Libertäre im Silicon Valley:Hyperkapitalismus, sei umarmt!

Rand Paul

US-Senator Rand Paul bei seinem Auftritt in San Francisco

(Foto: Lincoln Labs/Ilya Astro)

Das Silicon Valley glaubt an den freien Markt. Doch genügt das, um die Tech-Elite für die Republikaner zu gewinnen? Der umstrittene Senator Rand Paul wagt in San Francisco den Versuch.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Es muss ein Fehler in der Matrix sein. Der rege Austausch von Visitenkarten, die Flurgespräche über neue Start-up-Ideen, der Programmierwettbewerb - all die Rituale passen in das übliche Setting von Tech-Konferenzen. Und doch ist an diesem Vormittag etwas anders.

Vielleicht liegt es an der ungewöhnlich hohen Anzugquote - die Technologiebranche ist ja auch im Jahr 2014 weiterhin eine Kapuzenpulli- und Hemd-ohne-Jacke-Szene. Ganz sicher aber hat es mit dem Mann zu tun, der vor mehreren Hundert Zuschauern gerade das Wort ergriffen hat.

"Weniger Regierung führt zu mehr Kreativität, und das bringt mehr Jobs", sagt Rand Paul in breitem Südstaaten-Slang. Sein Jackett hat der 51-jährige Republikaner ausgezogen, jetzt legt er verbal nach. "Ich werde immer gefragt: 'Sind Regierungen von Natur aus dumm?' Meine Antwort lautet: 'Nein, aber das ist eine diskussionswürdige Frage.' "

Neustart mit Freiheitsideologie

Gelächter und nickende Köpfe im Publikum. Kurzer Realitätsabgleich: Sind wir wirklich in einem Hotel im Zentrum des korrekten wie ultraliberalen San Francisco? In Kalifornien, jenem Bundesstaat, dessen Bewohner zuletzt 1988 einen Republikaner in den US-Senat gewählt haben? Wo Anti-Washington-Rhetorik nur beklatscht wird, wenn sie von den Demokraten kommt?

Ja, das ist alles echt und 2014. "Reboot" heißt die Konferenz, die einige Konservative des Silicon Valley auf die Beine gestellt haben. Etwa 300 Teilnehmer haben sich versammelt, um den Republikanern einen "Neustart" zu verpassen. Manager aus der Risikokapital-Branche, Software-Entwickler, aber auch Parteifunktionäre aus anderen Teilen des Landes. Und Rand Paul.

Der Senator aus Kentucky gilt als möglicher Präsidentschaftskandidat und Vertreter des libertären Flügels. Seine Ansichten machen ihn für die konservative Mitte eigentlich unwählbar, doch im Tech-Zeitgeist finden sich Anknüpfungspunkte. "Ihr habt hier etwas aus dem Nichts aufgebaut und schafft jeden Tag Arbeitsplätze", schmeichelt Paul an diesem Nachmittag seinem Publikum, um im nächsten Atemzug unter allgemeiner Zustimmung über die Überwachungsexzesse der NSA zu schimpfen und die "Revolution der Bildung" durch das Internet zu preisen, den Mitfahrdienst Uber und Bitcoin als Gegenmodell zur Macht der Zentralbank.

Wenn Libertäre von der Freiheit sprechen, meinen sie wenig Steuern, wenig Regierung, wenig Regulierung, viel Kapitalismus und viel persönliche Freiheit, inklusive der Legalisierung weicher Drogen. Auf einem entsprechenden Fundament, inklusive einer bis an Hass reichenden Regierungsfeindlichkeit, steht auch immer noch die Tea Party. Und die fast utopistische Entgrenzung des Individualismus hallt paradoxerweise im "Alles ist möglich"-Klima der kosmopolitischen Tech-Branche nach.

Profitieren die Republikaner vom libertären Tech-Zeitgeist?

Rand Paul weiß dies, er kennt auch den finanziellen Wert dieser Gemeinsamkeit. Am Tag davor war er bei einigen Tech-Firmen im Silicon Valley, die 2016 mögliche Spender sein könnten. Nun ruft er seinen Zuhörern zum Abschluss zu: "Seid nicht depressiv, weil die Regierung so schlecht ist. Benutzt euren Kopf, um Lösungen für den freien Markt zu finden, die den Idioten und Trollen in Washington niemals einfallen würden!"

Abgesehen von den Beleidigungen ist das schon ziemlich nah an Botschaften von Silicon-Valley-Meinungsmachern wie Risiko-Finanzier Marc Andreessen, die Technologie als zu entfesselnde Urgewalt für die Befreiung von Mensch und Markt preisen.

Unvereinbare Ideologien

Doch Andreessen ist an diesem Tag ebenso wenig gekommen wie andere Prominente. Stattdessen sind es Gesichter aus den hinteren Reihen der Tech-Gilde, die hier ihr Bekenntnis zum Konservativen ablegen und dabei nicht mit Kritik an den Republikanern sparen: "Wir sind in Washington in der Minderheit", beschwert sich Dan, der für eine Tech-Firma im Valley arbeitet, "manchmal habe ich das Gefühl, dass wir bei jedem Thema den Kürzeren ziehen."

Die Tea Party hat die Partei nach rechts gedrückt, hiesige Entwicklungen wie Gleichberechtigung für Homosexuelle oder der Wunsch nach Visa-Erleichterungen für Fachkräfte sind in den Reihen der Konservativen weiterhin nicht mehrheitsfähig. Die Konferenzteilnehmer erwecken in den Gesprächen und auf den Podien deshalb manchmal den Eindruck, als wären sie eine zweifache Minderheit: In ihrem Bundesstaat und in ihrer Partei.

Die Republikaner brauchen kluge Bastler

Dass diese Minderheit 2016 wichtig werden könnte, ahnt jedoch auch das Establishment. "Ich habe seit 1992 bei allen unseren Präsidentschaftskampagnen mitgeholfen", ruft Parteistratege Chris Turner aus Texas den Konferenzteilnehmern zu, "wisst ihr, was sich im Laufe der Zeit geändert hat? Nichts." Während Obama seine Anhänger mit digitalen Hilfsmitteln perfekt mobilisierte, verpassten die Republikaner den technischen Anschluss.

Das soll sich nun mit Hilfe der Köpfe aus der Tech-Branche ändern, auch darum geht es auf der "Reboot"."Steht auf, eure Armee erwartet euch", fleht Turner die technologieaffinen Zuhörer an. Und am Rande der Konferenz erzählt ein Teilnehmer, der seinen Namen nicht im Netz lesen möchte, dass er an einem digitalen Warnsystem bastelt: Innerhalb weniger Minuten könnten bei kontroversen Themen Parteianhänger mobilisiert werden, um mit Tweets und Online-Kommentaren die konservative Meinungshoheit zu sichern.

So banal das politische Geschäft, so banal ist die Tatsache, dass die konservative Revolution im Golden State ausbleiben wird. In Los Angeles seien die Libertären gerade dabei, zur führenden Stimme der örtlichen Republikaner zu werden, erzählt eine Konferenzteilnehmerin. "Das bedeutet natürlich nichts", sagt sie lachend. "Am Ende ist das hier immer noch Kalifornien."

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