Süddeutsche Zeitung

Libanon:Schwere Explosion in Beirut

Die Druckwelle verwüstet Teile der Innenstadt, Hunderte Menschen werden verletzt. Offizielle nennen einen Brand in einer Feuerwerks-Fabrik als mögliche Ursache, einige Beobachter vermuten jedoch einen politischen Hintergrund.

Von Moritz Baumstieger, Paul-Anton Krüger

Im Zentrum der libanesischen Hauptstadt Beirut ist es am Dienstagabend zu einer schweren Explosion gekommen. Bilder aus den sozialen Medien zeigen, wie über dem Hafengelände oder in seiner Nähe zunächst eine Rauchsäule aufsteigt, anschließend breitete sich eine Druckwelle pilzförmig aus. Diese richtete in den Straßen der Innenstadt große Zerstörung an, wie etwa Bilder aus dem Einkaufszentrum Beirut Souk auf dem ehemaligen Basargelände zeigen. Selbst in mehr als einem Kilometer Entfernung brachen Fenster und Balkontüren, rissen schwere Äste von Bäumen ab und stürzten Mauern ein. Die libanesische Armee half dabei, die Verletzten in Krankenhäuser zu bringen und rief zu Blutspenden auf. Gesundheitsminister Hassan Hamad sagte am späteren Abend, es seien mindestens 25 Menschen gestorben und mehr als 2500 verletzt worden. Im Netz zirkulierende Videos, die nahe des Zentrums der Explosion aufgenommen worden sein sollen, zeigten jedoch leblose, von Trümmerstaub überzogene Köper. Der Gouverneur der Hauptstadt sprach von einer "nationalen Katastrophe, vergleichbar mit Hiroshima". Die Hintergründe der Explosion blieben zunächst unklar, gaben aber Raum für verschiedenste Interpretationen.

Die staatliche Nachrichtenagentur NNA berichtete, am Hafen sei in einem Lagerhaus in Nähe von Getreidespeichern ein Feuer ausgebrochen. Den ersten Einschätzungen libanesischer Offizieller zufolge war die Explosion auf den Brand in einer Fabrik für oder einem Lager von Feuerwerkskörpern zurückzuführen. Einige politische Beobachter glaubten wegen der Größe der Explosion nicht an einen Unfall, tippten eher auf einen Luftangriff oder auf die Detonation einer Bombe. In den vergangenen Tagen war es im Grenzgebiet mit Israel zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. Israels Luftwaffe hatte noch in der Nacht iranische Ziele in Syrien bombardiert. Israelische Medien zitierten namentlich nicht genannte hochrangige Regierungsmitarbeiter mit der Aussage, das Land habe nichts mit dem Vorfall zu tun. In den Tagen zuvor hatte nach israelischen Angaben ein Kommando der von Iran unterstützten Schiitenmiliz Hisbollah versucht, nach Israel einzudringen.

Die Armee hatte das Feuer eröffnet. Auch wird für Freitag ein brisantes Gerichtsurteil erwartet: Ein Sondertribunal der UN will dann sein Verdikt über vier Hisbollah-Mitglieder verkünden, die verdächtigt werden, vor 15 Jahren bei dem Bombenattentat auf den damaligen Premier Rafik Hariri beteiligt gewesen zu sein. Diese These befeuerten noch unbestätigte Berichte von einer zweiten Explosion in der Nähe des Hauptquartieres der Zukunftspartei, der Hariris Sohn vorsteht. Saad Hariri, der das Land nach dem Tod seines Vaters lange als Premier führte, bis er im Herbst 2019 zurücktrat, sei jedoch unverletzt.

Libanon durchleidet derzeit ohnehin eine Phase großer Instabilität: Eine Wirtschafts- und Finanzkrise hat den Staat an den Rande des Bankrotts geführt. Inflation und Arbeitslosigkeit stiegen zuletzt rapide, selbst die einst breite Mittelklasse droht zu verarmen. Die Regierung konnte sich trotz dringend benötigter Kredite nicht auf Reformen einigen, von denen etwa der Internationale Währungsfonds Hilfen abhängig macht. Wegen der bescheidenen Bilanz des Kabinetts trat am Montag Außenminister Nassif Hitti nach nur sechs Monaten im Amt zurück.

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SZ vom 05.08.2020
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