Liberale Posten-Rochade:Neue, alte FDP

Die Liberalen belassen es bei einem personellen Neubeginn: Alle, die bisher etwas zu melden hatten, sind immer noch da - irgendwie, irgendwo. Der neue Fraktionschef Brüderle ist wohl die multipelste Persönlichkeit der schwarz-gelben Koalition. Nur eines ist er ganz sicher nicht: die Zukunft der FDP.

Nico Fried, Berlin

Man hätte ahnen können, dass es Rainer Brüderle schafft. Brüderle, der Rheinland-Pfälzer, hat alle ausgesessen. Während andere Liberale zuckten, hat er sich einfach nicht bewegt. Als die FDP vor einigen Wochen den Generationswechsel eröffnete, musste der 49-jährige Parteichef Guido Westerwelle gehen - der 65-jährige Brüderle blieb. Er wich nicht aus dem Wirtschaftsministerium, er wich nicht vom stellvertretenden Parteivorsitz. Brüderle wich erst, als er den Fraktionsvorsitz erhielt, ein Amt, mit dem er kaum schlechter gestellt ist als mit einem Ministerium. Weniger wichtig wird Rainer Brüderle jedenfalls nicht in der FDP.

Rainer Brüderle, bisher Wirtschaftsminister, nun gewählter Chef der FDP-Bundestagsfraktion Fraktionsvorsitz

Gewinner im Posten-Poker: Rainer Brüderle, bisher Wirtschaftsminister, nun gewählter Chef der FDP-Bundestagsfraktion

(Foto: dpa)

So nimmt denn der Umbau der Liberalen einen interessanten Verlauf: Erstens kommt es anders. Und zweitens als man denkt. Der designierte Vorsitzende wankt zwischen Führung und Fürsorge. Philipp Rösler hat kein einziges Mal öffentlich erklärt, was er eigentlich will, wird aber am Ende behaupten, alles sei Strategie gewesen. Es gibt einen personellen Neubeginn, der darin besteht, dass alle, die bisher etwas zu melden hatten, immer noch da sind, irgendwie, irgendwo. Ausgerechnet in der FDP selbst offenbart sich erstmals die Bedeutung des viel zitierten mitfühlenden Liberalismus: Diese Partei lässt keinen zurück.

Der personelle Umbau folgt einer schwer ergründlichen Logik. Guido Westerwelle darf nicht mehr an der Spitze der Liberalen stehen, wohl aber Deutschland im Ausland repräsentieren. Birgit Homburger wird als Fraktionsvorsitzende abgesägt und gleichwohl für politisch unverzichtbar erklärt. Rainer Brüderle hat sich erst vehement für längere Atom-Laufzeiten eingesetzt, dann die Energiewende als taktisches Manöver entlarvt - und darf nun diese Politik weiter an einer Schlüsselstelle mitgestalten.

In Röslers neuer FDP gilt Kompensation mehr als Konkurrenz. Wer gibt, dem wird gegeben. Und weil Röslers Wille allein nicht jeden zu überzeugen vermag, ist es bereits ein wichtiges Kriterium, den Parteivorsitzenden nicht zu beschädigen, ehe er überhaupt gewählt worden ist.

Philipp Rösler hat es noch nicht geschafft, seinem Handeln die Anmutung der Fummelei zu nehmen. Für sich hat er jetzt erreicht, was er mindestens erreichen musste. Aber wenn demnächst ein Gruppenbild der FDP-Führung geschossen wird, dann ist fast dasselbe Team zu sehen wie vorher, nur dass manch einer jetzt hier steht und manch andere dort. Der Gewinner dieser Verschiebungen ist Rainer Brüderle, der sich allmählich zu einem Unikat in den Reihen der Liberalen entwickelt: wendig, wenn es darauf ankommt; widersprüchlich, wenn es sein muss; weise, wenn es ums politische Überleben geht.

Liberalismus der Hauptseminare

Brüderle ist ein Non-Konformist. Er hat es in seiner Karriere fertiggebracht, zugleich unter- und überschätzt zu werden, stets so, wie es gerade gut für ihn war. Er ist bodenständig und jovial, nah bei de Leut, wie die Mainzer sagen. Er hat in Rheinland-Pfalz gut mit der SPD regiert. Als Wirtschaftsminister aber hat ihn zuletzt ein anti-etatistischer Diskurs zu seinem Popstar gekürt, der sich gerne angewidert vom wuchernden Sozialdemokratismus und besorgt über den unvermeidlichen Niedergang Deutschlands geriert. Brüderle ist mithin vielleicht die multipelste Persönlichkeit der schwarz-gelben Koalition. Nur eines ist er ganz sicher nicht: die Zukunft der FDP.

Diese Zukunft heißt Philipp Rösler, und Christian Lindner und Daniel Bahr - jedenfalls hofft das die FDP jetzt, muss es hoffen, da ihr nicht viel anderes mehr übrigbleibt. In Aufsätzen und Büchern haben die drei jungen Männer gelegentlich schon notiert, wofür sie stehen wollen.

Es ist ein Liberalismus der Hauptseminare und des eloquenten Vortrags, nur bisweilen aber der Lebenswirklichkeit, von der Verständlichkeit mal ganz zu schweigen. Es ist ein Liberalismus, der intellektuell ambitioniert daherkommt, gerade mit diesem prätentiösen Geschwurbel aber die Zwanghaftigkeit offenbart, mit der er seine Berechtigung gegen die Zweifler in Partei und Öffentlichkeit zu behaupten versucht. Die junge FDP wirkt noch sehr altklug.

Als Westerwelle Parteichef wurde, war er 39. Rösler ist ein Jahr jünger. Die FDP hat mit einem jugendlichen Vorsitzenden nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Westerwelles Weg zu 14 Prozent führte ihn über die Jahre vorbei an Jürgen Möllemann und gefährlichen politischen Ecken. Selten hat ein Parteichef so nachhaltig seinem Image geschadet wie 2002 der Kanzlerkandidat Westerwelle mit seinem Spaßwahlkampf. Sein langer Weg war auch Ausdruck von Unsicherheit, die sich hinter einer Attitüde der absoluten Überzeugung versteckte.

Ein Problem der Liberalen war zuletzt, dass kaum mehr jemand ihre Politik beachtete, weil der Manierismus des Vorsitzenden alles überdeckte. Auch Rösler, Lindner und Bahr sind noch zu viel FDP der Attitüde. Die junge FDP bekommt vielleicht eine Zukunft, wenn sie authentisch wird.

Denn eigentlich hat sie einen unschätzbaren Vorteil: Die Liberalen könnten, so wie die Grünen vor 30 Jahren, das Lebensgefühl einer jüngeren Generation treffen, weil große Teile des Führungspersonals dieser Generation selber angehören. Welche andere Partei hat das schon zu bieten?

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