Libanon:Premier reicht Rücktritt ein

Hisbollah Verbot

Demonstranten im Libanon schwenken die Flagge der Hisbollah.

(Foto: Marwan Naamani/dpa)

Die Regierung Hariri hat keine Antwort auf anhaltende Massenproteste gefunden. Nun hat Saad al-Hariri seinen Rücktritt eingereicht.

Von Paul-Anton Krüger

Der libanesische Premier Saad al-Hariri hat nach Massenprotesten im ganzen Land am Dienstag seinen Rücktritt bei Staatspräsident Michel Aoun eingereicht; mit ihm lege auch das Kabinett die Ämter nieder. "Ich habe eine Sackgasse erreicht", sagte Hariri mit Blick auf vergebliche Bemühungen, seine Regierung der nationalen Einheit zu einschneidenden Wirtschaftsreformen zu bewegen. Er müsse nun "einen großen Schock" verursachen, um die Situation aufzulösen, sagte er in einer Fernsehansprache. Er habe sich seit Beginn der Proteste vor 13 Tagen bemüht, den Forderungen des Volkes gerecht zu werden. Dies sei nicht gelungen. Hariri hatte seine politischen Widersacher am 18. Oktober ultimativ aufgefordert, seine Reformpläne zu unterstützen. Präsident Aoun hat sich noch nicht zu dem Rücktritt geäußert; erwartet wurde, dass er die Regierung bittet, geschäftsführend im Amt zu bleiben. Hariri, der bekannteste sunnitische Politiker Libanons, gab seine Entscheidung bekannt, nachdem Schlägertrupps der schiitischen Hisbollah-Miliz und der Amal-Bewegung ein Protestcamp von Regierungskritikern auf dem Märtyrerplatz im Zentrum von Beirut zerstört hatten und Demonstranten verprügelten. Damit zeichnete sich ab, dass die bislang friedlichen Proteste gewaltsam unterdrückt werden könnten. Die Hisbollah hatte ihre Anhänger aufgerufen, nicht an den Demonstrationen teilzunehmen, nachdem selbst in den von ihr beherrschten Stadtteilen Beiruts und ihren Hochburgen im Süden des Landes die Menschen gegen Korruption und Misswirtschaft auf die Straßen gegangen waren.

Die Proteste, die vor 13 Tagen begonnen hatten, richteten sich ursprünglich gegen den Plan der Regierung, auf Telefonate über den populären Kurznachrichtendienst Whatsapp eine Steuer zu erheben. Die Mobilfunktarife in Libanon gehören zu den höchsten in der gesamten Region, was die Menschen auf Korruption zurückführen. Schon bald richteten sich die Demonstranten aber über alle religiösen und ethnischen Trennlinien hinweg allgemein gegen die als korrupt und unfähig angesehene politische Elite des Landes. Sie forderten eine grundlegende Erneuerung der politischen Ordnung, die auf einem Proporz-System zwischen den insgesamt 18 Glaubensgemeinschaften des Landes beruht.

Die Demonstranten, die zu Hunderttausenden in allen größeren Städten des Landes auf die Straßen gingen, skandierten: "Alle von ihnen heißt alle von ihnen!" Hisbollah und Amal hatten allerdings deutlich gemacht, dass sie eine Herausforderung ihres Machtanspruchs nicht akzeptieren würden. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte jüngst verlangt, die von den Demonstranten blockierten Straßen wieder zu öffnen. Er unterstellte ihnen, sie würden von "ausländischen Feinden" finanziert und würden deren Ziele verfolgen. Es ist eine kaum verhüllte Schuldzuweisung an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, Irans Rivalen in der Region. Das sunnitische Königshaus in Riad, das Libanon lange finanziell über Wasser gehalten hatte, entzog dem Land die Unterstützung, nachdem die von Iran kontrollierte Hisbollah bei der Bildung der von Hariri geführten Regierung ihre Forderungen weitgehend durchgesetzt hatte.

Offen ist, ob die Proteste nun abflauen. Am Dienstagnachmittag versammelten sich erneut Demonstranten im Zentrum von Beirut und bejubelten Hariris Ankündigung. Unklar blieb auch, ob es nach der gewaltsamen Machtdemonstration von Hisbollah und Amal zu konfessionellen Auseinandersetzungen kommen würde oder die Protestierenden eine Einheit über die unterschiedlichen Religionen hinweg bewahren können. Hariri rief alle Libanesen auf, den Frieden zu wahren und zu verhindern, dass sich die wirtschaftliche Lage des Landes weiter verschlechtert. Zentralbankchef Riad Salamé hatte am Montag gewarnt, das Land stehe vor dem wirtschaftlichen Kollaps, wenn nicht binnen Tagen eine Lösung für die politische Krise gefunden werde. Die Staatsverschuldung beträgt mehr als 150 Prozent der Wirtschaftsleistung und ist eine der höchsten weltweit. Das Bankensystem droht zu kollabieren. Schon seit Monaten können Libanesen an Geldautomaten nur noch begrenzt Dollar abheben, der de facto als Zweitwährung dient. Eine Abwertung des libanesischen Pfunds scheint zunehmend unausweichlich zu sein und würde dazu führen, dass viele Menschen massiv an Kaufkraft verlieren, da Gehälter und Renten meistens in Pfund gezahlt werden. Die Banken und viele Geschäfte sind seit Tagen geschlossen, ebenso Schulen. Das öffentliche Leben ist durch die Proteste gelähmt. Das seit Jahrzehnten bestehende politische Patt und die durch das Proporzsystem begünstigte Klientelwirtschaft haben dazu geführt, dass der libanesische Staat grundlegende Dienstleistungen nicht erbringt. So wird selbst in Beirut rollierend der Strom abgeschaltet, was in besseren Vierteln durch Generatoren ausgeglichen wird. Die Mülldeponien des Landes quellen über, ohne dass sich die Regierung in den vergangenen Jahren auf neue Standorte hätte einigen können. Der Abfall wird daher am Flughafen von Beirut an einem Strand aufgetürmt. Stürme haben die weißen Säcke aufgerissen und ins Mittelmeer gespült. Dessen Wasserqualität ist auch durch die Einleitung von Abwässern inzwischen miserabel.

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