Nahost-Konflikt:Erneut Explosionen in Libanon

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Nach einer Explosion am Mittwoch in Saida in Südlibanon bemühen sich Feuerwehrleute, einen Brand zu löschen. (Foto: Mahmoud Zayyat/AFP)

Bei Angriffen auf die Terrormiliz Hisbollah detonieren Tausende Kommunikationsgeräte, mehrere Menschen sterben. Die Sorge vor einer Eskalation greift um sich. Israels Verteidigungsminister kündigt eine „neue Phase des Krieges“ an.

Von Xaver Bitz

Im Nahen Osten erreichen die Spannungen zwischen Libanon und dem Nachbarn Israel eine neue Stufe. Am Tag nach der Explosion von mehreren Tausend Pagern mit zwölf Todesopfern und rund 3000 Verletzten kam es am Mittwoch in Libanon zu weiteren Explosionen. Unterschiedlichen Quellen zufolge sollen Walkie-Talkies von Hisbollah-Mitgliedern explodiert sein. Nach ersten Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurden mindestens neun Menschen getötet und mehr als 300 verletzt. Unter den Toten durch die Explosionen von Tausenden Pagern tags zuvor waren nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministers Firass Abiad auch zwei Kinder – ein acht Jahre altes Mädchen und ein elf Jahre alter Junge. Bislang hat niemand die Verantwortung für die Attacke übernommen – und nicht einmal der Hersteller der Pager ist klar.

Die in Libanon agierende Schiiten-Miliz Hisbollah nannte das Nachbarland Israel in einer Erklärung vom Mittwoch einen „kriminellen Feind“, der sich als „Reaktion auf das Massaker vom Dienstag auf eine harte Bestrafung“ gefasst machen solle. Für Donnerstag wurde zudem eine Rede von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah angekündigt.

Israels Verteidigungsminister Joav Gallant kündigte am Mittwochabend eine „neue Phase des Krieges“ an. Schwerpunkt sei das Grenzgebiet zu Libanon. Dorthin verlege man nun Truppen. Zu den Explosionen in Libanon gab es von israelischer Seite zunächst weiterhin keine offizielle Stellungnahme. Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben in Erwartung einer möglichen Reaktion der Hisbollah bereits Luftabwehr, Luftwaffe und Militärgeheimdienst in erhöhte Einsatzbereitschaft versetzt.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, warnte vor der „ernsthaften Gefahr einer dramatischen Eskalation“. Die Logik hinter einer Aktion wie den koordinierten Pager-Detonationen bestehe „natürlich darin, dies als Präventivschlag vor einer größeren Militäroperation zu tun“. Am Freitag soll offenbar der UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.

Es ist immer noch unklar, wie es zu den Explosionen kommen konnte

Irans Außenminister Abbas Araghchi verurteilte die Explosionen als „Terrorakt“ und machte Israel dafür verantwortlich. Der jordanische Außenminister Ayman Safadi warf Israel vor, eine Ausweitung des Krieges zu einem regionalen Flächenbrand zu riskieren. Israel treibe den Nahen Osten mit einer gefährlichen Eskalation an mehreren Fronten an den Rand eines Regionalkriegs, so Safadi.

Mehrere Fluglinien haben ihre Verbindungen in die Region vorübergehend gestrichen. Die Lufthansa wird bis zum 19. September weder Tel Aviv noch die libanesische Hauptstadt Beirut ansteuern. Zudem sollen der israelische und iranische Luftraum in dieser Zeit umflogen werden. Auch die Air France stellte ihre Verbindungen bis Donnerstag ein.

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Unklar ist immer noch, wie es zu den Explosionen der Pager kommen konnte – und wer diese überhaupt hergestellt hat. So berichtet die New York Times, dass neben der Batterie der Geräte Sprengstoff und ein Schalter angebracht worden seien, der sich aus der Ferne auslösen ließ. Der Sprengstoff habe demnach 30 bis 60 Gramm gewogen. An die betroffenen Pager sei dann eine Nachricht gesendet worden, die den Zündmechanismus auslöste. Libanesischen Angaben zufolge sollen die Pager vor der Explosion mehrere Sekunden lang gepiept haben. Mehrere internationale Medien gehen davon aus, dass der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad hinter der Aktion steckt.

Auf Bildern vom Explosionsort konnten die Geräte als Model AR-924 der taiwanesischen Firma Gold Apollo identifiziert werden. Ein Sprecher von Gold Apollo wies am Mittwoch allerdings die Vermutung von sich, dass die Firma die Pager hergestellt habe. Demnach seien die Markenrechte der Geräte an die ungarische Firma BAC Consulting abgegeben worden, die die Pager sowohl produziert als auch verkauft habe. BAC Consulting will aber auch nichts mit der Herstellung der explodierten Geräte zu tun haben. Die Inhaberin und Geschäftsführerin von BAC Consulting, Cristiana Barsony-Arcidiacono, sagte dem US-TV Sender NBC News: „Ich mache keine Pager. Ich denke, es gibt ein Missverständnis.“

Seit dem Überfall von Hamas-Kämpfern auf Israel am 7. Oktober des vergangenen Jahres gibt es auch immer wieder gegenseitige Angriffe zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee. Beide Seiten beschießen sich quasi täglich gegenseitig mit Raketen. Zehntausende Menschen sind aufgrund der permanenten Gefahr durch Angriffe aus den Gemeinden an der nördlichen Grenze Israels geflohen. Die israelische Regierung machte zuletzt die Rückkehr der Menschen in ihr Zuhause offiziell zum Kriegsziel und drohte mit der Einrichtung einer Sicherheitszone auf libanesischem Boden – was einer Invasion israelischer Truppen in Libanon gleichkäme.

Mit Material von dpa und Reuters.

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