lezzi, warnte vor Kollateralschäden, wenn zur Durchsetzung des Verbots die gegnerische Flugabwehr bombardiert werden müsste.

Außerdem gibt es politische Argumente, die gegen eine Flugverbotszone sprechen.

Die Einrichtung einer Flugverbotszone klingt nach einem nahezu pazifistischen Mittel - tatsächlich bedeutet sie einen massiven Eingriff in die Souveränität eines Landes und kommt einer kriegerischen Handlung gleich. Der amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates mahnte, man solle die Dinge beim Namen nennen: Voraussetzung für das Flugverbot sei ein militärischer Angriff auf Libyen, um die Luftabwehr zu zerstören.

Den aber wollen die USA möglichst vermeiden, auch um ihren Ruf in der arabischen Welt angesichts der Kriege in Afghanistan und Irak nicht weiter zu verschlechtern. Hinzu kommen praktische Aspekte: Die Durchsetzung eines Verbots sei "außerordentlich komplex", warnte US-Generalstabschef Admiral Mike Mullen. Benötigt würden geeignete Stützpunkte und eine umfassende Luftwaffenbeteiligung.

Experten verweisen außerdem darauf, dass Libyen fünfmal so groß wie Deutschland ist - und eine Überwachung entsprechend schwierig. Schon jetzt kontrolliert das Militärbündnis Nato zwar mit Hilfe von Awacs-Aufklärungsflugzeugen rund um die Uhr die Entwicklung in Libyen. Doch um ein Verbot durchzusetzen und Verstöße zu ahnden, müssten ausreichend Flugzeuge vorhanden sein.

Selbst wenn die praktischen Hürden zur Seite geräumt werden könnten, bleibt die Wirkung fraglich. "Eine Flugverbotszone würde den Aufständischen sicher nutzen, aber über den Ausgang des Krieges entscheidet es nicht", sagt etwa Michael Brzoska, Leiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Die Erfahrung zeige, "dass ein solcher Bürgerkrieg nicht aus der Luft, sondern am Boden entschieden wird", sagte Brzoska der Frankfurter Rundschau.

Hilfe von Bodentruppen lehnt die libysche Opposition aber ab: "Die Flugverbotszone ist alles, was wir wollen. Aber wir wollen keine ausländischen Soldaten in Libyen", sagte der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrates, Mustafa Mustafa Abdul Dschalil der Welt.

Zu den stärksten Befürwortern einer Flugverbotszone gehören Frankreich und Großbritannien. Diplomaten beider Länder bereiten offenbar eine Resolution für den Weltsicherheitsrat vor. Allerdings haben die Franzosen eine militärische Intervention ausgeschlossen, weshalb London etwas zurückruderte: Es brauche zunächst eine "klare rechtliche Basis", sagte der britische Außenminister William Hague. Die bisherigen Vorbereitungen seien nur für den Notfall.

In Washington reagierte William Daley, der Stabschef im Weißen Haus, mit Hohn auf das Vorpreschen der Europäer: Die Errichtung einer Flugverbotszone sei "kein Videospiel". Verteidigungsminister Gates beklagte "eine Menge lockeres Gerede über militärische Operationen". Präsident Barack Obama will sich alle Optionen offen halten - das bekräftigte er zuletzt in einem Telefonat mit dem britischen Premier David Cameron.

Auch die deutsche Regierung steht einer Flugverbotszone skeptisch gegenüber - Außenminister Guido Westerwelle äußerte Zweifel und plädierte stattdessen für schärfere Sanktionen gegen Libyen. Skepsis herrscht auch in der Opposition: Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warnte etwa vor "Kollateralschäden" im Falle eines "Luftkriegs". Befürworter einer Flugverbotszone sind dagegen die CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder und Ruprecht Polenz - vorausgesetzt, der Weltsicherheitsrat stimme dem Vorhaben zu.

Das könnte jedoch an Russland und China scheitern, die bislang keine Bereitschaft zeigten, sich an den Vorbereitungen für die Zone zu beteiligen. Das chinesische Außenministerium mahnte, Libyens Souveränität müsse respektiert werden. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sprach sich gegen eine Militäraktion aus. Beide Länder können im Sicherheitsrat von ihrem Vetorecht Gebrauch machen.

Neben militärischen sind härtere wirtschaftliche Sanktionen in der Diskussion, um die Gewalt in Libyen zu stoppen. Die Europäische Union hat bereits Ende Februar Bankkonten des Gaddafi-Clans eingefroren, Visaverbote verhängt und Waffenlieferungen an Libyen gestoppt. Außerdem soll das in Europa angelegte Kapital staatlicher Körperschaften Libyens, wie etwa der Zentralbank, eingefroren werden. Diese "faktische ökonomische Kriegserklärung" ( taz) soll den libyschen Diktator zum Einlenken bewegen - doch die Wirksamkeit der Maßnahmen ist umstritten.

In den USA stehen indirekte militärische Mittel zur Debatte. So soll die Marine, die mit zwei Kriegsschiffen vor der libyschen Küste in Stellung gegangen ist, in der Lage sein, den Funkverkehr der libyschen Luftwaffe zu stören und so Angriffe auf Zivilisten zu verhindern.

Der US-Politiker und ehemalige Präsidentschaftskandidat der Demokraten, John Kerry, äußerte die Erwartung, dass sein Land die Rebellen mit amerikanischen Waffen ausrüsten werde. Auch dabei gibt es allerdings rechtliche Probleme, weil die USA dem UN-Waffenembargo gegen Libyen zugestimmt haben. Das gelte für das ganze Land, mahnte Peter Wezemann, Forscher des renommierten Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri, in der Frankfurter Rundschau: "Die Versorgung der Aufständischen mit Waffen wär ein krasser Bruch des Völkerrechts."

Flugverbotszonen gab es in den neunziger Jahren über Bosnien und über dem Irak. Ende der neunziger Jahre sperrte die Nato im Kosovo-Krieg den Luftraum über der damaligen abtrünnigen jugoslawischen Provinz.

Im Bosnien-Krieg wurde das Flugverbot 1992 vom Weltsicherheitsrat beschlossen. Nachdem sich Jugoslawien nicht daran hielt und Angriffe in Bosnien-Herzegowina flog, erhielt die Nato die Erlaubnis, das Verbot mit Waffengewalt durchzusetzen. Flugzeuge des Bündnisses schossen daraufhin mehrfach serbische Jets ab. So konnten weitere Bombardements verhindert werden. Kritiker verweisen jedoch auf das Massaker von Srebrenica, das trotz Flugverbotszone geschah.

Anfang der neunziger Jahre richteten die USA und Großbritannien im zweiten Golfkrieg zwei Flugverbotszonen im Irak ein - ohne dafür ein UN-Mandat zu haben. Gemeinsam mit Frankreich setzten sie das Verbot im Alleingang durch.

1991 sperrten sie zunächst den Luftraum im Norden für irakische Flugzeuge, ein Jahr später den Süden. Weil der irakische Diktator Saddam Hussein Flugabwehrsysteme in Wohngebieten aufstellen ließ, bedeutete das Flugverbot eine große Gefahr für die Zivilbevölkerung. Trotz präziser Waffen wurden in dichtbebautem Gebiet Menschen verletzt und getötet.

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