Süddeutsche Zeitung

Libyen:Erst das Öl, dann das Land

Ein libyscher General fordert die Einheitsregierung heraus. Seine Truppen haben bereits den wichtigsten Ölhafen des Landes eingenommen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Libyen ist reich an schillernden Figuren, doch in einem Mann spiegeln sich wechselnde Loyalitäten und Machtkämpfe der jüngeren Geschichte des nordafrikanischen Landes wie in keinem anderen: General Khalifa Haftar. Am Sonntag haben seine Truppen kampflos den wichtigsten Ölhafen in Al-Sidra eingenommen und die Raffinerie und Terminals von Ras Lanuf, alle am Mittelmeer zwischen Bengasi und Misrata gelegen. Um die Häfen Zueitina und Brega soll es Gefechte geben, auch von Kämpfen um die anderen Ölanlagen ist nun die Rede. Die Operation "Plötzlicher Blitz" kam überraschend, aber nicht völlig unerwartet. Schon lange wird dem 1949 geborenen Offizier, nominell Militärchef der im Osten des Landes herrschenden Regierung mit Sitz in der Stadt Baida, nachgesagt, er wolle die Macht in ganz Libyen an sich reißen.

Diesmal fordert er die von der internationalen Gemeinschaft unterstützte, aber dennoch schwache Regierung der Nationalen Übereinkunft heraus - die ihn entgegen diskret vorgebrachter Forderungen nicht zum Verteidigungsminister machte. Aber er hat sich schon mit fast jeder anderen Kraft in Libyen angelegt: 1969 gehörte er dem Revolutionären Kommandorat an, der Militärjunta, die unter Führung des Oberst Muammar al-Gaddafi 1969 König Idris stürzte; später stieg er zum Generalstabschef auf. 1996 versuchte Haftar einen Putsch gegen den Diktator. Er lebte da schon lange in den USA. Nachdem er 1987 Gaddafis Truppen im Krieg gegen Tschad geführt hatte, geriet er in Kriegsgefangenschaft. Sein Herr ließ ihn fallen, Haftar ging verbittert ins Exil.

2011 kehrte er aus Amerika zurück, um an der Spitze islamistischer Rebellen-Brigaden aus Misrata Gaddafi zu stürzen, getrieben von persönlicher Rache, wie viele in Libyen behaupten. Seit 2014 aber kämpft er gegen genau jene Milizen, die nach der Niederlage der Islamisten bei den Parlamentswahlen einen neuen Bürgerkrieg anzettelten, der bis heute schwelt und zur faktischen Teilung des Landes geführt hat.

Die Einheitsregierung von Premier Fayez Serraj soll diese überwinden. Sie versucht seit März von Tripolis im Westen aus, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Mehrzahl der Misrata-Milizen stellte sich hinter sie. Das Parlament im Osten jedoch, das in der Stadt Tobruk tagt, hat dem Kabinett bislang seine Zustimmung verweigert, die aber ist nötig nach dem von den UN ausgehandelten Friedensabkommen. Es forderte jüngst, die Ministerriege zu verkleinern - in Tripolis wird das als Verzögerungstaktik gesehen.

Serraj war es dennoch gelungen, die beiden konkurrierenden Ölgesellschaften unter seine Kontrolle zu bringen - und damit die wichtigste und einzige Einnahmequelle des Landes, das langsam, aber unaufhaltsam seine Devisenreserven aufbraucht und auf die Staatspleite zuschlittert. Zudem schloss er mit Hilfe der UN einen Deal mit den Ölanlagen-Garden des Kriegsherrn Ibrahim Jadhran, die sich 2013 zum Beschützer der Terminals aufgeschwungen hatten - oder sie zur Geisel genommen hatten, wie es der neue Chef der Ölgesellschaft, Mustafa Sanallah, in einer scharfen Kritik an diesem Deal formulierte.

Haftar hat die Förderanlagen besetzt, kann das libysche Öl aber nur sehr schwer zu Geld machen

Hunderte Millionen Euro sind angeblich an Jadhran geflossen, damit er die Häfen wieder freigibt. Am 18. September sollte der erste Tanker seit Ende 2014 von Ras Lanuf ablegen; die Produktion sollte bis Jahresende von 200 000 auf 900 000 Barrel steigen. Davon ist nun keine Rede mehr - stattdessen steht das Szenario im Raum, dass der Bürgerkrieg durch neue Kämpfe wieder angefacht werden könnte.

Die Einheitsregierung in Tripolis hat ihre Kräfte aufgerufen, die Ölanlagen zurückzuerobern - doch die sind noch damit beschäftigt, die Terrormiliz Islamischer Staat in Sirte niederzukämpfen. Die USA und wichtige europäische Staaten fordern, Haftar müsse sich zurückziehen. Zugleich gibt es die Erwartung, dass Serraj versucht, mit dem Osten zu verhandeln.

Haftar, der für den vorgeblichen Kampf gegen die Islamisten von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt wird, kann das Öl kaum international vermarkten; dem stehen UN-Resolutionen entgegen. Im April scheiterte ein Versuch der Regierung im Osten, 600 000 Barrel auf eigene Faust zu verkaufen. Doch die Kontrolle über die Ölanlagen gibt Haftar Macht über die Konkurrenten in Tripolis.

Der General ließ nun erklären, seine als Libysche Nationalarmee firmierenden Truppen würden die Häfen bald wieder öffnen und mit der Nationalen Ölgesellschaft zusammenarbeiten. Das aber wird einen Preis haben: mehr Geld für die Regierung im Osten oder eine neue Machtverteilung. Das andere Szenario sind Kämpfe, bei denen die Ölanlagen weiter in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Das würde weder Haftar helfen noch seinen Gegnern in Tripolis.

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SZ vom 14.09.2016
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