Was den befürchteten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah in Libanon angeht, wabert der „Nebel des Kriegs“ schon lange, bevor der Krieg überhaupt begonnen hat. Zwar beschießen sich die israelischen Streitkräfte (IDF) und die schiitische Terrororganisation seit dem 7. Oktober, dem Tag des Terrorüberfalls der Hamas auf den Süden Israels. De facto herrscht also Krieg. Aber der offene, beide Staaten landesweit erfassende Konflikt, mit dem die Gegner sich ununterbrochen gegenseitig drohen, ist das Geplänkel entlang der Grenze noch nicht. Jetzt hat nach den USA, Kanada und anderen Staaten auch Saudi-Arabien seine Staatsbürger zum Verlassen des Landes aufgefordert. Und auch auf der Website des Auswärtigen Amtes in Berlin heißt es: „Vor Reisen nach Libanon wird gewarnt. Deutsche Staatsangehörige werden dringend aufgefordert, Libanon zu verlassen.“
Der Krieg könnte also bald beginnen. Die Gegner versuchen sich gegenseitig einzuschüchtern, die USA versuchen sich hinter den Kulissen weiter als Vermittler. Vernünftige Stimmen sind selten zu hören. Die Hisbollah fordert ein Ende des Gaza-Kriegs. Die Israelis wiederum verlangen den Rückzug der libanesischen Militanten aus dem Grenzgebiet und auf eine Linie hinter dem Fluss Litani, das wären rund drei Dutzend Kilometer. Dass beide Seiten diese Maximalforderungen kaum erfüllen werden, liegt auf der Hand: Israel spricht davon, dass die Kämpfe in Gaza noch Monate dauern könnten, wenn auch mit verminderter Intensität. Und die Hisbollah missachtet die von den UN 2006 gezogene Litani-Linie als Demilitarisierungsgrenze seit 18 Jahren. Sie wird dies jetzt kaum ändern wollen.
Israel droht, Libanon „zurück in die Steinzeit“ zu bomben
Israels Verteidigungsminister Yoav Galant lässt die Libanesen daher wissen, dass seine Truppen das kleine Land am Mittelmeer gegebenenfalls „zurück in die Steinzeit“ bomben werden. Die Hisbollah, die nicht nur eine schiitische Terrorgruppe, sondern als Partei und Wohlfahrtsorganisation auch die wirkungsmächtigste politische Kraft in Libanon ist, steht dem nicht nach. Seit dem 7. Oktober beschießt sie Nordisrael mit Drohnen und Kornett-Raketen: Das Grenzgebiet wurde evakuiert, Ortschaften wie Metula, Dörfer und Siedlungen sind Geisterstädte. Tourismus, Landwirtschaft und Gewerbe liegen am Boden, 60 000 Israelis aus dem Norden leben in Hotels in südlicheren Landesteilen. Längst steht die Armee mit schweren Waffen in großer Zahl im Norden.
Auch im Südlibanon sind seit dem 7. Oktober ganze Dörfer evakuiert worden. Israels Luftwaffe greift dort ebenso regelmäßig mit Jets und Drohnen an, tötet neben angeblichen Hisbollah-Kommandeuren auch Zivilisten, zielt auf die Infrastruktur der militanten Organisation. Das aber ist schwierig. Berichten aus dem Südlibanon zufolge finden sich in den Dörfern und Städtchen offenbar kaum noch Zivilisten, sondern vor allem Kämpfer der Hisbollah. Diese haben sich nach dem am Ende für beide Seiten unentschiedenen Libanon-Krieg von 2006 noch tiefer im Süden eingegraben.
Israelischen Angaben zufolge sind viele der Wohnhäuser der Grenzdörfer Abschussbasen für Raketen und Waffenlager. Das klingt plausibel: Die Bevölkerung im Süden besteht zu einem großen Teil aus Schiiten, die der Hisbollah seit den späten Achtzigerjahren die Treue halten. Auch damals tobte Krieg mit Israel, war der Süden Libanons eine „Sicherheitszone“ der Besatzer.
Iran warnt im Fall eines Angriffs vor einem „Vernichtungskrieg“
Jüngst zeigte die Hisbollah von Drohnen gedrehte Luftaufnahmen von möglichen Zielen ihres riesigen Raketenarsenals: Es sind israelische Städte wie die Hafenstadt Haifa. Die Islamische Republik Iran, oberster Waffenlieferant und wichtigster Verbündeter der Hamas, droht Israel mit einem „Vernichtungskrieg, sollte es zu einer großangelegten Militäraktion kommen“. Und weiter: „Alle Widerstands-Fronten“ – also die mit Teheran verbündeten Milizen in Jemen, in Syrien und Irak – würden sich an die Seite der Hisbollah stellen. Damit träte die gesamte „Achse des Widerstands“ in Aktion, an der Teheran seit Jahren bastelt. Wie ernst die mit der Islamischen Republik verbündeten Militanten zu nehmen sind, zeigen die Huthis in Jemen. Aus „Solidarität mit den Palästinensern“ beschießen sie seit Monaten die Schifffahrt im Roten Meer mit Raketen und Drohnen.
Auch die Hisbollah selbst hat nach dem 7. Oktober in den Konflikt zwischen Israel und den Gaza-Palästinensern eingegriffen, um den „Befreiungskampf“ der palästinensischen Milizen Hamas und Islamischer Dschihad zu unterstützen. Ursprünglich hatte Israel befürchtet, dass die Hisbollah im Norden Israels einen ähnlichen Überraschungsschlag ausführen könnte wie die Hamas im Süden. Damals wollte das israelische Militär sofort gegen die Miliz losschlagen. Das„Kriegskabinett“ entschied sich Presseberichten zufolge am 11. Oktober dagegen.
Dass Israel in den kommenden Wochen oder Monaten einen strategischen Schlag gegen die Hisbollah ausüben wird, ist wahrscheinlich: Schon heute verfügt die Organisation über bis zu 150 000 Raketen verschiedener Reichweite, die ganz Israel bedrohen. Yisrael Ziv, ein israelischer Brigadegeneral der Reserve, ließ an der Notwendigkeit eines Angriffs keine Zweifel. Der Offizier warnte aber gegenüber dem Fernsehsender N12: Ein Krieg gegen Libanon, Iran, Syrien, Jemen und Irak werde „hundertmal komplexer“ sein als die Militäraktion im Gazastreifen. Mit Blick auf den angeschlagenen Premierminister Benjamin Netanjahu sagte der General: „Die derzeitige Regierung kann die schwierigen militärischen und diplomatischen Schritte nicht schultern.“