Libyen:Fatale Gier nach Ressourcen

Protest near the German Embassy in Ankara

Protest gegen die Durchsuchung eines türkischen Schiffs durch deutsche Marinesoldaten: Demonstrant vor der deutschen Botschaft in Ankara.

(Foto: STRINGER/REUTERS)

Zwar schweigen die Waffen in dem nordafrikanischen Land, aber die Konfliktparteien rüsten schon für eine mögliche nächste Runde militärischer Auseinandersetzungen. Der Eklat um die Kontrolle des türkischen Containerfrachters "Roseline A" durch die deutsche Fregatte "Hamburg" ist sichtbarstes Zeichen dafür.

Von Paul-Anton Krüger, München

Das Ouagadougou-Konferenzzentrum in der Küstenstadt Sirte steht wie kaum ein anderes Gebäude für die Wirrungen der jüngeren Geschichte Libyens. Errichtet vom 2011 gestürzten Diktator Muammar al-Gaddafi als Geschenk an seine Heimatstadt richtete hier 2015 die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ihr Hauptquartier ein. Heute hängt hier ein Transparent der gemeinsamen Militärkommission, die verantwortlich dafür ist, den im Oktober von den Vereinten Nationen vermittelten Waffenstillstand umzusetzen.

Bislang hält die Vereinbarung, die dem Land nach einem Jahrzehnt Bürgerkrieg den Weg zu einer politischen Lösung ebnen soll. Hier sitzen je fünf Vertreter der international anerkannten provisorischen Regierung in Tripolis unter Premier Fayez el-Serraj im Westen und des Ostens zusammen, der militärisch von dem Kriegsherrn Khalifa Haftar kontrolliert wird. Von "bemerkenswerten Fortschritten" spricht die amtierende UN-Sondergesandte Stephanie Williams.

Darauf und auf den Druck aus der Bevölkerung wegen der miserablen Versorgungslage verweisen westliche Diplomaten, wenn sie gefragt werden nach den Erfolgsaussichten des politischen Dialogs. In Tunis beraten seit einigen Wochen 75 Libyer darüber, wie ihr Land aus der Krise kommen soll. Einig sind sie darüber, dass am 24. Dezember 2021 ein neuer Präsident und ein Parlament gewählt werden sollen, um die zersplitterten politischen Institutionen zu einen und handlungsfähig zu machen; es ist der 70. Jahrestag der Unabhängigkeit.

Bis dahin sollen ein für das Tagesgeschäft zuständiger Premierminister das nordafrikanische Landes zusammen mit einem auf drei Mitglieder verkleinertem Präsidialrat führen, in dem alle drei Landesteile vertreten sind: Tripolitanien mit der namensgebenden Hauptstadt im Westen, Cyreneika mit der Metropole Benghasi im Osten und der Fessan im Süden mit Sabha als wichtigstem Ort.

Damit endet aber auch schon die Einigkeit. Bislang haben sich die Delegierten nicht auf die Besetzung dieser Ämter verständigen können, nicht einmal auf das Wahlverfahren. Zudem hat es, wie eine Mehrheit der Delegierten in einem Brief an Williams berichtet, Versuche gegeben, Stimmen zu kaufen.

Bald könnte Sirte wieder im Mittelpunkt von Kämpfen stehen

Für das zentrale Amt der Premiers bringt sich der Innenminister in Tripolis, Fathi Baschagha, ins Spiel. In Paris traf er jüngst Außenminister Jean-Yves Le Drian und Verteidigungsministerin Florence Parly. Frankreich hat bisher mehr oder weniger offen Haftar unterstützt. Der ist im Osten nach der Niederlage bei der Militäroffensive auf Tripolis in den Hintergrund getreten. Dort macht sich Parlamentspräsident Aguila Saleh für Höheres bereit - jüngst empfing ihn Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Moskau.

Zwar schweigen die Waffen in Libyen, aber die Konfliktparteien rüsten sich für eine mögliche nächste Runde militärischer Auseinandersetzungen. Der Eklat um die Kontrolle des türkischen Containerfrachters Roseline A durch die deutsche Fregatte Hamburg ist sichtbarstes Zeichen dafür.

Natürlich kontrolliere man "nicht wahllos alle Schiffe vor der libyschen Küste", sagen mit dem Vorgang vertraute Diplomaten. Die Tatsache, dass die Türkei mit fünf Stunden Verspätung der Durchsuchung der Fracht widersprochen und die Inspektion abgebrochen werden musste, "verstärkt den Anfangsverdacht nur". Der bestand darin, dass die Auswerter der EU-Mission Irini zur Überwachung des UN-Waffenembargos Satellitenbilder von einem früheren Besuch des Schiffes in Misrata haben, wie der Spiegel berichtet. Auf denen ist zu erkennen, wie gepanzerte Fahrzeuge für die Verbündeten Ankaras in Libyen entladen werden.

In den wenigen Containern, welche die Bundeswehrsoldaten inspizieren konnten, fanden sie keine Waffen. Doch waren im türkischen Hafen Ambarli verdächtige Güter an Bord genommen worden - und der Frachter im Zusammenhang mit Waffenschmuggel bekannt. Alleine in diesem Jahr soll er insgesamt acht Mal libysche Häfen angelaufen haben.

Das Getöse des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan über eine angebliche "Belästigung" der Crew durch deutsche Soldaten werten Diplomaten als Ablenkungsmanöver. Beim EU-Gipfel Mitte Dezember werden Frankreich, Griechenland und Zypern im Streit um Gasvorkommen im Mittelmeer und deren Erkundung durch die Türkei auf Sanktionen gegen Ankara dringen. Bislang hatte Berlin eine moderierende Haltung eingenommen und Strafen verhindert. Das könnte sich nun ändern.

Allerdings rüstet auch die andere Seite weiter auf, Flüge mit Transportmaschinen in den östlichen Landesteil gehen weiter; oft haben sie ihren Ursprung in den Vereinigten Arabischen Emiraten, sie sind noch vor Ägypten der wichtigste militärische Unterstützer Haftars. Beide Seiten würden weiter Verstärkung ins Land bringen, warnte UN-Vermittlerin Williams den Sicherheitsrat. Entwicklungen im Zentrum Libyens seien "besorgniserregend", sagte sie.

Dort errichten Haftars Einheiten Befestigungsanlagen, statt sich von der Front zurückzuziehen, wie in der Vereinbarung zum Waffenstillstand eigentlich vorgesehen. Die zur Regierung in Tripolis loyalen Milizen fahren weiter Patrouille. Eine Überwachung der Vereinbarung durch internationale Beobachter hatten beide abgelehnt.

Bald könnte Sirte und das mit Einschusslöchern übersäte Ouagadougo-Zentrum wieder im Mittelpunkt von Kämpfen stehen. Die Stadt ist das Tor zum sogenannten Öl-Halbmond an der libyschen Küste. Und der Streit um die Einnahmen aus der wieder auf 1,2 Millionen Barrel pro Tag angewachsenen Ölförderung ist ebenso wenig beigelegt wie der um die politischen Schlüsselpositionen. Der Zugang zu Ressourcen aber ist seit Langem die wichtigste Triebfeder des Bürgerkriegs zwischen den zahlreichen Milizen auf allen Seiten.

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