Libanon:Kulturkampf am Strand

Libanon: Ob Bikini oder Burkini - Frauen in Libanon wollen sich nicht bevormunden lassen. Dieses Bild stammt vom Strand von Sidon, wo kürzlich eine Frau im Bikini und ihr Mann angegriffen worden sind.

Ob Bikini oder Burkini - Frauen in Libanon wollen sich nicht bevormunden lassen. Dieses Bild stammt vom Strand von Sidon, wo kürzlich eine Frau im Bikini und ihr Mann angegriffen worden sind.

(Foto: MAHMOUD ZAYYAT/AFP)

Südlich von Beirut wehren sich Frauen gegen männliche Bevormundung. Sie kämpfen für die Freiheit, einen Bikini zu tragen.

Von Dunja Ramadan

Türkisfarbenes Mittelmeer, Sandstrand, Sonne - man könnte die Kulisse im libanesischen Sidon südlich von Beirut richtig genießen, vielleicht noch mit einer gekühlten Zitronen-Minz-Limonade in der Hand, Augen zu und abschalten, aber das ist gerade unmöglich. Denn vor dieser Kulisse ist ein Kulturkampf ausgebrochen. Zwei Gruppen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die Journalisten filmen, das Meer rauscht im Hintergrund.

Begonnen hat alles mit der Libanesin Maysa Hanouni, die sich vor wenigen Tagen gemeinsam mit ihrem Mann einen schönen Tag am Strand machen wollte. Sie las gerade ein Buch, als zwei Männer ihren Ehemann zur Seite nahmen. Es folgte: ein Wortgefecht, immer mehr Männer, die das Paar laut Hanouni mit einem Ball, Wasser und Sand bewarfen. Der Grund: Die Libanesin war in ihren Augen nicht angemessen gekleidet. Sie trug einen Bikini.

Maysa Hanouni gibt seitdem viele Interviews, denn sie ist wütend, die Stadtverwaltung hat nicht nur nicht reagiert - sie hat am öffentlichen Strand sogar ein Schild aufstellen lassen. Mit Benimmregeln. Demnach sollen Besucherinnen in Zukunft auf "anständige Kleidung" achten, außerdem ist Alkohol verboten. Ausgerechnet im Vielvölkerstaat Libanon, der in der arabischen Welt als besonders liberal gilt. Nun streitet das Land über die Frage: Wer darf bestimmen, was "anständige" Kleidung ist? Man fühlt sich ein wenig an den Burkini-Streit am Strand von Nizza erinnert.

Längst sprechen auch Politiker vor der Kulisse Meer. "Niemand hat das Recht, seine Meinung oder seinen Glauben im öffentlichen Raum durchzusetzen", sagte der Parlamentsabgeordnete Mark Daou im Interview. Die Fraktion rund um Maysa Hanouni erinnert an einen etwas umformulierten islamischen Glaubenssatz: "Ihr habt eure Freiheiten - und ich hab meine Freiheit". Sie spielen damit auf den Koranvers "Ihr habt eure Religion und ich habe meine Religion" an. Die Scheichs (und die vielen aufgebrachten Männer) entgegnen: "Sidon ist konservativ, darauf müssen die Frauen Rücksicht nehmen." Auch verweisen sie auf die (Un-)Freiheit im restlichen Libanon: Wer Bikini tragen möchte, der soll doch bitte nach Beirut gehen, sagen sie. Denn es sei ja auch kopftuchtragenden Libanesinnen an vielen Stränden verboten, Burkini zu tragen.

Doch auch dagegen wehren sich die Frauen von Sidon, sie prangern die Diskriminierung von Libanesinnen im Bikini und im Burkini an und fordern Entscheidungsfreiheit. Männliche Bevormundung wollen sie sich nicht gefallen lassen - und auch einige Männer protestieren. Ein Passant, der sich solidarisch zeigt, sagt: "Saudi-Arabien hat die Religionspolizei abgeschafft, weil es den Menschen schadet. Wir wollen nicht zurückgehen, wir wollen nach vorne schauen." Er zeigt in Richtung Himmel und sagt: "Gott bringt uns ins Paradies oder in die Hölle - und niemand anders."

Seitdem kommt Sidon nicht zur Ruhe, auch nachts wird weiterdemonstriert. Viele Frauen haben die Sorge, dass sich das Land unter der von Iran unterstützten, schiitischen Hisbollah-Partei weiter radikalisiert. Derzeit kämpft Libanon mit der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Gerade in Krisenzeiten müsse man besonders wachsam sein, glauben viele Frauen. Wem es in Libanon nicht gefalle, der solle doch bitte zu den Mullahs gehen - in Iran seien die Herren besser aufgehoben.

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