Libanon:Keine Zeit zum Innehalten

Nach der Explosion ist die politische Elite mit sich selbst beschäftigt. Die Libanesen haben nur wenig Hoffnung.

Von Moritz Baumstieger

Tränen in den Trümmern  - Beirut

Die Bürger müssen selbst Hand anlegen, um weiterzuleben.

(Foto: Marwan Naamani/dpa)

Die allergröbsten Trümmer sind aus dem Weg geräumt, die meisten Wohnungen zwar noch nicht bewohnbar, aber zumindest wieder begehbar. Auf den Straßen in den Vierteln rund um den Hafen Beiruts knirscht es nicht mehr bei jedem Schritt, die feinen Glassplitter, die den Boden wie eine Schicht aus Reif bedeckten, sind zusammengekehrt, erzählt Mark Darido am Telefon. Der 25-Jährige hatte nach der Explosion einen Putztrupp aufgestellt, mit Freunden und Bekannten half er dort, wo es der Staat nicht tat - also quasi überall. Daridos Leute räumten Schutt aus Häusern, sammelten Spenden und verteilten sie an jene Menschen, die von einer Sekunde auf die andere zu Bedürftigen wurden.

An diesem Freitag nun steht das erste traurige Jubiläum an: Um 18:08 Uhr Ortszeit wird es genau einen Monat her sein, dass im Lagerhaus Nummer zwölf im Beiruter Hafen 2750 Tonnen Ammoniumnitrat aus noch unbekannten Gründen explodierten. Die Muße, einen Moment innezuhalten und der 188 Toten und mehr als 6000 Verletzten zu gedenken, hat in Beirut aber derzeit niemand: Die Freiwilligen sind in den hafennahen Vierteln immer noch mit Hilfsarbeiten beschäftigt. "Manche Bewohner ziehen weg, andere renovieren", erzählt Mark Darido, "wir helfen dabei, organisieren Lastwagen und Möbel". Und auch von staatlicher Seite sind bisher keine Gedenkveranstaltungen geplant - die politische Elite des Landes scheint vor allem mit sich selbst beschäftigt.

Als Frankreichs Präsident Anfang der Woche zu seinem zweiten Besuch binnen eines Monats nach Beirut kam, konnte ihm in dem bisherigen libanesischen Botschafter in Berlin zumindest der Mann präsentiert werden, der nun die Wiederaufbau- und Reformbemühungen als Premier verantworten soll. Mustapha Adib, ein 48-Jähriger Akademiker, scheint nach dem Geschmack Macrons zu sein, der französische Präsident begrüßte die Wahl und verlangte, dass binnen 15 Tagen ein neues Kabinett stehen müsse, das bis Oktober erste Reformen auf den Weg bringen soll. Falls dies nicht gelinge, drohte der Franzose unter anderem mit Sanktionen gegen politische Führungsfiguren.

Die Tränengaskanister trugen den Aufdruck "Fabriqué en France", wie Demonstranten bemerkten

Während Macrons erster Auftritt in Beirut noch so viel Eindruck machte, dass eine Petition, die eine Rückkehr Frankreichs als Mandatsmacht forderte, binnen weniger Stunden 60 000 Unterschriften fand, hinterließ der Besuch des Franzosen diesmal auch Wut und Ratlosigkeit: Dass französische Düsenflieger mit buntem Rauch die libanesische Flagge an den Himmel malten, mag als nette Geste gemeint gewesen sein. Die im Tiefflug über Beirut donnernden Kampfjets weckten jedoch bei nicht wenigen Bewohnern Erinnerungen an Bürgerkrieg und Bombardierungen.

Vor allem aber bezweifeln viele, dass sich mit einem bloßen Austauschs des Kabinetts viel ändern wird: Zwar fordern mittlerweile selbst Präsident Michel Aoun und Parlamentspräsident Nabih Berri eine Abkehr von dem religiösen Proporzsystem, nach dem bisher die Macht verteilt wurde und das als zentraler Faktor für die Korruptionsanfälligkeit und Reformunfähigkeit des Staates gilt. Doch dass ein Wandel etwa mit den beiden Politikern erreicht werden kann, die seit 30 Jahren für genau dieses System stehen - das sollte sich Macron nicht einreden lassen, sagen viele Libanesen. Während des Besuchs des Franzosen kam es zu Massenprotesten, die von der Polizei gewaltsam aufgelöst wurden. Die Tränengaskanister, die von den Beamten dabei verschossen wurden, trugen den Aufdruck "Fabriqué en France", wie Demonstranten mit bitterer Ironie bemerkten.

Die genauen Ursachen für die Explosion im Hafen sind unterdessen noch immer unbekannt. Neben libanesischen und französischen Experten arbeiten mittlerweile auch Beamte des FBI an der Explosionsstelle. In dieser Woche ordnete ein Richter weitere Festnahmen an, politisch Verantwortliche waren nicht betroffen: Neben drei Arbeitern wurden der Hafendirektor und ein Offizieller der Transportbehörde verhaftet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: