Süddeutsche Zeitung

Liberaler Ministerpräsident:Justin Trudeau macht Kanada sexy

Kanadas neuer Premier posiert mit schwulen Vätern. Er holt viele Frauen ins Kabinett. Und er sorgt für unanständige Witze.

Von Matthias Kolb, Washington

Justin Trudeau brauchte nur vier Worte, um die liberalen Teile des Internets um den Verstand zu bringen. Schon nach seinem Wahlsieg hatte Kanadas neuer Premier für viele Schlagzeilen gesorgt: Der britische Daily Mirror kürte ihn zum "sexiesten Politiker der Welt", NBC News erinnerte an seine Vergangenheit als Boxer und daran, dass Trudeau mal bei einem Benefiz-Event einen Striptease hingelegt hatte.

Doch dann beantwortete der 43-Jährige die Frage einer Journalistin, warum er sein Kabinett aus 15 Frauen und 15 Männern gebildet habe, mit diesem Satz: "Because it's 2015."

Dank dieser - im Rest der Welt weiterhin - außergewöhnlichen Personalentscheidung wird Trudeau auch von feministischen Websites wie Jezebel.com gefeiert: "Sein Kabinett ist die sexieste Sache an Justin Trudeau." Seit der Vereidigung in der vergangenen Woche lässt die #Trudeaumania kaum nach, sagt Lauren Strapagiel von Buzzfeed Canada. Über den weltberühmten Satz "Weil wir 2015 haben" sagt die Social-Media-Redakteurin: "Das ist typisch: Er ist schlagfertig und formuliert sehr knapp." Dass sich plötzlich der Rest der Welt für Kanadas "hot prime minister" (scharfen Premierminister) interessiert, amüsiert die 26-Jährige.

In Strapagiels Augen verkörpert Justin Trudeau, dessen Vater zweimal Premierminister war, das "gute Kanada". Nicht nur linke Kanadier wollen, dass ihr Land als "liberales Amerika" wahrgenommen wird: also als progressiv, offen für Migranten und tolerant gegenüber Minderheiten.

Und da dieser Ruf unter Ex-Premier Stephen Harper ziemlich gelitten hat (er stellte unter anderem Interessen der Öl-Industrie meist über Umweltschutz), sorgen solche Fotos von Trudeau nun gerade bei jungen Internet-Nutzern für Aufsehen: Der neue Premier posiert im Krankenhaus mit seinem schwulen Kabinettsmitglied Scott Brison, dessen Partner und deren Zwillingstöchtern.

Bei der Auswahl seiner Regierung hat Trudeau nicht nur auf Ausgewogenheit bei den Geschlechtern und der regionalen Herkunft geachtet: Zwei seiner Minister haben Behinderungen, zwei gehören den Ureinwohnern an und vier der Sikh-Minderheit. Harjit Sajjan, der neue Verteidigungsminister, wurde auch sofort mit seinem Turban zum Internet-Star.

Ob der neue Feministen-Liebling Trudeau alle versprochenen Verbesserungen für Frauen und die LGBT-Community (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Im Wahlkampf, so Laura Strapagiel von Buzzfeed Canada, hat Trudeau seine künftigen Abgeordneten verpflichtet, das Recht auf Abtreibung zu befürworten. Er will Schwulen erlauben, Blut zu spenden, und dafür sorgen, dass mehr als 1000 Morde an Frauen, die zu den sogenannten First Nations gehören, aufgeklärt werden. Trudeaus Vorgänger Harper hatten die kanadischen Ureinwohner nie interessiert.

Spitzenpolitiker als Sexsymbol

Allerdings finden sich in den sozialen Netzwerken, also bei Twitter, Tumblr und Facebook, vor allem auch sehr viele Sprüche und Bilder, die das gute Aussehen von Justin Trudeau preisen. Die meisten Tweets werden mit #DaddyTrudeau versehen. Laura Strapagiel berichtet auch von ersten "erotischen Fan-Romanen", in denen der Premier eine prominente Rolle spielt. Außerdem sei der sexuell sehr explizite Hashtag #PMILF (manchmal auch #PILF) sehr beliebt (mehr dazu hier).

Manche Internet-Nutzer diskutieren darüber, welchem Prinzen aus diversen Disney-Filmen Trudeau nun am ähnlichsten sieht, andere fühlen sich an den Film "Tatsächlich Liebe" aus dem Jahr 2003 erinnert, in dem Hugh Grant in die Rolle des britischen Premiers schlüpft.

Und diese Nutzerin sieht in Justin Trudeau gar die Antwort auf den russischen Alpha-Mann Wladimir Putin.

Vor der Vereidigung seines Kabinetts wandte sich Trudeau in einem offenen Brief an die Kanadier: "Im Wahlkampf haben wir euch eine Regierung versprochen, die echten Wandel bringen wird - sowohl in den Dingen, die wir machen, als auch in der Art, wie wir sie machen."

Das klingt sehr verdächtig nach dem "Change we can believe in"-Slogan, mit dem Barack Obama 2008 ins Weiße Haus stürmte. Obama war damals mit 47 nur unwesentlich älter als Trudeau, die Welt hatte im gefühlt endlos dauernden US-Wahlkampf allerdings die Möglichkeit, sich an Obama zu gewöhnen. Trudeau ist neu und kann so Akzente setzen: In einem Brief an die kanadischen Diplomaten erlaubte ihnen der neue Premier, ihre Meinungen in Interviews zu äußern. Unter Vorgänger Harper seien Äußerungen zur Außenpolitik "sehr streng" kontrolliert worden.

Wie stark sich Trudeau für das transpazifische Freihandelsabkommen einsetzen wird, ist ebenso offen wie seine Strategie für den Klimagipfel in Paris im Dezember. Kanada hatte bisher zusammen mit Australien striktere Regeln verhindert. Auch die Aktivisten von Avaaz nutzen Trudeaus Vergangenheit als Boxer (mehr in diesem SZ-Porträt), um ihn zu mehr Engagement für Umweltschutz aufzufordern.

Nachdem US-Präsident Obama den Bau der Keystone-Pipeline, die von Kanada nach Texas führen sollte, abgelehnt hat, muss sich Trudeau hier nicht mehr positionieren. Der neue Premier hat dagegen angekündigt, dass kanadische Kampfflugzeuge nicht mehr an Luftangriffen gegen die IS-Miliz teilnehmen werden. Außerdem hat Trudeau versprochen, bis zum Jahresende 25 000 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen - die Vorgängerregierung hatte hier nur die Hälfte zugesichert.

Der Vergleich zu Obama ist einerseits natürlich schmeichelhaft; andererseits weckt er ungute Erinnerungen bei Linken und Liberalen in aller Welt. Denn Obama hat viele Hoffnungen enttäuscht. Weil er aus einer Polit-Dynastie stammt, wird Justin Trudeau zudem regelmäßig mit John F. Kennedy verglichen - auch weil seine Mutter ähnlich glamourös war wie Jackie Kennedy.

Es spricht viel dafür, dass der neue Premier Kanadas seinen Stil suchen wird. Wie lange ihm ausländische Medien (darunter vor allem die linksliberalen und feministischen Websites in den USA und Westeuropa) dabei zuschauen werden, hängt sicher von den Ergebnissen seiner Politik ab. Doch wenn er weiterhin gefilmt wird, wenn er so hinreißend tanzt (wie bei dieser Party mit Hindus nach seinem Wahlsieg), dann wird das Interesse so schnell nicht nachlassen.

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