Libanon:Rettungsteam in Trümmern

Nach vier Rücktritten steht die Regierung vor dem Ende.

Von Dunja Ramadan

Schwere Explosion in Beirut

Nun ist auch er zurück getreten: Libanons Premier Hassan Diab hatte bis zuletzt versucht, das Kabinett zusammenzuhalten.

(Foto: dpa)

Die Demonstranten verpassten der libanesischen Justizministerin Marie-Claude Nadschm eine ungewollte Abkühlung in diesen heißen Tagen: Sie warfen mit Wasserflaschen nach ihr und verfolgten sie, als die Ministerin nach den verheerenden Explosionen vergangene Woche durch das Viertel Gemmayzeh in Beirut lief. Nun ist die 49-jährige Maronitin die vierte Ministerin, die im Zuge der Katastrophe am Hafen mit mindestens 160 Toten und mehr als 6000 Verletzten ihr Amt niederlegt. Auch Finanzminister Ghasi Wasni, der als Verhandlungsführer mit dem Internationale Währungsfonds (IWF) das Land aus der Wirtschaftskrise führen sollte, trat am Montag zurück. Zuvor waren Informationsministerin Manal Abdel Samad und Umweltminister Damianos Kattar am Sonntag zurückgetreten. Sollten drei weitere Minister dem Beispiel ihrer Kollegen folgen, wäre die Regierung somit aufgelöst.

Neuwahlen seien "das Mindeste", was die Bevölkerung erwarten könne, sagte Heiko Maas

Für Ministerpräsident Hassan Diab, der laut Regierungskreisen mit allen Mitteln versucht, sein Kabinett zusammenzuhalten, ist dies ein weiterer Rückschlag. Seine Regierung ist erst seit Januar im Amt. Nach Massendemonstrationen, die im vergangenen Herbst durch die Verkündung neuer Steuerabgaben ausgelöst wurden, sollte sein Kabinett als "Rettungsteam" antreten, wie es Diab damals formulierte. Doch stattdessen wurde sein zwanzigköpfiges Kabinett aus bekannten Fraktionen zusammengestellt, einschließlich der schiitischen Hisbollah und der Amal-Partei. Am Montag will der frühere Bildungsminister Diab dem Kabinett eine vorgezogene Neuwahl vorschlagen. Die nächste Wahl stünde im Libanon eigentlich erst 2022 an. Beobachter vor Ort gehen allerdings davon aus, dass die gesamte Regierung ihren Rücktritt verkünden wird.

Die Explosionen am Hafen der Hauptstadt wurden am vergangenen Dienstag durch große Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat ausgelöst, die dort fast sieben Jahre lang ohne Sicherheitsvorkehrungen lagerten. Am Wochenende war eine Trauer- und Protestkundgebung im Zentrum von Beirut in Gewalt umgeschlagen. Ein Polizist wurde nach offiziellen Angaben getötet, mehr als 200 Menschen erlitten Verletzungen. Wütende Demonstrantenversuchten ins Parlament zu gelangen und lieferten sich Gefechte mit den Sicherheitskräften. Einige Tränengasgranaten schlugen die Protestler allerdings wieder zurück in Richtung Polizei - mit Tennisschlägern. Videos davon landeten im Netz. Sie riefen Parolen wie "Sie sollen hängen" - gemeint ist die politische Elite im Land, denen die Demonstranten die Schuld an der Explosionskatastrophe geben.

Am Montag kündigte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) an, am Mittwoch nach Beirut reisen zu wollen. "Wir werden den Verantwortlichen sehr deutlich machen, dass wir bereit sind zu helfen, aber auch der Auffassung sind, dass dieses Land reformiert werden muss", sagte Maas im Deutschlandfunk. Neuwahlen seien nun "das Mindeste", was die Bevölkerung erwarten könne. Am Sonntag waren bei einer internationalen Geberkonferenz unter der Führung Frankreichs Hilfen in Höhe von 250 Millionen Euro zugesagt worden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron twitterte am Sonntag: "Libanons Zukunft entscheidet sich jetzt."

Maha Yahya vom Carnegie Center, einem unabhängigen Institut für Politikforschung in Beirut, wirbt in einem Beitrag für eine "Übergangsregierung, der das Volk vertraut". Inzwischen, so Yahya, schließen sich verschiedene Gruppen zu Oppositionsgruppen zusammen, die versuchen einen "bürgerlichen Staat zu schaffen, der sie als Individuen und nicht nur als Mitglieder einer konfessionellen Gemeinschaft anerkennt." Die internationale Gemeinschaft könne helfen, das Land in die richtige Richtung zu lenken. Ansonsten, so Yahya, würde die "einst blühende, kosmopolitische und pluralistische Kultur" des Landes verschwinden und die Zerstörung des Hafens und alles, was er verkörpert, wäre komplett.

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