Libyen:Anzeichen für Kriegsverbrechen

Mindestens 53 Menschen sind bei einem Luftangriff auf ein Migrantenlager in der Nähe von Tripolis ums Leben gekomen. UN-Sicherheitsrat verurteilt Angriff auf ein Lager für Migranten bei Tripolis nicht - mangels Einstimmigkeit.

Von Paul-Anton Krüger

UN-Generalsekretär António Guterres hat eine unabhängige Untersuchung des mutmaßlichen Luftangriffs auf ein Internierungslager für Migranten in Libyen gefordert. Die Opferzahl ist laut den UN inzwischen auf 53 gestiegen, mehr als 130 Menschen wurden verletzt. Der UN-Sicherheitsrats konnte sich in der Nacht zum Donnerstag jedoch nicht darauf einigen, den Angriff einhellig zu verurteilen. Großbritannien hatte eine entsprechende Erklärung eingebracht, die keine Schuldigen benennt, aber eine sofortige Waffenruhe fordert. Die USA verurteilten den Angriff zwar öffentlich, ihr Vertreter im Sicherheitsrat teilte aber mit, er könne den Text nicht ohne Instruktionen aus Washington mittragen. Die USA haben derzeit keinen UN-Botschafter; die vom Senat zu bestätigende Position ist seit dem Rücktritt von Nikki Haley seit Jahresende 2018 vakant.

Indes mehren sich die Indizien für ein Kriegsverbrechen, für das möglicherweise alle Kriegsparteien in dem nordafrikanischen Land mitverantwortlich sind. Die UN hatten die genaue Position des von Italien und der EU mitfinanzierten Lagers über den Konfliktparteien mitgeteilt, wie Guterres bestätigte. Die international anerkannte Regierung der Nationalen Übereinkunft von Premier Fayez al-Serraj hatte Appelle des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR ignoriert, das Lager zu evakuieren. Nominell betreibt es das ihr unterstehende Direktorat zur Bekämpfung illegaler Migration, tatsächlich kontrollieren in Libyen aber Milizen viele der Lager. Vor zwei Monaten waren bei einem Luftangriff auf das Gelände bereits zwei Migranten verletzt worden. Insgesamt sind laut den UN 3300 Menschen in Lagern in Frontnähe untergebracht und dadurch in Lebensgefahr.

Vermutlich tragen alle Konfliktparteien Schuld am Tod von 53 Menschen in dem Lager

Der Angriff galt offenbar einem Waffen- und Munitionslager der mit der Regierung verbündeten Al-Daman-Brigaden auf demselben Gelände in Tajoura, einem Vorort im Osten der Hauptstadt Tripolis. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenze warf der Miliz indirekt vor, Migranten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Menschen aus dem Lager berichteten, man habe sie gezwungen, in der Waffenkammer zu arbeiten und Geschütze zu reinigen. Dort seien große Mengen Raketen und andere Munition gelagert worden.

Einige Migranten berichteten, Wachen hätten auf sie geschossen, als sie versuchten, sich nach dem Angriff in Sicherheit zu bringen; auf einem Video waren weitere Detonationen zu beobachten, mutmaßlich von gelagerter Munition. Insassen berichteten auch von einem zweiten Angriff aus der Luft. Migranten aus einem anderen Lager bei Gharyan sagten, Milizen hätten versucht, sie als Kämpfer zu rekrutieren. Auch aus Tajoura gibt es solche Berichte.

Die sogenannte Libysche Nationalarmee (LNA) des Kriegsherrn Khalifa Haftar bestritt, für den Angriff verantwortlich zu sein. Regierungstreue Truppen hätten auf LNA-Angriffe mit Granatfeuer geantwortet und das Lager getroffen. Allerdings sprechen die Schäden dort dafür, dass es tatsächlich einen Luftangriff gegeben hat. Die LNA verfügt über eine rudimentäre Luftwaffe. Sie fliegt seit Montag Angriffe auf Ziele in Tripolis, nachdem regierungstreue Milizen eine Großoffensive Haftars zurückgeschlagen hatten. Am Donnerstag bombardierten sie nach eigenen Angaben den Flughafen Mitiga in Tripolis und zerstörten einen Kontrollraum für Drohnen, die aus der Türkei stammen sollen. Auf Seiten Haftars fliegen die Vereinigten Arabischen Emirate mit Drohnen Luftangriffe. Während sie auch in der Nacht operieren tut dies die Luftwaffe der LNA selten; der Angriff auf Tajoura ereignete sich am frühen Dienstagmorgen noch vor Sonnenaufgang.

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