Libyen-Konferenz:Merkel und die großen Egos

Libyen-Konferenz: Unterschiedliche Blickwinkel: Die Teilnehmer der Libyen-Konferenz in Berlin, einberufen von Kanzlerin Angela Merkel (M.), verfolgen unterschiedliche Interessen.

Unterschiedliche Blickwinkel: Die Teilnehmer der Libyen-Konferenz in Berlin, einberufen von Kanzlerin Angela Merkel (M.), verfolgen unterschiedliche Interessen.

(Foto: AFP)
  • Unabhängig vom Ergebnis ist die Berliner Libyen-Konferenz historisch: Hier zeigt sich, dass Großmächte den Ton angeben - ganz wie im 19. Jahrhundert.
  • Die Europäer haben dabei nicht viel zu sagen, zumindest bislang.
  • UN-Genralsekretär Guterres warnt vor einem "humanitären Alptraum".

Von Daniel Brössler, Berlin

Einer fehlt noch. Gerade ist endlich der Türke Recep Tayyip Erdoğan eingetroffen, hat, während ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel und UN-Generalsekretär António Guterres schon in die Mitte genommen haben, noch rasch den Mantel ausgezogen, und nun ist es wie immer. Russlands Präsident Wladimir Putin erscheint als Letzter, grundsätzlich. Für ihn ist das eine Frage der Ehre, von nicht geringerem Gewicht als der Aurus Senat, seine schwere russische Luxuslimousine, die er aus Moskau hat einfliegen lassen. Erst vier Minuten nach Erdoğans Maybach rollt sie vors Kanzleramt; dem russischen Protokoll ist Genüge getan.

Als dann alle drin sind, wissen sie im Wesentlichen auch schon, was herauskommen wird. Monatelang haben Spitzenbeamte vertraulich verhandelt, zum letzten Mal am Samstag. Letzte strittige Punkte sind geklärt, der Entwurf für die Abschlusserklärung ist "entklammert" worden, wie Diplomaten das nennen. So steht keiner der 55 Punkte mehr unter Vorbehalt, also in Klammern. Das heißt aber nicht, dass es nicht noch Ärger geben kann. Es sind große Egos, die sich da im Kanzleramt erst zum obligaten Familienfoto und dann um einen runden Tisch versammeln. Jedes einzelne Ego könnte die Konferenz platzen lassen. Doch dazu kommt es nicht. Die mächtigen Männer - neben Merkel ist EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die einzige Frau - haben sich versammelt, um ein Problem zu lösen. "Nur ein politischer Prozess unter libyscher Führung und in libyscher Eigenverantwortung kann den Konflikt beenden und dauerhaften Frieden herbeiführen", heißt es in der Erklärung, der schließlich alle zustimmen. Der Frieden, er bleibt während der Berliner Konferenz noch in weiter Ferne, aber Fortschritte gibt es schon. Was auch daran liegt, dass keine Seite mehr zu glauben scheint, dass sie den Konflikt für sich entscheiden kann. Von einem "politischen Impuls" für Frieden in Libyen spricht die Kanzlerin. Es geht darum, den Bürgerkrieg auszutrocknen, also vor allem darum, den Zustrom von Waffen zu stoppen. Das soll aus einer brüchigen Waffenruhe einen echten Waffenstillstand machen. "Wir verpflichten uns, uns nicht in den bewaffneten Konflikt in Libyen und in die inneren Angelegenheiten Libyens einzumischen, und wir rufen alle internationalen Akteure auf, dasselbe zu tun", steht in der Erklärung, was natürlich erst einmal nur ein Versprechen ist. Gefordert wird auch die Entwaffnung der Milizen. Ob diese Entwaffnung gelingt, ist ungewiss, aber historisch ist die Berliner Konferenz in jedem Fall. An ihr wird eines Tages zu studieren sein, wie Außenpolitik in den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts funktioniert hat, nämlich nicht grundsätzlich anders als die Großmacht-Politik des 19. Jahrhunderts. So sind die beiden libyschen Gegenspieler, Fayez al-Serraj und Khalifa Haftar, erst einmal nur Randfiguren. In Einzelgesprächen werden sie vor und während der Konferenz von der Kanzlerin und von Außenminister Heiko Maas bearbeitet. Am runden Tisch können sie schon deshalb nicht Platz nehmen, weil sie sich weigern, gemeinsam einen Raum zu betreten. Wer an diesem Tisch wie viel zu sagen hat, das bemisst sich auch danach, wer wie viel investiert hat in Libyen. Prestige, Geld, Waffen oder gar Truppen.

Und keinem, der am Tisch sitzt, geht es nur um Frieden in Libyen. Da wäre Präsident Erdoğan. Er ist Fayez al-Serraj, dem Chef der international anerkannten Regierung, militärisch zu Hilfe geeilt. Nicht selbstlos, sondern entlohnt mit einem Abkommen zur Ausbeutung von Bodenschätzen im Mittelmeer, das die Interessen Griechenlands ignoriert. Da ist Kremlchef Putin, für den russische Söldner auf der Seite des rebellischen Generals Haftar kämpfen. Mit relativ geringem Einsatz ist Putin so seinem Ziel wieder ein Stück näher gerückt, dass bei keinem Konflikt rund ums Mittelmeer ein Weg an Russland vorbeiführt. Haftar allerdings hat noch mehr Freunde. Der vielleicht wichtigste ist Mohammed bin Zayid al-Nahyan, Kronprinz von Abu Dhabi und stellvertretender Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate. Ohne die finanzielle und militärische Unterstützung aus den Emiraten hätte es Haftar mit seinen Truppen nicht bis vor die Tore von Tripolis geschafft.

Auch Türken und Russen waren "nicht relevant" - bis sie militärische Muskeln zeigten

In einem Einzelgespräch hatte Merkel ihn schon am Samstag bearbeitet und danach verkünden lassen, die Emirate unterstützten "aktiv und nachdrücklich die Umsetzung der Ergebnisse der Berliner Libyen-Konferenz". An der Konferenz selbst nimmt der Prinz dann nicht teil, aber sein Außenminister erhält wohl Anweisung, konstruktiv zu agieren.

Alle "relevanten Akteure" seien versammelt, verkündet am Anfang der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, und das sei doch schon mal eine gute Nachricht. Allerdings liefert er die schlechte gleich hinterher. Die Europäer hätten in dem Konflikt bisher nicht viel zu sagen, räumt er ein. Dabei spiele er sich praktisch vor deren Haustür ab, im zentralen Mittelmeer. Die Europäer seien also gefragt, wenn es um die Durchsetzung des UN-Waffenembargos gehe. "Wenn nicht dort, wo dann?", fragt er.

Der Spanier stellt damit die entscheidende und für die Europäer überdies schmerzhafte Frage. Eine Frage, auf die er die Antwort auch gleich selbst erteilt. Dass die Europäer sich bislang nicht wirklich einig gewesen seien, sei ja kein Geheimnis, was vor allem auf das Konto der Franzosen als Helfer Haftars und das der Italiener als Unterstützer al-Serrajs geht. Bis vor sechs Monaten seien ja auch Türken und Russen noch "nicht relevant" gewesen in Libyen, daran erinnert Borrell. Also bis sie schließlich das taten, was die Europäer bislang scheuen: militärische Muskeln zeigen.

Später bei der Pressekonferenz wird Merkel gefragt werden, ob sich das bald ändere, ob die Bundeswehr sich an einer möglichen UN-Friedenstruppe beteiligen würde. Man dürfe doch, bremst sie, "den dritten Schritt nicht vor dem ersten tun". Neben Merkel sitzt da ein UN-Generalsekretär, der noch vor Stunden vor einem fortgesetzten Albtraum in Libyen gewarnt hatte und der Kanzlerin nun gar nicht genug danken kann. Schließlich hätten die Teilnehmer ein "starkes Signal" zur Lösung der Krise ausgesandt. Merkel selbst formuliert es trocken: "Ich glaube, dass man sagen kann, dass die Berliner Libyen-Konferenz einen wichtigen Beitrag geleistet hat, um die Friedensbemühungen der Vereinten Nationen zu unterstützen." Tatsächlich besteht Merkels Erfolg nicht nur darin, dass sich alle zwölf Staaten auf die Erklärung verständigt haben. Ihr gelingt es auch, die beiden Libyer auf die Waffenruhe zu verpflichten. Vor allem Haftar benennt endlich die Mitglieder eines Komitees zu deren Überwachung. Die Idee ist, die Waffenruhe zu sichern und so den Weg zu einem echten Waffenstillstand zu ebnen. Man habe sich "den Schlüssel besorgt, mit dem wir den Konflikt in Libyen lösen können", sagt Minister Maas. Dieser müsse nun ins Schloss gesteckt "und auch umgedreht werden".

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