Parlamentswahl in Libanon:Bleiben, hoffen, kämpfen

Parlamentswahl in Libanon: "Eine Küche für alle" heißt das Projekt, in dem für jene Haushalte gekocht wird, die von der Explosion 2020 im Beiruter Hafen besonders betroffen sind.

"Eine Küche für alle" heißt das Projekt, in dem für jene Haushalte gekocht wird, die von der Explosion 2020 im Beiruter Hafen besonders betroffen sind.

(Foto: Thomas Koehler/Imago)

In Libanon leiden die Menschen unter einer Wirtschaftskrise, die Inflation ist verheerend, der Glaube an die Politik zerstört, die Wahlbereitschaft gering. Viele wollen ihr Glück woanders versuchen. Doch es gibt auch Kämpfer, die das Land nicht verloren geben.

Von Sina-Maria Schweikle, München

Lisa Khoury ist erschöpft. Zu viel geht ihr durch den Kopf in diesen Tagen. Auf ihrem Schoß sitzt Tochter Maryliz und wird unruhig. "Sie hat Hunger, aber ich kann ihr noch nichts kochen. Wir haben gerade keinen Strom", erklärt die Mutter im Videocall und redet ihrem Kind sanft zu. Sie fragt: "Warum sollte ich wählen gehen, wenn sich keiner der Politiker um uns schert?"

Lisa Khoury lebt mit ihrer Familie in Beirut, der Hauptstadt des Libanon. Dort soll am 15. Mai ein neues Parlament gewählt werden. Es sind die ersten Wahlen seit Beginn der Wirtschaftskrise im Oktober 2019, die den sogenannten Zedernstaat in eine gefährliche Abwärtsspirale und einen Großteil seiner Bürger in die Armut schleuderte.

Die Wahl am kommenden Wochenende soll auch nach der verheerenden Hafenexplosion im August 2020 endlich wieder Stabilität in den Libanon bringen. Sie könnte ein Wendepunkt sein, doch das Vertrauen in die Politik ist gering. Aus einer Umfrage des Hilfsorganisationen-Verbundes Oxfam geht hervor, dass nur 54 Prozent der Befragten planen, wählen zu gehen.

Das libanesische Pfund hat allein im Jahr 2020 etwa 85 Prozent an Wert verloren. Mit dem Krieg in der Ukraine droht dem Libanon zudem eine Hungerkrise, denn der kleine Mittelmeeranrainer importiert laut Europäischer Kommission etwa 96 Prozent seines Weizens aus der Ukraine und Russland.

Die Mittelschicht existiert kaum mehr

"Das ganze Land ist fragil, es fehlt an Lebensmitteln, Medizin, Infrastruktur", sagt die libanesische Politikwissenschaftlerin Maria Noujaim. Dem Welternährungsprogramm (WFP) zufolge sind 46 Prozent der Libanesen davon bedroht, sich keine Lebensmittel mehr leisten zu können. Die Mittelschicht, zu der auch Lisa Khoury einst gehörte, existiert praktisch nicht mehr. Vor der Hyperinflation verdiente ihr Ehemann umgerechnet knapp 2700 Euro - heute ist sein Gehalt nur noch etwa 150 Euro wert. "Damit können wir gerade einmal unsere Miete und die Kosten für den Stromgenerator bezahlen", schildert Lisa Khoury die Situation. "Wir haben kein Geld, kein Benzin - wir haben nichts", sagt die 42-Jährige.

Treibstoff ist Mangelware, dem Libanon fehlen für die notwendigen Importe die Devisen. Das beeinflusst viele Lebensbereiche, mangels Strom stehen nicht nur viele Kühlschränke still, auch Krankenhäuser haben große Probleme, selbst die Schulbildung leidet, weil der Weg zur Schule zahlreiche Lehrer mehr kostet, als sie verdienen. Auch auf die Wahl werden sich die hohen Benzinkosten wohl auswirken, denn laut Wahlrecht müssen die Libanesen dort ihre Stimme abgeben, wo sie geboren wurden.

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Fawaz Gerges macht das Wahlsystem für die Krise mitverantwortlich: "Nur wenn das bestehende System abgeschafft wird, hat der Libanon eine politische Zukunft", sagt der Professor für internationale Beziehungen in London. In dem multikonfessionellen Land ist die Sitzverteilung im Parlament nach Religionszugehörigkeit geregelt. Das Gesetz sollte nach dem Ende des Bürgerkriegs 1990 eine friedliche Koexistenz sichern, aber es hat nur den Einfluss der konfessionell geprägten politischen Elite gefestigt. "Dieselben Warlords, die im Bürgerkrieg kämpften, sind heute noch an der Macht", sagt Gerges. "Einige dieser Kriegsherren haben Blut an ihren Händen und halten den Klientelismus im Land aufrecht." Deshalb sei der wirtschaftliche und soziale Wiederaufbau des Libanon ein langfristiges Projekt.

Viele Libanesen hoffen indes nicht mehr auf einen politischen Wandel, einen Ausweg aus ihrer Misere sehen sie eher in der Flucht ins Ausland. Einer Umfrage des Forschungsnetzwerks Arab Barometer zufolge denkt jeder Zweite darüber nach, das Land auf der Suche nach einem besseren Leben zu verlassen.

"Wenn wir jetzt im Land nichts verändern, wann dann?"

"Gerade die Jugend bezahlt den Preis für die lange Misswirtschaft und schlechte Politik. Wir haben sie ausbluten lassen, nun fliehen sie ins Ausland", sagt Georges Okais. Der Politiker sitzt seit 2018 für die Lebanese Forces im Parlament, einer Partei, die aus einer im Bürgerkrieg entstandenen Miliz hervorgegangen ist. Um einen Weg aus der Krise zu finden, müsse man das Vertrauen des Westens zurückgewinnen und zugleich versuchen, "die schiitische Hisbollah, die in vielen westlichen Staaten als terroristische Gruppe eingestuft ist, aus dem Parlament zu drängen." Die Hisbollah arbeite daran, das sunnitische Vakuum zu füllen, das sich mit dem Rücktritt des Sunnitenführers Saad Hariri ergeben hat. Erst wenn dieses Problem gelöst sei, könne die Regierung den Menschen mit Reformen einen Aufschwung bringen.

Verena El Amil gehört zu der Gruppe junger Leute, die sich lieber im Libanon für eine bessere Zukunft engagiert, statt das Land zu verlassen. Die 26-Jährige macht sich in der außerparlamentarischen Opposition für einen säkularen Staat stark - einen Staat mit einer würdevollen Regierung, die sich nicht durch Korruption die Taschen füllt.

"Mein Traum ist, meiner Generation die Chance auf Erneuerung zu ermöglichen. Wenn wir jetzt im Land nichts verändern, wann dann? Wenn nicht die junge Generation, wer dann?" Ihre Chancen, ins Parlament gewählt zu werden, sind gering, dessen ist sich die junge Politikerin bewusst. Doch sie glaubt an die Symbolkraft ihrer Kandidatur. Dass die Jugend den Libanon noch nicht aufgegeben hat, soll ihren Landsleuten Zuversicht schenken - und sie ermutigen, wählen zu gehen.

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